Tatort Hafen: Kleine Haie, große Fische - Die Kollegen Ulf Petereit und Sebastian Harms von der Wasserschutzpolizei schnüffeln nach einem Stoff namens Sludge, Müll und anderen gefährlichen Rückständen, die in den Meeren versenkt werden.
Die "Bürgermeister Weichmann" ist das Flaggschiff der Wasserschutzpolizei. Das 30 Meter lange Dienstboot dümpelt am Anleger der Wache am Waltershofer Hafen. Ulf Petereit, 42, und Sebastian Harms, 34, streifen die Dienstjacken über ihre Hemden. Sie wollen gleich auf ein Seeschiff aus den Bahamas, herausfinden, ob die Besatzung illegal Ölrückstände verklappt hat.
Doch anders als erwartet gehen die beiden Wasserschützer nicht zum Steg, sondern hinunter in die Tiefgarage des Wasserschutzpolizei-Kommissariates 1. Dort steht ein 3er BMW. Das Einzige, was hier maritim anmutet, ist ein orangefarbener Rettungsring im Kofferraum des Kombi. "Ich bin das letzte Mal vor zwei Jahren mit einem Polizeiboot gefahren", sagt Polizeikommissar Petereit trocken.
Harms und er haben wie ihre gut 500 Kollegen der Wasserschutzpolizei alle einen Seefahrer-Hintergrund. Harms war vier Jahre bei der Marine, Petereit fuhr sieben Jahre als Maschinenassistent zur See. Seit 1992 ist er bei der Wasserschutzpolizei. Dass Petereit sich mit Schiffsmaschinen auskennt, ist ein unschätzbarer Vorteil für die nun anstehende Kontrolle. Kein Kapitän kann ihm technisch etwas vormachen. Sollte eine illegale Rohrleitung nach außen führen, er würde sie finden.
Der Pforte des Hansaport-Hafens öffnet sich; die Beamten haben es auf die mit Eisenerz und Kohle beladene "Rip Hudner" abgesehen. Sie wollen kontrollieren, ob der Kapitän ein Öltagebuch geführt hat. Darin muss er nach dem Marpol-Abkommen (Marine Polution) festhalten, wie viel Ölrückstände auf der Fahrt entstanden sind und was er damit gemacht hat.
Die Gangway-Wache bittet die Polizisten, sich auszuweisen und in eine Liste einzutragen. Seit 2004 ist das weltweit Pflicht als Bestandteil des ISPS-Codes, der nach den Terroranschlägen vom 11. September eingeführt wurde. Hafenanlagen und Schiffe sollen so besser gesichert werden.
"Man kann weder von Baujahr noch von der Herkunft oder dem Äußeren des Schiffes auf das Innere schließen", sagt Petereit. Schon schweift sein kritischer Blick über das Deck. Er wolle sich hier gern mal umsehen, sagt er auf Englisch zu den Matrosen. Die wissen, dass der freundlich vorgetragene Wunsch eine klare Ansage war.
Es dauert keine drei Minuten, bis Petereit unzufrieden wird. In einem Müllcontainer für Abfälle, die auf hoher See über Bord geschmissen werden dürfen, findet er einen Kanister mit Farbresten. "Sondermüll gehört da nicht rein. Der geht am Ende sonst auch noch über Bord." Die Mannschaft wird zusehends nervös. Eilig holt einer der Seeleute den Kanister aus dem Container. Vorher macht Sebastian Harms noch ein Foto zum Beweis.
Das alles ist lediglich die Ouvertüre zu der komplizierten Ermittlung eines Stoffes namens Sludge. Dieser entsteht bei der Aufbereitung des Schweröls für den hausgroßen Schiffsmotor. Das Abfallprodukt Sludge besteht aus Wasser, Öl und Feststoffen. Es im Hafen zu entsorgen, ist teuer. Es an Bord in speziellen Anlagen zu verbrennen, ist aufwendig und nur auf hoher See erlaubt. Es ins Meer zu kippen, ist dagegen sehr einfach. Aber verboten.
Die Kajüte von Kapitän Roopinder Singh Bhogal befindet sich im dritten Stockwerk. Er empfängt die beiden Wasserschützer ohne ein Lächeln. Er weiß, dass er sich jetzt mindestens fünf Stunden Zeit nehmen muss und stellt Limonaden-Dosen auf den Tisch. Petereit lässt sich das Öltagebuch und die Lieferscheine für Schweröl bringen. In fließendem Fachenglisch bespricht er mit dem Kapitän, was er nun zu tun gedenkt. Und dieser begreift sofort, dass da einer sitzt, der mit ihm auf Augenhöhe ist. Er selbst bleibt an seinem Schreibtisch sitzen und blickt scheinbar teilnahmslos auf seinen Computer-Bildschirm.
Petereit diktiert seinem Kollegen derweil verwirrend lange Kolonnen von Zahlen aus den Protokollen in den Block. Anhand der Daten errechnen sie, wie viel Sludge entstanden sein muss. Schließlich bleibt ein Prozent des verbrauchten Schweröls als eben jener Rückstand übrig. Immer wieder lässt der Kapitän seinen leitenden Ingenieur antreten, damit dieser neue Akten in die Kajüte bringt. Petereit moniert, dass nicht alle Aufzeichnungen im Maschinenlogbuch eingeheftet sind. Die internationale Vorschrift dafür trägt er dem Kapitän und dessen leitendem Ingenieur auswendig vor.
Schließlich steigen die Wasserschutzpolizisten die steilen Treppen zum Maschinenraum hinab. Es ist warm und laut hier unten. In der Abwasseraufbereitungsanlage fehlen Chloridtabletten. Die Verschlüsse lassen sich nur schwer öffnen. Ein Zeichen dafür, dass hier lange Zeit nichts passiert ist. Und wieder ist Petereit unzufrieden. Das Abwasser gelangt so nämlich nicht optimal gereinigt nach außen. Dann ist der Öltank dran. Petereit lässt ein Metallbandmaß durch eine kleine Öffnung hinab und zieht sie wieder heraus. Das Ölmessen funktioniert wie beim Auto - nur in einem gigantisch größeren Maßstab. Immerhin: Dieses Ergebnis nicken die Wasserschützer ab.
Zurück in der Kapitänskajüte fasst Petereit in perfektem Englisch die Mängel zusammen. "Kapitän, aufgrund der nicht regelkonformen Aufzeichnungen könnte der Eindruck entstehen, dass eine Wasserverschmutzung vorliegt." Gespannt wartet der Kapitän auf das Urteil und muss sich mit versteinerter Miene anhören, dass der Protokollfehler nicht nur 1000 Euro kostet, sondern auch seiner Reederei gemeldet werden könnte. "Ich weiß, dass Sie und Ihre Crew viel Arbeit haben. Sie müssen jedoch gewissenhafter protokollieren", mahnt Petereit. Er verlangt von Kapitän und Leitendem Ingenieur jeweils 100 Dollar Strafgebühr. Das Geld kommt prompt und in bar gegen Quittung.
Die Verabschiedung ist höflich. "Vielen Dank für Ihre Kooperation und Geduld", sagt Petereit. "Wir haben viel gelernt", sagt der Kapitän artig. Was er eigentlich denkt, lässt er sich nicht anmerken. Im Streifenwagen fahren die Wasserschützer wieder zurück zu ihrer Wache. Die "Bürgermeister Weichmann" liegt nicht mehr am Steg. Möglicherweise ist sie auf dem Weg zur Elbmündung. Aber auch die haben die Wasserschutzpolizisten Petereit und Harms schon lange nicht mehr gesehen.