Im Gespräch entdecken Hamburgs Erzbischof Werner Thissen und HSV-Vorstandschef Bernd Hoffmann erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.
Hoffmann: Haben Sie beim Tischfußball früher auch die Füße der Spielfiguren angefeilt, damit der Ball besser über den gegnerischen Abwehrspieler fliegt?
Thissen: Nein, wir sind aus anderen Generationen. Meine Figuren waren aus Holz, die werden Sie nicht mehr kennen.
Hamburger Abendblatt: Herr Bischof, besuchen Sie jedes HSV-Heimspiel?
Thissen: Leider nicht, der HSV und die katholische Kirche sind zeitlich Konkurrenten, weil viele Veranstaltungen samstags sind. Wenn ich gehe, dann meist freitags- oder sonntagabends.
Abendblatt: Sind Sie wegen eines Fußballspiels schon mal zu spät zum Gottesdienst gekommen?
Thissen: So lange ich in Hamburg bin, noch nicht.
Abendblatt: Anderes Thema: Sind Spielerverdienste in Millionenhöhe christlich vertretbar?
Thissen: Das ist Marktwirtschaft im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Gute Spieler wollen gut bezahlt werden. Zu berücksichtigen ist, dass Profis nur einige Jahre so hoch gehandelt werden.
Abendblatt Hat ein Fußballer bei Ihnen schon mal um die Kirchensteuer gefeilscht? Bei Steuerzahlern mit hohem Einkommen ist ja eine Sonderregelung möglich.
Thissen: Das fällt unter das Steuergeheimnis.
Abendblatt: Herr Bischof, Ihre Mutter hat mal über Sie gesagt: ,Der Junge hat nur Fußball im Kopf.‘
Thissen: Um Himmels willen!
Abendblatt: Wie wurden Sie Bischof – und nicht Fußballmanager?
Thissen: Ich will Herrn Hoffmann nicht zu nahe treten. Aber ich würde auch gern Ihrem Beruf nachgehen. (An Hoffmann gewandt:) Wären Sie vielleicht gern Bischof geworden?
Hoffmann: Meine Großmutter hätte das gerne gesehen. Ich bin in einer katholischen Region, in Leverkusen, groß geworden. Von daher wäre eine Karriere in der Kirche möglich gewesen.
Thissen: Wir können ja mal fantasieren, wie es uns im jeweils anderen Beruf ergangen wäre. In den 50er-Jahren gab es kaum Profifußball und wenig Management. So stellte sich für mich die Frage nicht, und ich bin gerne Theologe geworden. Aber die Aufgabe finde ich toll, bei Ihnen arbeiten 200 Menschen, plus Ehrenamtliche und die vielen, vielen Fans. Da kann man Menschen zusammenbringen für ein wichtiges Ziel – das tue ich auf andere Weise auch. Meine Aufgabe ist es, mit vielen Menschen im Gespräch zu sein, ähnlich wie bei Ihnen.
Hoffmann: Das Faszinierende an unseren Aufgaben ist, dass wir oft an einem Tag mit sehr unterschiedlichen Menschen zusammenkommen. Das empfinde ich als Glück, morgens mit dem Bischof und Journalisten, später mit Spielern, einem Spielerberater oder Fanvertretern. Und zum HSV wie in die Kirche kommen Menschen freiwillig, um sich für eine Sache zu engagieren.
Abendblatt: Kann der Profifußball von der Kirche lernen?
Hoffmann: Die Klarheit in der Position würde ich gerne übernehmen. Das empfinde ich als positive Kompromisslosigkeit, wenn die Kirche als moralische Autorität auftritt, ohne immer darauf bedacht sein zu müssen, wie die Politik oder andere reagieren. So finde ich die klaren Worte zum Erhalt des Sonntags gut.
Abendblatt: Aber im Fußball fehlt der Papst als letzte Instanz.
Hoffmann: Dafür haben wir den Kaiser, auch wenn der begrenztere Möglichkeiten hat. Aber auch im Fußball halten sich viele für unfehlbar.
Abendblatt: Was fehlt denn der Kirche, was der Profifußball hat?
Thissen: Ich wünsche mir manchmal mehr emotionale Begeisterung. Aber der Fußball hat sogar kirchenähnliche Riten. Es wird gesungen wie auch im Gottesdienst, einige Gebärden und auch die sportliche und liturgische Kleidung kann man vergleichen. Bei uns ändern sich die Farben je nach Kirchenjahreszeit, beim HSV bleiben sie.
Abendblatt: Herr Bischof, welche Fanartikel besitzen Sie?
Thissen: Den HSV-Schal und die Kappe. Beides trage ich, wenn ich im Stadion bin. Der HSV hat übrigens immer gewonnen, wenn ich im Stadion war.
Abendblatt: Sie qualifizieren sich gerade für eine Dauerkarte.
Thissen: Ob das dann noch so wäre, bezweifele ich. Ich denke immer, geh nicht zu schnell wieder hin, sonst stürzt mein Rekord. Gegen Bayern München hieß es von anderen Fans: „Heute kippt Ihr Rekord.“ Er ist nicht gekippt. Gegen Mainz 05 war ich mit Schülern im Stadion. Auf der Rückfahrt in der S-Bahn gab dann ein Mainz-Fan zum Besten: „Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir Kardinal Lehmann mitgebracht – dann hätten wir gewonnen.“
Abendblatt: Waren Sie stets HSV-Fan?
Thissen: In Münster war ich in der Bundesliga-Diaspora. Dort habe ich mich für den nächsten Verein interessiert, Borussia Dortmund. Der hat sogar kirchliche Wurzeln. In Hamburg war klar: Der HSV ist mein Verein, auch wegen Posipal und Seeler – beeindruckende Charaktere.
Hoffmann: Das Einzugsgebiet des HSV ist fast deckungsgleich mit dem Erzbistum Hamburg. Unser Verein setzt sich zu je einem Drittel aus Hamburgern, Schleswig-Holsteinern und dem übrigen Umland zusammen. Ich werte das als gutes Omen. So wie Ihre Amtseinführung und meinen Beginn beim HSV vor knapp sieben Jahren, die nur sechs Tage auseinanderlagen.
Abendblatt: Auf Schalke gibt es eine Kapelle im Stadion. Ist das ein Vorbild?
Thissen: Zum Gottesdienst gehen wir in den Mariendom, zum Fußballspielen ins Stadion.
Hoffmann: Der Dom eignet sich besser für Gottesdienste.
Abendblatt: Darf man als Katholik für einen Sieg beten?
Thissen: Zum Beten gehört die Weisung Jesu „Herr, dein Wille geschehe“. Der Betende muss sich Gottes Willen anpassen, nicht umgekehrt. Ich wünsche mir manchmal den Sieg, aber dafür beten würde ich nicht. Das wäre auch langweilig, wenn die Mannschaft, für die ich beten würde, immer gewänne.
Abendblatt: Darf ein Katholik brüllen:„Schiri, du Idiot!“?
Thissen: Ja, das sage ich zu meiner eigenen Entlastung. Im Stadion geht das – das ist Emotion pur.
Abendblatt: Welche Wünsche haben Sie für die Kirche, Herr Hoffmann?
Hoffmann: Ich wünsche ihr volle Häuser und eine offensive Spielausrichtung, ein klares Bekenntnis zu Standpunkten in einer Gesellschaft, in der so vieles auseinanderdriftet und so viele Menschen nach Orientierung suchen.