Das elfjährige Mädchen Chantal wurde drei Wochen nach seinem Methadon-Tod in Kirchdorf beigesetzt. Die Pflegeeltern waren nicht anwesend.
Hamburg. Der weiße Sarg steht links neben der Kanzel. Rosenblätter liegen auf dem Kirchenboden. Und ein Herz aus Teelichtern. Gibt es keine fröhlicheren Bilder von Chantal als das, das so groß da vorne auf einer Staffelei steht? Auf dem Bild schaut Chantal ernst in die Kamera. Ein hübsches Mädchen, mit blonden mittellangen Haaren. Die Kirchenglocken läuten, in Inneren der Kreuzkirche ist es still.
Vor drei Wochen starb Chantal, sie wurde elf Jahre alt. Ihr Tod am 16. Januar hat die Stadt bewegt. Die Wut ist groß: die Wut über ihre Pflegeeltern, die nicht verhinderten, dass Chantal sich mit Methadon vergiftete; die Wut über das Jugendamt, das Bezirksamt Mitte.
Doch dieser Dienstag ist nicht der Tag für Abrechnungen. Es ist der Tag des Abschieds. "Dieser Abschied soll nicht Gelegenheit sein, Schuldzuweisungen weiterzugeben oder Versäumnisse zu benennen", sagt Pastor Steffen Aurich. Der 67-Jährige war bis zum vergangenen Jahr Pastor in der evangelischen Gemeinde an der Weimarer Straße in Wilhelmsburg. Er kannte Chantal, weil sie häufig in die "Insel Arche" kam, eine Jugendeinrichtung seiner Gemeinde. In der Insel Arche gibt es etwas zu essen, die Kinder können Hausaufgaben machen, spielen; ab und zu finden Ausflüge statt.
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Zur Trauerfeier sind über 30 Menschen gekommen, darunter auch einige Kinder, die mit Chantal in der Insel Arche gespielt haben, und ihre Eltern. Andere kommen aus dem Umfeld von Chantals Eltern. Es sind Menschen, denen man ansieht, dass sie im Leben viel durchgemacht haben.
In der ersten Reihe der Kirche sitzt Chantals leiblicher Vater. Die leibliche Mutter ist 2010 gestorben. Beide Eltern waren drogenabhängig, der Vater lebt heute mit seiner neuen Partnerin zusammen, er scheint den Weg aus dem Drogenmilieu gefunden zu haben. Chantals leibliche Mutter hatte Chantal vor ihrem Tod in die Obhut der Pflegefamilie gegeben. Chantals Pflegeeltern sind bei der Beerdigung nicht anwesend. Die Pflegemutter hat am Morgen bei Pastor Aurich angerufen und ihm gesagt, dass sie der Situation nicht gewachsen sei.
Pastor Aurich sagt: "Chantal hat in ihrem kleinen Leben nicht nur Freude und Friede kennengelernt, sondern auch Schweres und sehr Bedrückendes." Trotzdem sei sie aufgeweckt, lebendig und interessiert gewesen. Chantal habe die Natur geliebt, sei gerne auf Ausflüge mit der Insel Arche gegangen. "Sie ging gerne schwimmen, und sie aß gerne", sagt Aurich. Und lachen konnte sie. Auch über den Pastor. Im vergangenen Sommer, als der Pastor in der Insel Arche zu Besuch war, übte sie sich im Seilspringen. Plötzlich war der Pastor dran, der kläglich versagte. "Chantal hat sich kringelig gelacht." Auch am Freitag vor ihrem Tod habe er das Mädchen gesehen, mit ihm herumgealbert. Es gibt ein Lied, das Chantal oft in der Insel Arche gesungen haben. Die Gemeinde singt es jetzt, begleitet von der Orgel. Der Text lautet: "Ein kleiner Spatz zur Erde fällt und Gott entgeht das nicht. Wenn Gott die Vögelein so liebt, weiß ich, er liebt auch mich." Aurich sagt: "Wir glauben daran: Chantal ist jetzt bei Gott. Dort, wo es keine Tränen mehr gibt und keinen Tod, keine Traurigkeit und keine Klage und keine Quälerei. Chantal ist uns voraus." Dann wendet er sich an die Kinder in der Kirche. Er sagt: "Ihr könnt nicht mehr mit Chantal spielen, aber ihr könnt Gott bitten, dass sie es bei ihm gut haben soll. Ihr dürft Chantal in euren Herzen behalten. Das kann euch niemand wegnehmen."
Eine Mutter geht mit ihrer Tochter nach vorne. Das Mädchen legt weinend einen Teddy für Chantal vor den Sarg. Die Beisetzung findet im Anschluss im engsten Familienkreis statt. Der Vater ist dabei, dessen Freundin und drei weitere Mitglieder seiner Familie.
Vorhin, vor seiner Predigt, hat der Pastor ein Lied vom Band abspielen lassen. Ein Lied, das Chantal gerne gemocht hat und das der Trauergemeinde jetzt Trost spenden soll: "Song Sung Blue" von Neil Diamond. In einer Zeile des Liedes heißt es frei übersetzt: "Ich und du sind ab und zu mal traurig. Aber wenn man seine schlechte Laune nimmt und ein Lied draus macht, singt man sie einfach heraus."