Firmengründer Hans-Martin Rüter kritisiert seine Nachfolger bei dem Solarunternehmen scharf und weist Vorwürfe der Bilanzfälschung zurück.
Hamburg. Fast drei Jahre lang sagte der Conergy-Gründer Hans-Martin Rüter öffentlich kein Wort über die Ermittlungen wegen Bilanzfälschungen, die gegen ihn laufen. Dem Abendblatt gab er jetzt sein erstes Interview nach seinem Abschied von dem Hamburger Solarunternehmen im November 2007. Rüter glaubt, dass es nicht zu einer Anklage gegen ihn kommen wird. Heute investiert er mit seiner Firma RütInvest in Unternehmen und kauft Beteiligungen.
Abendblatt:
Bei unserem Interview im Oktober 2005 lag der Conergy-Kurs bei gut acht Euro. Damals empfahlen Sie mir die Aktie. Heute ist sie nicht mal mehr 80 Cent wert. Was ist schiefgelaufen?
Hans-Martin Rüter:
Am Tag meines Ausstiegs im November 2007 lag der Kurs bei knapp 30 Euro, Sie hätten also gut im Plus gelegen. Wir hatten bei Conergy lange eine erfolgreiche Zeit. Wir haben es geschafft, aus einem Unternehmen, das ich 1996 in meinem Wohnzimmer in Wandsbek gegründet habe, relativ schnell einen internationalen Konzern aufzubauen. Wir hatten von Anfang an eine klare Strategie. Die Internationalisierung und die Diversifikation unseres Angebots waren über Jahre die Treiber unserer Gewinne. Dann veränderten sich die Spielregeln im Markt. Einige unserer wichtigsten Lieferanten stellten ihre Zahlungsziele von bis zu 90 Tagen auf Vorkasse um.
Aber Herr Rüter, das allein kann doch nicht der Grund für die Krise sein?
Doch. Es ging um sehr hohe Summen. Wir mussten bis zu 200 Millionen Euro Vorkasse leisten. Wir gerieten unter Liquiditätsdruck und mussten am 12. November 2007 eine Notkapitalerhöhung realisieren. Unser Finanzbereich errechnete gemeinsam mit einem externen Gutachter einen zusätzlichen Kapitalbedarf von 46 Millionen Euro. Die Kapitalerhöhung brachte 70 Millionen und die Banken erweiterten ihre Linien um weitere 30 Millionen Euro. Damit war das Unternehmen gerettet, auch weil wir über solide Bilanzkennzahlen verfügten.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Sie, den jetzigen Chef Dieter Ammer und andere frühere Manager wegen Insiderhandels, Kursmanipulation und Bilanzfälschung.
Letztlich geht es um die Frage, ob die Bilanz 2006 korrekt war. Wann waren die von uns real erzielten Gewinne zu verbuchen? Unsere damaligen Wirtschaftsprüfer Deloitte und auch ein zweiter Wirtschaftsprüfer bestätigten die Vertretbarkeit unserer Bilanzansätze. Am Ende erwarte ich, dass unsere Bilanzierung bestätigt wird. Damit erledigen sich dann alle weiteren Vorwürfe.
Klar, dass Sie alles bestreiten. Aber die Zahlen verschlechterten sich rasant.
Kurz vor meinem Ausstieg präsentierte ich die Neunmonatszahlen 2007 mit einem Wachstum von 60 Prozent. Ende Oktober erhielten wir die Nachricht von Lieferanten, dass sich substanzielle Mengen an Solarmodulen von November auf Mitte Dezember verschieben. Darin lag witterungsbedingt ein Risiko. So haben wir diese Mengen vorsorglich aus unserer Planung genommen und eine Umsatz- und Gewinnwarnung veröffentlicht. Die vom Aufsichtsrat bestellten Gutachter zur Validierung unserer Pläne errechneten Anfang November 2007 einen Umsatz von 1,17 Milliarden Euro, was deutlich über der von uns neu geplanten einer Milliarde Umsatz lag. Dies zeigt, dass wir nicht zu euphorisch kommunizierten und bis zu meinem Ausstieg eine sehr potente Conergy hatten.
Dieter Ammer, Ihr Onkel zweiten Grades, hat Sie beim Aufbau der Firma unterstützt. 2007 hat er Sie vor die Tür gesetzt. Haben Sie heute noch Kontakt zu ihm?
Herr Ammer hat mich 1997 gefragt, ob er sich an meinem jungen Unternehmen beteiligen darf. Damals habe ich mich sehr gefreut und von seinen Erfahrungen und Netzwerken profitiert. Zu meinem Abgang will ich klarstellen, dass mich niemand, weder Banker noch Aufsichtsräte aufgefordert haben, mein Amt niederzulegen. Ich habe diese Entscheidung eigenständig getroffen. Damals habe ich mich noch gefreut, dass Herr Ammer die Position übernommen hat. Nachdem er das Unternehmen zehn Jahre eng begleitet hatte, erwartete ich, dass er das Unternehmen erfolgreich weiterführen würde können.
Erfolgreich ist Conergy heute nicht mehr. Was wurde falsch gemacht?
Im vierten Quartal werden branchenimmanent rund 50 Prozent des Umsatzes realisiert. Meine Nachfolger haben in diesem entscheidenden Quartal leider zu viele Baustellen auf einmal aufgerissen und sich nicht ausreichend operativ mit dem Unternehmen auseinandergesetzt. Das hat dazu geführt, dass viele Geschäfte verloren gingen und wichtige Mitarbeiter kündigten. Der Einkauf war verwaist, Lieferverträge wurden nicht abgeschlossen. Damit wurde dem Unternehmen die Pulsader abgeklemmt. Falsch ist zu behaupten, Conergy wäre damals wegen strukturimmanenter Probleme in die Verlustzone geraten.
Die Sie verursacht haben sollen.
Im Rückblick ist klar, dass das die vorgeschobene Kommunikationsstrategie war, um von der Überforderung des neuen Managements abzulenken.
Was wurde falsch gemacht?
Conergy arbeitet in einer hoch dynamischen Branche, in der sogar Patente nur eine Halbwertszeit von teilweise drei bis vier Monaten haben. Da muss man ein Unternehmen transparent und strategisch führen, die Mitarbeiter einbinden und ständig schulen. Nach meinem Abgang kam es zum Kulturbruch.
Wie viele Anteile halten Sie an Conergy?
Ich bin nicht mehr Aktionär. Ich wollte einen klaren Schnitt.
Nochmals die Frage: Wie ist Ihr Verhältnis zu Dieter Ammer?
Wir haben aktuell wenige Anknüpfungspunkte.
Wie hat Ihre Verwandtschaft auf den Krach in der Familie reagiert?
Wir haben eine große und sehr verbundene Familie. Die lässt sich nicht aus dem Takt bringen, nur weil sich zwei Jungs im Sandkasten streiten.
Nach Conergy haben Sie sich eine Auszeit genommen. Wie wichtig war das?
Sehr wichtig, auch um darüber nachzudenken, was meine Stärken sind. Meine Familie und ich fuhren viele Monate durch Neuseeland. Da gewinnt man Abstand. Danach habe ich Anfang 2009 begonnen, Firmen zu gründen und in neue Unternehmen zu investieren.
Woher nehmen Sie das Geld?
In meiner Zeit bei Conergy, auch durch den erfolgreichen Börsengang, konnte ich mir ein privates Vermögen erarbeiten. Wenn ich zurückschaue, wie ich das Unternehmen in meiner Wohnung gegründet habe, und wie es mir heute geht, kann ich nur sagen, dass ich auch eine Menge Glück gehabt habe. Ich kann in neue Firmen investieren, bis sie auf eigenen Beinen stehen. Heute beschäftigen die Unternehmen, an denen ich 50 bis 100 Prozent halte, über 400 Mitarbeiter und machen 150 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Allein in Hamburg beschäftige ich 50 Mitarbeiter.
Inwieweit glauben Sie, dass Ihr Ruf beschädigt ist?
Die Äußerungen, die über mich getätigt wurden, waren natürlich rufschädigend. Deshalb spreche ich auch heute mit Ihnen. Auch um zu zeigen, dass ich ein Unternehmer mit Gewissen und Leidenschaft bin.
Das Portfolio Ihrer Firma RütInvest ähnelt einem Gemischtwarenladen.
Es ist mir wichtig, auf verschiedenen Standbeinen zu stehen. Die Blockheizkraftwerke und das Solarunternehmen entstanden, weil zwei ehemalige Conergy-Manager, die ich ausgesprochen schätze, auf mich zukamen. Wir haben gerade in Harburg eine Produktion für Blockheizkraftwerke gestartet. Mein Solaranlagenbauer, der schlüsselfertige Systeme liefert, peilt dieses Jahr bereits einen profitablen Umsatz von 100 Millionen Euro an. Die Firma Eisenmann habe ich mit einem Freund aus der Insolvenz gerettet. Jetzt profitieren wir vom Aufschwung in der Autoindustrie.
Jetzt haben Sie mit Bloomsburys auch noch einen Lieferservice für hochwertige Speisen und Getränke. Wie passt das?
Sehr gut, das Konzept läuft bereits in Berlin erfolgreich. Ich habe mich beteiligt, nachdem ich die jungen Gründer kennenlernte. Ich war sofort begeistert von dem Geschäftsmodell, der exzellent positionierten Marke und der Energie der Gründer. Wir haben jetzt strukturell die Basis für die regionale Expansion geschaffen und starten im Juli in Hamburg. Zum Jahreswechsel ist München geplant. Für unseren Start in Hamburg gewannen wir sehr gute Restaurants, sodass Sie sich auf den neuen Service in der Stadt freuen können.
Welche Restaurants?
Haben Sie noch ein paar Tage Geduld.