Der Chefredakteur von “Bild am Sonntag“ appelliert an den Iran, die seit sechs Wochen gefangen gehaltenen Journalisten sofort freizulassen
Wir von "Bild am Sonntag" sind in großer Sorge. Es geht um zwei unserer Kollegen. Seit 42 Tagen bangen wir um einen Reporter und einen Fotografen. Seit 42 Tagen sind beide im Iran in Haft. In Einzelzellen, unter schlimmen Bedingungen. Wir haben lange gehofft, dass die beiden Kollegen durch stille Diplomatie schnell freikommen. Alle Medien in Deutschland haben sich dieser Zurückhaltung angeschlossen, dafür sind wir ihnen dankbar. Doch unsere Hoffnung erlitt am vergangenen Montag einen schweren Schlag.
Das iranische Staatsfernsehen zerrte unsere Kollegen in die Öffentlichkeit und stellte sie im Hauptabendprogramm vor einem Millionenpublikum wie Geiseln zur Schau. Wir haben uns dieses Video in der Redaktion immer wieder angeschaut. Wir sehen Reporter und Fotograf, und wir sehen, dass es ihnen schlecht geht, dass sie leiden. Ihre Blicke tun uns weh. Wir können nicht hören, was sie sagen, wir hören nur, was ein iranischer Sprecher behauptet. Wann wurden deutsche Bürger jemals von der Justiz eines fremden Landes so gedemütigt?
Sie wurden verhaftet, weil sie die Wahrheit suchten! Der Reporter und der Fotograf fuhren Anfang Oktober nach Täbris, um mehr zu erfahren über das Schicksal von Sakine Aschtiani. Jener 43-jährigen Frau, Mutter und Volksschullehrerin, die zum Tod durch Steinigung verurteilt worden ist, weil sie Ehebruch begangen haben soll! Kein Mensch bei uns kann so etwas begreifen, aber tatsächlich gibt es im Iran ein "Strafgesetz zur Ahndung des unerlaubten Geschlechtsverkehrs". Darin steht, dass ein Seitensprung mit dem Tod geahndet werden kann. Dieses Gesetz wird zwar gerade überarbeitet und die Steinigung wurde inzwischen ausgesetzt. Doch der Tod durch den Strang droht ihr weiter. Weil man die Wirklichkeit nicht aus zweiter Hand ergründen kann, weil Google nicht ausreicht, um eine Story zu begreifen, weil nichts das Auge des Reporters ersetzt, sind unsere Leute losgefahren, um die Geschichte dieser Frau vor Ort zu recherchieren.
Vor sechs Wochen, am 10. Oktober, wurden der Reporter und der Fotograf gemeinsam mit dem Sohn und dem Rechtsanwalt der Familie Aschtiani in dessen Kanzlei in Täbris festgenommen. Das Visavergehen, das Reporter und Fotograf vorgeworfen wird, könnte, müsste und wird überall sonst auf der Welt mit Verwarnung, Ausweisung und Geldstrafe geahndet. Stattdessen droht ein Staatsanwalt in Täbris nun mit dem Vorwurf der Spionage. Das ist absurd. Die iranischen Behörden wissen ganz genau, dass es sich um Journalisten und sonst gar nichts handelt.
Die Kollegen aber haben am 43. Tag ihrer Haft nicht einmal einen Anwalt. Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Teheran, die sich professionell und menschlich berührend für die beiden Journalisten einsetzen, durften nur kurz mit ihnen sprechen.
Wie viel Gerechtigkeit können wir von einer Justiz erwarten, die eine Frau mit dem Tod bedroht, weil sie vielleicht einen Mann küsste, der den Religionswächtern oder der Geheimpolizei oder den Nachbarn nicht genehm war?
Wir verlangen auch im Namen der Familie und der Freunde unserer Reporter Gerechtigkeit für die Inhaftierten! Das bedeutet sofortige Freilassung unserer Kollegen, des Sohnes von Frau Aschtiani und ihres Anwalts.
Wir verlangen, dass die deutsche Botschaft sie bis zur Freilassung so oft wie möglich besuchen kann, wie es das "Wiener Übereinkommen" vorsieht, das auch der Iran unterschrieben hat.
Wir fordern die Regierung in Teheran auf, die Kollegen vor entwürdigender Behandlung zu schützen, so wie das die Verfassung der Islamischen Republik Iran vorschreibt (Artikel 39).
Kenner des Irans erklären, der Fall sei kompliziert. Es gehe um iranische Außen- und Innenpolitik, um rivalisierende Machtzentren, um Fanatiker und Gemäßigte, die sich gegenseitig blockieren, um Intrigen und Propaganda.
Mag alles sein. Im Grunde, davon bin ich überzeugt, geht es aber um ganz eindeutige Fragen. Darf man lieben, wen man liebt? Darf man leben, wie man will? Darf man sagen, was man denkt? Darf man nachfragen, wo man Ungerechtigkeit sieht?
Es geht um die Freiheit. Und Pressefreiheit ist der Gradmesser der Freiheit.
Die Tage in den Zellen von Täbris werden länger und dunkler und addieren sich zu Wochen und Monaten. Am kommenden Freitag hat einer unserer beiden Journalisten Geburtstag, er wird 45 Jahre alt. Ich bitte Sie, liebe Leser, denken Sie an diesem Tag an ihn und seinen Kollegen. Beide müssen bald nach Hause kommen!