Viele Hamburger Patienten warten lieber sechs Stunden im Krankenhaus statt sechs Wochen auf einen Termin beim Facharzt.
Hamburg. Die Auswirkungen der Gesundheitsreform auf Hamburg sind vermutlich gravierender, als bislang befürchtet wurde. Die Sparmaßnahmen und die Neuverteilung der Gelder sind auch in den Krankenhäusern der Hansestadt zu beobachten. „Wir werden in den Notfallambulanzen regelrecht überlaufen von Patienten“, sagte die Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, Claudia Brase, dem Abendblatt. Das von 2011 an geltende Finanzierungsgesetz für die gesetzliche Krankenversicherung verschärfe einen Trend: Patienten müssten immer länger auf einen Termin beim Orthopäden, Internisten oder einem anderen Facharzt warten. „Die Leute gehen dann gleich ins Krankenhaus“, sagte Brase. „Mancher setzt sich lieber sechs Stunden in die Notaufnahme und denkt sich: Hinterher bin ich wenigstens richtig durchgecheckt und muss nicht vier Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten.“
Die Hamburger Notaufnahmen verzeichneten jedes Jahr steigende Patientenzahlen. Die Wartezeiten für Notfallpatienten würden dadurch immer länger. „Die Ärzte müssen entscheiden, ob ein Patient eilig ist oder nicht. Jeder wird behandelt“, so Brase. „Aber auf dieses Wachstum an Patientenzahlen sind wir als Krankenhäuser nicht eingerichtet.“
Brase nennt diese Folge der Gesundheitsreform der Bundesregierung eine „faktische Leistungseinschränkung“. Seit Jahren debattieren Mediziner darum, ob man wegen des Kostendrucks im Gesundheitswesen einigen Patienten Behandlungen vorenthalten müsse, Stichwort: Rationierung. In einer vor zwei Wochen veröffentlichten Allensbach-Umfrage gaben 62 Prozent der deutschen Praxisärzte zu, bereits auf Behandlungen verzichtet zu haben, obwohl diese „aus medizinischer Sicht angeraten gewesen wären“.
Bei einer Diskussionsrunde des Kassenverbandes Vdek war die versammelte Hamburger Kritik von niedergelassenen Ärzten, Krankenkassen und Kliniken an der Gesundheitsreform zu spüren. „Was an Ausgabensteigerungen auf uns zukommt, geht zu Lasten der Versicherten“, kritisierte Günter Ploß, der Hamburger Staathalter des Vdek. Heißt: Die künftige Teuerung im Gesundheitswesen sei ungerecht verteilt, weil der Beitrag der Arbeitgeber zur Gesundheit eingefroren wird. Dieter Bollmann, Vorstandschef der kassenärztlichen Vereinigung, sagte: „Ich habe dieses Gesetz bisher nicht als Gesundheitsreform verstanden. Viel länger als zwei Jahre wird das nicht halten. Die Bundesebene weiß außerdem nicht, was in Hamburg passiert.“
Kassen-Vertreter Ploß beteuerte: „Kein Hamburger Krankenhaus ist gefährdet.“ Doch Klinikverbands-Chefin Brase meinte: „Die Patienten werden merken, wenn sie eine abgehetzte Krankenschwester haben.“ Die Tarifsteigerungen für die Beschäftigen an Hamburger Kliniken würden den Spardruck erhöhen. Gesundheitssenator Dietrich Wersich (CDU) wollte die versammelte Hamburger Kritikerschaft beschwichtigen: „Immerhin wird es für die Versicherten in 2010 und 2011 wahrscheinlich keine weiteren Zusatzbeiträge zur Krankenkasse geben. Und wenn alle die Gesundheitsreform schlechtreden, muss der Kompromiss der Gesundheitsreform gut sein.“