Die Zahl der Gaststätten in Hamburg ist seit 2001 von 1500 auf 748 gesunken. Nach 56 Jahren trifft es die Kultkneipe in Rotherbaum: Eine Ursache: Rauchverbot.
Hamburg. Jens Hoenig und Peter Gurschler haben eine Menge gemeinsam. Sie sind 65 Jahre alt und seit mehr als drei Jahrzehnten Gastronomen in Hamburg. Sie sind Künstler am Zapfhahn und Seelentröster hinterm Tresen. Sie sind Institutionen in ihrem Stadtteil. Jens Hoenig betreibt die Dieze an der Rappstraße in Rotherbaum, Peter Gurschler die Palette an der Erikastraße in Eppendorf. Sie gehören zu den letzten ihrer Art. Und nun ist für beide Schluss.
Julius Wagner ist Rechtsanwalt. Er könnte genauso gut als Hellseher sein Geld verdienen. Als der Jurist aus Hessen vor gut drei Jahren in der Handelskammer bei der Hauptversammlung des Hamburger Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) ans Mikrofon trat, malte er den Mitgliedern in knappen Sätzen den Teufel an die Wand. Er erzählte Hamburgs Gastronomen, was auf sie zukomme. Schön war das nicht.
Damals verdunkelte das gerade in Kraft getretene Rauchverbot die Aussichten der Wirte und Kneipiers. "Knapp die Hälfte der Gastronomie ist negativ davon betroffen", sagte Julius Wagner vom Dehoga-Bundesverband. Bei durchschnittlichen Umsatzverlusten "von rund 30 Prozent" gehe es um die Existenz. Wagners Prophezeiung: "Viele Einraumkneipen werden vom Markt verschwinden."
Der Mann sollte recht behalten. Und besonders betroffen vom Negativtrend ist Hamburg mit einem Rückgang von 48,1 Prozent. In Zahlen heißt das: Von rund 1500 Kneipen im Jahr 2001 hat sich die Zahl im Jahr 2010 auf 748 Bierlokale nahezu halbiert. Jede zweite Kneipe in der Hansestadt ist verschwunden.
In Deutschland hat laut Statistischem Bundesamt jede vierte Kneipe dichtgemacht. Die Zahl sank von fast 48 000 auf 36 000 und stieg lediglich in Berlin (plus 95,8 Prozent) und Baden-Württemberg (plus 15,3). "Die Gründe für das Kneipensterben sind vielfältig", sagt Gregor Maihöfer. Der Hamburger Dehoga-Geschäftsführer nennt den Strukturwandel und das veränderte Konsumentenverhalten. Die klassische Eckkneipe werde immer öfter zur Spielhalle, junge Leute würden sich Pizza und Getränke lieber nach Hause bestellen. "Die kleine Kneipe als traditionelles Kommunikationszentrum im Viertel fällt mehr und mehr weg", sagt Maihöfer. Wenn gleichzeitig die Kosten für Miete, Strom und Heizung steigen, werde es schwierig.
Frank Wittern, 52, nennt weitere Gründe. Seit 20 Jahren betreibt er das Meisenfrei am Eppendorfer Weg. "In den letzten fünf Jahren haben die Brauereien den Fasspreis von 73,50 auf 112,50 Euro erhöht", sagt er. Dazu komme der Trend zur Zentralisierung. Die Leute strömen ins Schanzenviertel, wo sich "fünf Großgastronomen den Markt aufgeteilt haben". Dass in Hamburg im Vergleich zur Rest-Republik das Kneipensterben besonders heftig ist, hängt auch mit dem strikten Rauchverbot zusammen. "Das hatte gerade in den kleinen Kneipen drastische Umsatzeinbußen zur Folge", sagt Maihöfer.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar die verschärfte Hamburger Gesetzgebung gekippt hatte, laufen nun die Gespräche mit den Fraktionen. "Eine Weltstadt wie Hamburg muss den Wirten das Vertrauen einräumen, individuelle Lösungen für ihre Gäste zu finden", sagt Wittern.
Es geht auch um Arbeitsplätze. Bei 750 Kneipen kommt Gastro-Experte Maihöfer in einer "groben Schätzung" auf etwa 1000 Vollzeitarbeitsplätze und 2000 Stellen für geringfügig Beschäftigte. "Das bedeutet, dass in diesem Bereich in den letzten Jahren rund 3000 Stellen verloren gegangen sind."
Ende des Monats kommen weitere hinzu. "Bei mir verlieren fünf Mitarbeiter ihre Existenz, wenn wir schließen müssen", sagt Jens Hoenig. Sein Problem ist weniger das Rauchverbot oder das veränderte Freizeitverhalten. "Über all die Jahre hat sich meine Kundschaft immer wieder erneuert", sagt Hoenig. "Es kommen viele junge Leute und auch Frauen, die hier stressfrei alleine oder in der Gruppe ihr Bier trinken können." Gegen den Trend freut er sich über Zulauf. Aber Ende des Monats läuft der Mietvertrag endgültig aus, der 2007 nach einigen Diskussionen noch einmal um fünf Jahre verlängert worden war. "Die Vermieter wollen Wohnraum schaffen", sagt Hoenig.
Peter Gurschler kann die hohen Mietforderungen nicht mehr erfüllen. Gerne hätte er seine Kneipe an Jüngere übergeben, aber alle seien wegen der hohen Miete abgesprungen. Er schließt die Palette nach 33 Jahren. Jens Hoenig hat als Wirt in der Dieze, die es 56 Jahre gab, 38 Jahre durchgehalten.