Auch nach dem EU-Gipfel ist die Währungsunion noch nicht gerettet

Es gab mal Zeiten, in denen haben EU-Gipfel vielleicht nicht die Welt, aber zumindest Europa bewegt. Die Regierungschefs entwickelten Programme, verteilten Geld, entwarfen Strategien, kurzum, sie gestalteten die Zukunft Europas.

Inzwischen bewegen vor allem die Märkte Europa. Sie zwingen die Politik zu einer Hast, die einen demokratischen Interessenausgleich kaum noch ermöglicht. Die Politik jachtert von Gipfel zu Gipfel, sie jagt von einer "historischen Einigung" zur nächsten. Sie jongliert mit Milliarden, spannt gigantische Euro-Rettungsschirme und strickt einen Fiskalpakt. Und doch steht schon am Ende eines Gipfels fest, dass es wieder nicht reichen dürfte, die Märkte zu beruhigen: In wenigen Monaten lassen sich die massiven Baufehler der Währungsunion nicht beheben, Europa driftet weiter auseinander. Längst ist Griechenland insolvent, es mag nur keiner zugeben. Und auch Portugal und möglicherweise Irland werden um eine Umschuldung nicht umhinkommen.

Und doch ist Politikschelte denkbar unangebracht. Die größten Fehler wurden nicht bei den jüngsten Krisengipfeln begangen, sie liegen in der Vergangenheit. Einer war die Aufnahme Griechenlands, das sich nur mit frisierten Zahlen in die Währungsunion schummelte. Den anderen hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit französischer Unterstützung begangen: Es waren Deutsche und Franzosen, die ab 2002 zu hohe Defizite machten und damit mehrfach gegen das Neuverschuldungs-Kriterium von drei Prozent verstießen. Doch die im Maastricht-Vertrag vereinbarten drakonischen Geldstrafen wurden auf Druck aus Berlin und Paris nie verhängt. Dabei hatte der spanische EU-Kommissar Pedro Solbes schon 2003 gewarnt, "wenn die Deutschen die drei Prozent dreimal hintereinander nicht schaffen, sehen auch Franzosen und Italiener keinen Grund mehr, den Stabilitätspakt mitzutragen". Der Mann sollte recht behalten.

Diese kleine Geschichte taugt, übermäßige Erwartungen an den nun beschlossenen Fiskalpakt zu dämpfen. Er ist ein Schritt in die richtige Richtung, die Schuldenkrise lösen aber kann er nicht. Denn kurzfristig werden alle gut gemeinten Sparbemühungen die Probleme nicht lindern, sondern weiter verschärfen. Wohin die brachialen Sparbeschlüsse führen, erleben die Griechen besonders brutal. Die Wirtschaft befindet sich im freien Fall und macht alle Sparbemühungen durch sinkende Steuereinnahmen und wachsende Sozialausgaben obsolet. Auch Italien und Spanien befinden sich in einer Rezession und sparen sich weiter in die Krise.

Und doch hat Kanzlerin Angela Merkel recht, wenn sie darauf beharrt, dass weitere Finanztransfers aus dem Norden an harte Bedingungen gekoppelt werden. Das mag kurzfristig die Probleme verschärfen - mittel- und langfristig ist es die einzige Chance, Europa neu aufzustellen. Die Deutschen haben durch die Agenda-2010-Reformen gezeigt, dass sich schmerzhafte Einschnitte mit den Jahren auszahlen. Der "kranke Mann" Europas, wie Deutschland zur Jahrtausendwende genannt wurde, ist derzeit die Hoffnung des Kontinents. Italien oder Spanien stehen grundsätzlich besser da, als es die panischen Märkte den Ländern noch immer zutrauen. Als die ersten Griechenland-Hilfen beschlossen wurden, lautete das Argument, man wolle eine Ansteckung verhindern. Diese Strategie darf als gescheitert gelten. Mit generalstabsmäßiger Unterstützung der Rating-Agenturen hat sich das Virus längst bis nach Kerneuropa gefressen.

Das allerdings birgt auch die Chance, der unschönen Wahrheit ins Auge zu blicken. Ein Fiskalpakt allein reicht nicht, zugleich muss am Plan B für die überschuldeten Länder wie Griechenland, Portugal und vermutlich auch Irland gearbeitet werden. Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel.