Busfahrer, Akademikerin und die Altenpflegerin - der Niedriglohnsektor hat sich auf viele Mittelstand-Berufe ausgeweitet.
Hamburg. Vollzeitjob und trotzdem als "Aufstocker" angewiesen auf staatliche Hilfsleistungen? Für rund 1,4 Millionen deutsche Arbeitnehmer (davon 32 000 Hamburger) ist das längst Realität, der sogenannte Niedriglohn-Sektor ist in Deutschland als Folge der Hartz-IV-Gesetze stetig angewachsen, wie der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach kritisiert. Etwa ein Fünftel aller Arbeitsverhältnisse seien davon betroffen, schätzt er.
Tatsächlich sparen längst nicht nur private Unternehmen Personalkosten - auch der Staat oder Kirchen lagern Jobs aus oder zahlen wenig. Beipiele dafür sind auch in Hamburg zu finden:
Fluggast-Kontrolleure eines privaten Sicherheitsdienstes am Flughafen wollen das nicht mehr hinnehmen: Sie klagen jetzt auf Festeinstellung bei der Bundespolizei. Busfahrer der PVG in Hamburg streiken, um genauso bezahlt zu werden wie ihre Kollegen von der Hochbahn. Beide Unternehmen gehören zur Stadt. Eine Altenpflegerin muss Vollzeit bei einer Kirche arbeiten, ist aber ohne jeden Tarifschutz als Hilfskraft angestellt. Und selbst ein Studium schützt nicht mehr davor, in den Niedriglohnbereich abzudriften, wie eine Hamburger Volkswirtin bei der Bahn und ein Call-Center-Agent erfahren müssen.
Dabei ist unter Experten umstritten, ob Niedriglöhne nun volkswirtschaftlicher Heilsbringer oder sozialpolitische Todsünde sind. Hans-Werner Sinn und Rudolf Hickel, beides Wirtschafts-Professoren, stehen in der Fachwelt für die unvereinbaren Thesen. Ohne Niedriglöhne gebe es solche Jobs gar nicht und mehr Menschen wären ohne Arbeit, sagt Sinn vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. "Besser die Arbeit subventionieren als die Arbeitslosigkeit", ist sein Credo. Hartz-IV und die Angst vor sozialem Abstieg habe dazu geführt, dass Menschen mies bezahlte Arbeit annehmen und das gesamte Lohngefüge immer weiter sinkt, heißt die Gegen-These von Hickel. Er warnt, dass sich Deutschland in "erschreckender Weise zum Billiglohnland" entwickelt habe.