Die Bundesregierung plant, die Tabaksteuer zu erhöhen und die Energiekonzerne zu entlasten. Raucher fühlen sich als Melkkühe der Nation.

Raucher sind arm dran, und das nicht nur, wenn das Bein ab ist. Es trifft einmal mehr die rund 16 Millionen unverdrossenen Lungenzügler hierzulande, die mit ihrer Sucht ein Steuerloch stopfen oder zumindest dafür sorgen sollen, dass eine andere Steuer gesenkt werden kann. Die geplante Erhöhung der Tabaksteuer zum 1. Januar 2011 soll zwar moderater ausfallen als in den Jahren 2002 bis 2005, in denen das Rauchen bis zu 70 Prozent teurer wurde, aber der Drei-Stufen-Plan wird dennoch spürbar werden: Im Jahre 2015 will das Bundesfinanzministerium eine Milliarde Euro mehr verbuchen.

Bis dahin wird für rund 720 000 Deutsche - 140 000 aktive Raucher und 3300 Passivraucher pro Jahr - der zweifelhafte Rauchgenuss jedoch nicht nur teurer werden, sondern, statistisch betrachtet, auch tödlich enden. Kein Wunder, dass 90 Prozent der Raucher am liebsten aufhören würden, doch leider ist die Nikotinsucht, platt ausgedrückt, in puncto Rückfallgefahr mit der Abhängigkeit von Heroin grundsätzlich gleichzusetzen (wobei "bloß" 1300 Menschen pro Jahr wegen des Konsums von harten Drogen sterben).

Andererseits sehen Raucher sich mittlerweile einer permanenten Verfolgung ausgesetzt, und wirklich, sie werden zum Teil als "Schädlinge" beschimpft; sie werden aus geheizten Gaststuben auf die Bürgersteige vertrieben und wahrscheinlich beginnen die Brüsseler Nikotinbremsen bereits hinter verschlossenen Türen über Raucherreservate auf der Höhe des Polarkreises nachzudenken.

Auch der militanteste Luftverbesserer sollte allmählich wissen: Es geht nicht um den Raucher, sondern es geht immer nur um den Rauch.

Das kollektive Aufjaulen der Tabaklobby blieb bisher aus. Das ist erstaunlich, aber verständlich, denn "Raucher sind inzwischen sozial ausgegrenzt. Ihr Widerstandspotenzial ist relativ gering", sagt Ralf Leineweber, Sprecher von British American Tobacco Deutschland in Hamburg. Die gesamte Branche hat schon seit Monaten mit einer Erhöhung gerechnet: "Aber der genaue Betrag ist ja noch nicht einmal fixiert. Wir müssen uns die Details noch ansehen, dann können wir weitere Berechnungen machen, wie viel die Zigarettenschachtel zukünftig kosten wird."

Michael Adams, 63, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg, hat das Rauchen unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten genau untersucht. Also wissenschaftlich-mathematisch. Danach kann es keine andere Lösung geben, als die Tabaklust so teuer wie möglich zu machen, um zum einen die Volksgesundheit zu erhöhen und zum anderen dem Staat die Möglichkeit zu eröffnen, an anderer Stelle die Abgaben zu senken. "Tabaksteuern sind Lenkungssteuern, deren empirischer Effekt unbestritten ist", sagt er, "ein Raucher mit einem durchschnittlichen Zigarettenkonsum von 20 Stück am Tag besitzt eine um elf Jahre kürzere Lebenserwartung." Argumente, dass das Rauchen gar die Volkswirtschaft fördern und gleichzeitig die Sozialabgaben durch "sozialverträgliches früheres Ableben" senken könnte, weist er entschieden zurück. Stattdessen schlägt er vor, eine solche Lenkungssteuer künftig auch beim Alkohol einzusetzen:

"Alkohol ist die zweitwichtigste Ursache für Krebs. In Deutschland konsumieren immer mehr Kinder und Jugendliche riskante Mengen an alkoholischen Getränken. Mindestens 50 000 Menschen sterben jährlich an den direkten Folgen des Alkoholkonsums (die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren spricht in diesem Zusammenhang sogar von bis zu 90 000 Toten), der die Gemeinschaft etwa 27,5 Milliarden Euro pro Jahr kostet, bei gerade mal 3,4 Milliarden Steuereinnahmen."

Wenn es um legale Süchte geht, steckt der Staat in einer Zwickmühle. Einerseits verdient er an stoffgebundenen und auch nicht stoffgebundenen Abhängigkeiten (hierzu gehört das Glücksspiel) seiner Bürger ordentlich, andererseits soll er seine Bürger wiederum schützen und dann im Extremfall auch noch die öffentlichen Kassen für die zum Teil katastrophalen Folgen schröpfen: Zu den 16 Millionen Rauchern kommen 9,5 Millionen Menschen, die täglich Alkohol in gesundheitlich riskanten Mengen zu sich nehmen (1,3 Millionen von ihnen gelten als schwerstabhängig), sowie geschätzte 220 000 bis 300 000 Spielsüchtige - wobei sich an diesen Zahlen nicht ablesen lässt, wie viele Mehrfach-Abhängige es gibt. "Fest steht nur", sagt Dr. Raphael Gaßmann, 50, von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm, "dass es nach allen bisherigen Studien definitiv nur drei Möglichkeiten gibt, das Suchtverhalten präventiv zu bekämpfen: Und zwar sind das - in der Reihenfolge ihrer Wirksamkeit - Preiserhöhungen, die Einschränkung von Verfügbarkeit sowie die Einschränkung oder das Verbot von Werbung." Die DHS tritt schon seit Jahren für eine einheitliche Alkoholsteuer ein. "Wieso sind wir das einzige europäische Land, das auf eine Weinsteuer verzichtet?", fragt Gaßmann. Für eine Flasche Bier werden dagegen im Schnitt neun Cent fällig, für eine Flasche Sekt 1,36 Euro, für eine 500-Gramm-Packung Kaffee 1,15 Euro, für eine Packung Zigaretten 3,74 Euro.

Ein erstes Ziel wäre es, den Pro-Kopf-Konsum auf moderate 7,7 Liter reinen Alkohols zu senken, den uns unsere französischen Nachbarn vortrinken. Tatsächlich aber liegen die Deutschen mit 11,1 Litern pro Jahr pro Leber auf absolutem Weltniveau. Mehr wird nur noch in Luxemburg, Irland, Ungarn und Tschechien gesoffen. Da könnten doch die Steuern nur so sprudeln, "aber der Staat traut sich nicht", sagt Wirtschaftsprofessor Adams. All die Maßnahmen, die dazu führten, dass die Deutschen - vor allem die deutschen Jugendlichen - heute deutlich weniger rauchen als noch vor fünf Jahren, finden beim Alkohol keine Anwendung.

Adams rechnet vor, was zu tun wäre. Er fordert, wie fürs Rauchen auch die Preise für alkoholische Getränke zu erhöhen: "In Deutschland sind die Verbrauchpreise seit 1970 im Schnitt um 202 Prozent gestiegen, bei Alkohol nur um 113 Prozent. Damit signalisieren wir den Bürgern: Trinkt, so viel ihr könnt. Würden wir die Verbrauchssteuer auf EU-Niveau heben, würde Bier um 35 und Wein um 55 Cent pro Liter steigen, das lebensgefährliche Komasaufen unter Jugendlichen aber um 50 Prozent sinken."

Doch an solchen hehren Zielen mogelt sich die starke Alkohollobby gekonnt vorbei. Alkoholgenuss ist sozusagen "voll" akzeptiert, auch wenn es gesundheitsschädlich wird. Die Umsätze der deutschen Alkoholwirtschaft sind zwar seit Jahren leicht rückläufig (wie beim Zigarettenkonsum), lagen aber 2009 noch immer bei rund 14 Milliarden Euro, was vor allem an der stark steigenden Wein- und Schaumweinproduktion lag. Ein weiterer Faktor, warum die Alkoholbranche stets mit Samthandschuhen angefasst wird: Sie zählt zu den Branchen mit den höchsten Werbeetats; Werbung wird in Fernsehen und Magazinen zunehmend wichtig und so ist die Berichterstattung über Alkohol selbst in vermeintlich kritischen Medien eher zahm.

Dabei trinken sich vor allem Jugendliche, aber auch zunehmend Senioren, ins Koma. Im Jahr 2008 mussten rund 25 700 Kinder und Jugendliche ins Krankenhaus gebracht werden, was eine Steigerung um fast das Dreifache im Vergleich zu 2000 darstellt. Noch deutlicher ist der Anstieg bei Senioren. Rund 430 Menschen zwischen 80 und 85 Jahren wurden eingeliefert, mehr als dreimal so viele wie im Jahr 2000. "Es geht nicht an, dass sich Jugendliche ihren kollektiven Wochenendrausch locker vom Taschengeld leisten können", mahnt Gassmann.

Ein ähnliches Dilemma herrscht auch bei der Spielsucht. Es sind die Geldspielautomaten in den sogenannten Daddelhallen, in denen inzwischen auch schon kleine Vermögen verspielt werden können, die gefährlich sind. Immerhin beträgt der Höchsteinsatz für ein Spiel bis zu zwei Euro - und das Spiel dauert gerade mal drei bis fünf Sekunden. Je häufiger die Frequenz, desto gefährdeter ist auch der Mensch, ganz gleich, ob es sich um Zigaretten, Alkohol oder eben das Zocken handelt, das langfristig nicht nur die Seele schädigt.

Wer Süchte ausleben will, soll zahlen oder draußen bleiben. Doch wer soll dies kontrollieren? Eine Gesellschaft, die körperliche Fitness mit seelischem Wohl gleichstellt und "dessen Erlangung als das höchste Ziel ansieht, nur wenig Raum für Andersdenkende und Menschen lässt, die ihrem Leben eine andere Priorität geben wollen als die größtmögliche Verlängerung ihres irdischen Daseins", sagte die Schriftstellerin Juli Zeh über ihre viel beachtete Novelle "Corpus Delicti", worin die überzeugte Raucherin einen fiktiven Staat entwirft, in dem all das verboten ist, was der Gesundheit des Menschen schaden könnte. Dass damit kein Raum mehr für persönliche Freiheiten vorhanden wäre, dürfte jedem klar sein. Womit wir wieder beim Rauchverbot angelangt wären.