Vor sechs Jahren hat Mark Zuckerberg im Internet eine neue Welt erschaffen: Facebook. Der Film “The Social Network“ kommt jetzt ins Kino.
Hamburg. Gut möglich, dass nur ein Bruchteil der 500 Millionen Nutzer weiß, wer Mark Zuckerberg ist. Facebook -User haben andere Sorgen, etwa diese hier: "Einladung zum Klassentreffen erhalten. Laut Liste bereits vier verstorben. Hingehen?" Eine Frage wie ein guter Partysong: aus dem Bauch heraus, zwingend, gegenwärtig. Erste Antworten gab es schon nach wenigen Minuten ("Hingehen!"), zwei Tage später waren es bereits über 50 Kommentare ("Ja, schon um zu zeigen, dass man noch lebt!").
Ein Beispiel, das viel erzählt über Faszination und Nutzen des weltweit größten sozialen Netzwerks. Facebook gibt Antworten auf die Leitfragen des Alltags: Was machst du gerade (Statusmeldung)? Können wir Sex haben (Single oder in einer Beziehung)? Wen kennst du und wer kennt dich (Freunde)? Noch nie war es so leicht, andere Menschen an der eigenen Gedankenwelt teilhaben zu lassen. Und zwar nicht nur eine Handvoll Leute, sondern nahezu jeden, der Zutritt zu dieser Welt verlangt. Nirgendwo wird das Bedürfnis, das (digitale) Ich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, so ernst genommen wie im Paralleluniversum Facebook. Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.
Es ist so simpel, dass im Grunde jeder hätte drauf kommen können. Aber es war Mark Zuckerberg, ein damals 19-jähriger Harvard-Student aus der jüdischen Mittelschicht, ein Klugscheißer mit begrenzten sozialen Fähigkeiten, aber einem Händchen für Algorithmen, der den sozialen Raum, in dem wir leben, 2004 ins Internet verlegte und über Nacht neu definierte. Regisseur David Fincher, bekannt geworden mit Meisterwerken wie "Fight Club" und "Sieben", hat sich mit "The Social Network" nun aufgemacht, den Gründungsmythos und kometenhaften Aufstieg des Netzwerks unter die Lupe zu nehmen. Als Vorlage galt ihm Ben Mezrichs unauthorisierte Zuckerberg-Biografie "Milliardär per Zufall" (Originaltitel: "The Accidental Billionaires"). In den USA ließ der Film am vergangenen Startwochenende sämtliche Mitbewerber hinter sich und animierte selbst Zuckerberg samt Team zum Betriebsausflug ins Kino.
+++ Jetzt weiß Facebook auch noch, wo Sie sich aufhalten +++
Dabei ist der Facebook-Gründer bei Fincher und seinem Drehbuchautor Aaron Sorkin ("The West Wing") alles andere als ein Protagonist im Heldengewand. Gleich in der ersten Szene verschießt er den Sympathiebonus des Zuschauers im hohen Bogen. Dich zu daten, sagt seine Noch-Freundin Erica zu ihm, ist wie eine Runde auf dem Stepmaster. Will sagen: ermüdend, schweißtreibend und von zweifelhaftem Nutzen für das eigene Wohlbefinden.
Dann trennt sie sich. Und er bestellt noch ein Bier.
Viele Gerüchte und Anekdoten kursieren über Zuckerberg, den "aufgeblasenen kleinen Scheißer hinter dem jüngsten Internetphänomen", wie das amerikanische Satireblatt "Onion" ihn einmal nannte. Manche sind einfach zu gut, um sie nicht ins Drehbuch hineinzuschreiben. Etwa jene von Zuckerbergs Visitenkarten mit der Aufschrift "I'm CEO, bitch". Oder sein Styling, das dem Motto folgt: Kein Anlass ist so wichtig, dass man ihm nicht in Badelatschen beiwohnen könnte. Sei es ein Gerichtstermin, der Antrittsbesuch bei möglichen Investoren oder (später) eine Fernsehtalkshow. Der Schauspieler Jesse Eisenberg leiht Zuckerberg sein Jungsgesicht, mit dem er problemlos auch für Milchschnitte oder Zwieback werben könnte. Seine Körperhaltung gleicht der einer Schildkröte; Kritik und Zweifel prallen an diesem jungen Mann ab wie Wassertropfen an einer teflonbeschichteten Pfanne.
"The Social Network" ist keine Filmbiografie über Mark Zuckerberg, die sich mit Psychologisierungen, Kindheitsstationen oder emotionalen Gratwanderungen aufhält. Nerd oder Arschloch? Letztlich läuft es auf diese Fragestellung heraus - und die Antwort könnte lauten: möglicherweise beides. "Man kann keine 500 Millionen Freunde finden, ohne sich ein paar Feinde zu machen", wirbt der deutsche Slogan zum Film, was eine hübsche Untertreibung für das ist, was der Zuschauer im Folgenden sieht. Je größer die Anzahl der Nullen hinter der Eins, desto größer Zuckerbergs Bereitschaft, seinen besten - seinen einzigen - Freund Eduardo Saverin fallenzulassen, den tragischen Verlierer des Facebook-Erfolgs. Und der Mann, der Zuckerberg schließlich vor Gericht zerrt.
Das eigentliche Interesse von Regisseur Fincher aber gilt dem Phänomen Facebook, der meistbesuchten Internetseite nach Google, und wie es das Leben einer Handvoll Menschen aus den Angeln hebt. Wer reitet auf der Erfolgswelle, wer bleibt auf der Strecke? Es sind simple Wettkampfprinzipien, die dem Film seine Spannung verleihen. Seine Kunst besteht darin, dass er statt von Bits und Bytes, Klicks und Usern im Kern von archaischen Werten handelt: Treue und Verrat, Freundschaft und Liebe. In diesem Sinne ist "The Social Network" ein klassischer Hollywoodfilm.
Was "Der Pate" für die 70er-Jahre war, "Wallstreet" für die 80er und schließlich "Reality Bites - Voll das Leben" mit Darling Winona Ryder für die 90er-Jahre, ein Lebensgefühlfilm nämlich, das ist "The Social Network" für die Generation Internet. Finchers Film liefert den Soundtrack zum Zeitgeist. Er zeigt, dass sich alles verändert hat in den vergangenen Jahren und anderes immer gleich bleiben wird. Nichts verdeutlicht das besser als die Schlussszene: Zuckerberg und seine Exfreundin fallen sich nicht in die Arme, nein: Er schickt ihr eine Freundschaftsanfrage übers Internet. Wer das unpersönlich findet, herzlos oder feige, hat das Prinzip Facebook nicht verstanden.
Ein Prinzip, das darauf beruht, sich ein neues, besseres Selbst zu erschaffen - eine Art Über-Ich. Auf Facebook sind die Fotos vorteilhafter, die Partys wilder, das Leben bunter. Wer mitmischen will, tippt seine Botschaften und Kommentare in die dafür vorgesehene Spalte oder drückt den "Gefällt mir"-Button. "The Social Network" erzählt vom Wandel der Kommunikationsformen und der Ablösung eines alten Wertesystems durch eine neues. Von der Umprogrammierung der Welt, wie wir sie kennen. Typische Nerds wie Zuckerberg führen heute ein Rockstarleben in Silicon Valley, wo das Wetter typisch kalifornisch ist, die Groupies allzeitbereit und der Nabel der Welt nur einen Steinwurf entfernt.
Mark Zuckerberg ist ein typischer David-Fincher-Held. Wie vor ihm schon der mörderische Religionsfanatiker John Doe (Kevin Spacey) in "Sieben", der schizophrene Taylor Durden (Brad Pitt) in "Fight Club" oder der gehetzte Investmentbanker Nicholas van Orton (Michael Douglas) in "The Game" rebelliert auch der Mann hinter Facebook gegen die bestehende Ordnung. Und setzt ihr, wenn auch aus einem Moment der Verzweiflung heraus, etwas Neuartiges entgegen. Dass es sich bei Zuckerberg, anders als bei den Vorgängerfiguren, um ein reales Vorbild handelt, verleiht "The Social Network" nur noch strahlenderen Glanz und mehr Relevanz. Es ist eine moderne Schöpfungsgeschichte, die David Fincher in zwei Filmstunden auf die Leinwand wirft - und gleichzeitig die Abbildung der totalen Gegenwart, der Magie des Moments.
Wer nicht sicher ist, ob er in eine Kinokarte investieren soll, kann ja seine Freunde auf Facebook um Rat fragen.