Energieversorger Vattenfall steht in der Kritik. Seit dem Verkauf der HEW nach Schweden gibt es Ärger. Verdruss herrscht schon seit fast zehn Jahren.
Hamburg. Einmal noch durften die ehrwürdigen Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) in der Bundesliga mitspielen, einmal noch im Rampenlicht stehen. Mitte Juni 2001 unterzeichnete der damalige HEW-Chef Manfred Timm gemeinsam mit den Vertretern der rot-grünen Bundesregierung und der drei deutschen Stromkonzerne RWE, E.on und EnBW den Vertrag über den Atomausstieg in Deutschland. Zwar waren die HEW in dieser Runde der weitaus kleinste Stromversorger, als Miteigner und einer der Betreiber der Atomkraftwerke Krümmel, Brokdorf, Brunsbüttel und Stade aber dennoch ein unverzichtbarer Akteur. Nur wenige Tage später, noch vor Ende des Monats, folgte Timms persönlicher Ausstieg - sein Abgang als HEW-Chef, erzwungen vom Mehrheitsaktionär Vattenfall.
Die vermeintlich sanften Schweden von Vattenfall - das Wort bedeutet Wasserfall und verweist auf den hohen Anteil der Wasserkraft in dem skandinavischen Land - entpuppten sich als Sturzflut für die HEW. Nachdem das Großprojekt des Atomausstiegs vollendet war, wurde Timm vom damals neuen Vattenfall-Konzernchef Lars Göran Josefsson sogleich aus dem Amt gespült. Mit seiner Eigenwilligkeit und seinem Renommee stand Timm den Neubauplänen von Vattenfall für die nordostdeutsche Stromwirtschaft im Weg.
Nun muss Vattenfall-Chef Josefsson auf Druck der schwedischen Regierung - Vattenfall gehört dem Staat Schweden - selbst seinen Posten räumen. Noch "vor dem Sommer" werde er die Führung des Konzerns an den Norweger Øystein Løseth übergeben, sagte Josefsson dieser Tage der "Welt". In den vergangenen neun Jahren hat Josefsson zwar einen der führenden Stromkonzerne in Europa aufgebaut. Doch gerade der deutsche Teil dieses Konzerns, Vattenfall Europe, dessen Teil die HEW wurden, sorgte in den vergangenen Jahren mit Misswirtschaft und Fehlentwicklungen für erhebliche öffentliche Entrüstung. Die Verbindung von Hamburg und Vattenfall stand nie unter einem guten Stern.
Ende der 90er-Jahre hatte sich Vattenfall bei den HEW eingekauft, noch zur Zeit des rot-grünen Senats in Hamburg unter Führung von Bürgermeister Ortwin Runde (SPD). Hintergrund für den Konzern war die von der Europäischen Kommission forcierte Öffnung des europäischen Strom- und Gasmarktes, die Schaffung eines freien Wettbewerbs. Die Stadt wiederum musste dramatische Finanzlöcher stopfen und verkaufte dafür auch Tafelsilber, die HEW und den Erdgasversorger Hein Gas, der beim E.on-Konzern landete. Das letzte Viertel an den HEW, die Sperrminorität, kaufte Vattenfall nach dem Hamburger Regierungswechsel im Jahr 2002 vom neu gebildeten Senat unter Führung der CDU. Schon vor dieser Transaktion fürchtete der neue Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU), dass der Verkauf der Stadt Hamburg nicht nur Freude bringen würde: "Der HEW-Verkauf durch die frühere Hamburger Regierung war ein schwerer standortpolitischer Fehler. Denn die Stadt hat nicht nur die HEW verkauft, sondern auch die unternehmerische Führung", sagte Peiner im Frühjahr 2002 mit Blick auf SPD und Grüne. Das hielt den Senat jedoch nicht davon ab, Vattenfall mit dem Verkauf der übrigen Anteile den vollen Durchgriff auf das Unternehmen zu sichern. 870 Millionen Euro Erlös im Vergleich zu den verbliebenen Rechten eines Minderheitsaktionärs waren dann doch wohl doch zu verlockend.
Vattenfall gliederte die HEW nach der Komplettübernahme rasch in den neuen Konzernverbund ein und strich 2005 - nach 111 Jahren - den Namen HEW. Mit dem Wettbewerb wiederum ging es weniger gut voran. In ganz Deutschland entpuppte sich die Liberalisierung des Strom- und des Gasmarktes zunächst als Chaos. Noch mächtigere Großkonzerne hatten die staatlichen Regionalversorger abgelöst.
Hinzu kamen im Jahr 2007 schwere Pannen in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel, die von einer desaströsen Öffentlichkeitsarbeit bei Vattenfall noch erschwert wurden. Sie kosteten den damaligen Chef von Vattenfall Europe, Klaus Rauscher, den Job, und Vattenfall das Image, ein "sauberer" Stromkonzern zu sein. In Hamburg schwächte zudem ein schmerzhafter, seit Jahren andauernder Streit um das neue Kohlekraftwerk Moorburg die Position von Vattenfall. Auch Bürgermeister Ole von Beust zog deshalb im Sommer 2007 ein negatives Fazit zum Verkauf der HEW: "Die HEW wurden unter meinem Amtsvorgänger, Bürgermeister Runde, vom damaligen rot-grünen Senat verkauft. Im Nachhinein und mit dem heutigen Wissen war es ein Fehler. Heute würde ich die HEW nicht mehr verkaufen", sagte er.
Ganz so einfach allerdings ist es wohl nicht. Gemessen an den Großkonzernen E.on und RWE, die sich zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts in Deutschland bildeten, waren die HEW ein Zwerg, im Kern nichts anderes als ein größeres Stadtwerk. Das allerdings mochte man im stolzen Hamburg nie wahrhaben. Im Nachhinein lässt sich nicht mehr beurteilen, ob eine eigenständige HEW im Wettbewerb am Strommarkt hätte bestehen können, doch Skepsis erscheint berechtigt: "Ich bezweifle tunlichst, dass eine HEW in städtischem Eigentum den Hamburger Stromkunden deutlich bessere Preise hätte bieten können. Und auch eine städtische HEW hätte Stellen streichen müssen", sagt Rainer Wiek, Chefredakteur des Energie-Informationsdienstes (EID) in Hamburg. "Gemessen an den hohen Anforderungen der Liberalisierung hatte Hamburg damals überhaupt keine andere Wahl, als die HEW zu verkaufen."
Immerhin, Wettbewerb am Strommarkt gibt es mittlerweile. Rund 120 Tarifangebote verschiedener Versorger findet man für Hamburg im Onlineverbraucherportal Verivox. Der Wechsel des Anbieters ist so einfach wie nie.
Zugleich gibt es eine Rückbesinnung auf die Vorteile einer kommunalen Energieversorgung. Der schwarz-grüne Senat will die Trendwende unterstützen und ließ 2009 das neue Unternehmen Hamburg Energie gründen, das zum letzten öffentlichen Versorger Hamburg Wasser gehört. "Man ist fast überall zu der Einsicht gelangt, dass der Verkauf der HEW falsch war", sagt Michael Beckereit, Geschäftsführer von Hamburg Energie, mit Blick auf die Hamburger Politik. Eine bessere Werbung kann sein Unternehmen nicht bekommen. Jetzt muss es sich am Hamburger Strommarkt nur noch durchsetzen. Gut 80 Prozent Marktanteil hält hier heute Vattenfall Europe.