Zwei Hamburger Achitektinnen bauen das erste CO2-neutrale Haus Chinas. Doch Bürokratie und Bauarbeiter erschweren das Projekt.
Hamburg. Weiße Rauchschwaden ziehen in Shanghai durch das oberste Stockwerk. Der hohe Druck presst den Qualm durch jede Ritze ins Freie. Das ist in ganz China noch nie passiert - und verantwortlich sind zwei Hamburgerinnen. Christine Reumschüssel und Ingrid Spengler müssen herausfinden, ob ihr Haus dicht ist, denn die zwei Architektinnen bauen für 4,2 Millionen das Hamburg House auf dem Expo-Gelände in Shanghai, das erste zertifizierte CO2-neutrale Haus Chinas. Sie demonstrieren in dem Land mit dem weltweit höchsten Kohlenstoffdioxid-Ausstoß, was Hamburger Experten umwelttechnisch schon heute leisten.
Architektin Reumschüssel lässt mit Gebläsen Luftmassen ins Hamburg House drücken. Die Nebelmaschine hilft bei diesem ersten "Blower-Door-Test" in China, die undichten Stellen zwischen den Fenstern und Mauern zu finden. Die Fassade komplett abzudichten ist in Shanghai besonders entscheidend - anders als in Deutschland nicht um die Kälte draußen zu halten, sondern um die Hitze im Sommer zu bannen.
Die Gebäude auf der Baustelle ragen in den Shanghaier Himmel, die rot geziegelte Fassade erinnert an Hamburger Torfbrandklinker. An ihr ragt ein Gerüst aus Metall und Bambus bis in den vierten Stock. Innen dominieren nackter Beton, viele Freiräume und weite Treppen. Ein ähnliches Gebäude steht am Sandtorkai 64 in der HafenCity. In Shanghai sind die Fenster jedoch kleiner, die große Glasfront ist nach Norden ausgerichtet, denn die heißen Sommer erlauben für das Passivhaus nichts anderes.
Auf der Baustelle am Huang-Fluss arbeiten rund 100 Chinesen in diesen Tagen, um das Gebäude noch rechtzeitig vor Beginn der Expo am 1. Mai fertigzustellen. Vormittags werden sie von deutschen Facharbeitern eingewiesen, arbeiten einen Nachmittag. Am nächsten Morgen sind 100 andere Chinesen da, die neu eingewiesen werden müssen: Die Expo-Gesellschaft setzt ihre Bauarbeiter flexibel ein.
Das bereitet den Architektinnen Kopfzerbrechen. Zusammen kamen sie schon mehr als ein Dutzend Mal auf die Baustelle in Shanghai, fast jeden Monat sitzt eine von ihnen im Flugzeug. "Unsere persönliche CO2-Bilanz kriegt das Haus so schnell nicht raus", sagt Reumschüssel. Aber dieses Projekt hat ihre Leidenschaft geweckt. Sie haben sich viel vorgenommen. Doch ihre Versprechen wollen sie einlösen, koste es so viel persönlichen Einsatz, wie es wolle - sogar wenn Steine ihnen von mehreren Seiten in den Weg gelegt werden: Von den chinesischen Expo-Bauherren, von den Baubehörden oder von den Lieferanten. Von jedem Baumaterial, das angeliefert wird, müssen Spengler und Reumschüssel eine Probe ins Labor schicken - nicht selten ist das Material gefälscht.
Reumschüssel und Spengler sehen sich als Vorkämpferinnen für umweltfreundliche Gebäude in China. Das zweite CO2-neutrale Haus, so hoffen sie, könnte schon mit weniger Widerstand gebaut werden - und vielleicht geht dann auch ein Folgeauftrag an die beiden Hamburger Architektinnen.
Aber bisher prallen am Hamburg House Welten aufeinander. Die Geothermie-Pumpe liefert Wärme aus 35 Meter Tiefe in die luftdichte und wärmegedämmte Gebäudehülle. 20 Zentimeter Dämmwolle und dreifach verglaste Fenster helfen gegen die Sommerhitze. Die 450 Quadratmeter große Photovoltaik-Anlage auf dem Dach liefert Strom.
Doch von Wärmerückgewinnung und energiesparenden Beleuchtungssystemen mit Bewegungsmelder haben die Chinesen noch nichts gehört. Sie verstehen nicht, über was die Deutschen gerade reden, und bauen schlicht nicht, was die Architektinnen geplant haben.
"Das ist meine schwierigste Baustelle bisher", sagt Spengler, als sie auf dem Dach steht. Da öffnet sich ein malerischer Blick auf die Nanpu-Brücke, über Spengler verläuft ein leichtes Tragesystem aus Aluminiumstäben, auf denen die Photovoltaik-Platten ruhen. Die Anlagen produzieren 80 Prozent des Strombedarfs des ganzen Hauses und spenden Schatten für die Dachterrasse. Das Einzige, was das Panorama stört, sind die gelben Dämmplatten, die sich zu Dutzenden auf dem Dach stapeln, ein Stapel neben dem anderen. Damit die nicht verrotten, muss eine Dampfsperre unter die Dämmung, eine mit Aluminium beschichtete Folie, die die Feuchtigkeit abhält. Was eine Dampfsperre ist, haben die Chinesen nicht gewusst, also haben sie sie erst gar nicht gebaut. "Und dann wird ewig diskutiert, die sagen, sie hätten sie eingebaut, wir sagen, das kann ja gar nicht sein, wir sehen nix davon", sagt Spengler. Die beiden haben sich durchgesetzt, alle Dämmplatten sind wieder abgedeckt und warten auf ihre Alu-Unterlage.
Schon haben sich zahlreiche chinesische Architekten und Stadtplaner angemeldet, um zu sehen, was die Technik aus dem Westen tatsächlich kann. "Deutsche Technik nach China exportieren, lässt sich leicht dahersagen und beschönigen, aber wir gehen bis zum letzten bitteren Detail", sagt Reumschüssel.
Vor Ort verhandeln sie mit den Baubehörden für Brand- und Erdbebenschutz und kämpfen um ihre Entwürfe - darum, dass die überhängenden Gebäudeteile auf den Plänen nicht zusammengestrichen werden. Stilistische Freiheiten wie diese stehen nicht in Einklang mit dem Erdbebenschutz in China, da sind die Behörden strikt.
"Wir haben Deutschland jetzt als Land der offenen und interpretierbaren Vorschriften entdeckt", sagt Spengler.
Andere Probleme lösen Chinesen weit pragmatischer:
Die dreifach verglasten Fenster für das Hamburg House müssen die Architektinnen aus Deutschland anliefern lassen - als einzige Teile, die es in China nicht zu kaufen gibt. Wertvolle Stücke, 10 000 Euro pro Scheibe, beim Einbau darf nichts schiefgehen. Einen speziellen Kran haben Reumschüssel und Spengler bestellt. Doch als Reumschüssel an diesem Morgen auf die Baustelle kommt, traut sie ihren Augen nicht: Der Kran ist nicht da, und am Bambusgerüst hängen Bauarbeiter und reichen die Scheiben nach oben. "Das ist lebensgefährlich für die Arbeiter", sagt Reumschüssel. Am Ende verletzt sich niemand, nur eine Glasscheibe hat es nicht überlebt.
Bis zum 1. Mai muss das Hamburg House fertig sein, dann beginnt die Expo in Shanghai. Zum ersten Mal können sich auch einzelne Städte und Regionen auf einer Expo präsentieren. Bremen, Freiburg und Düsseldorf sind mit Messeständen vertreten, Hamburg baut als einzige deutsche Stadt. Die meisten der Pavillons werden nach dem 31. Oktober abgerissen, das Hamburg House bleibt stehen. Die Hansestadt zahlt 2,1 Millionen, doch Shanghai ist alleiniger Eigentümer.
Was die Stadt mit dem Haus anfängt, ist noch nicht klar. Vielleicht zieht das Hamburg Liaison Office ein, das sich um die Städtepartnerschaft zwischen Shanghai und Hamburg kümmert. Heute arbeitet dessen Chef als Projekt-Steuerer für das Hamburg House. Ob das Office dann später hier Miete zahlen muss, entscheidet die Stadtregierung von Shanghai.