Unternehmer Ludwig Görtz und Chefdirigent Christoph von Dohnanyi sprachen mit Abendblatt-Redakteurin Maike Schiller über Gemeinsamkeiten in ihren Berufen.

Abendblatt: Sie arbeiten in ganz unterschiedlichen Branchen – ist Ihre große Gemeinsamkeit mit den Begriffen Autorität und Führungskompetenz treffend beschrieben?

Christoph von Dohnányi: Es gibt Strukturen, die heute sehr viel mehr auf dem altmodischen Begriff der „Autorität“ aufbauen, im Sport zum Beispiel, das ist eine unglaublich autoritäre Menschenführung. Einer bestimmt – und wenn’s nicht läuft, fliegt der Trainer raus. Das war in unserem Beruf – und in Ihrem sicher auch, Herr Görtz – eher früher so.

Ludwig Görtz: Ja, früher war das Partriarchalische von größerer Bedeutung. Da sind, was Autorität und Menschenführung angeht, der Dirigent eines Orchesters und der Dirigent eines Unternehmens höchst unterschiedlich. Wenn ein Dirigent beide Arme hebt, sagt schon die Körpersprache: Alles hört auf mein Kommando. Das ist Autorität. Und wenn einer zu früh einsetzt, kriegt er womöglich eins mit dem Taktstock über. Das gibt’s es bei uns nicht mehr.

Dohnányi: Das gibt es bei uns natürlich auch nicht mehr.

Abendblatt: Nicht mehr?

Dohnányi: Nun ja, ich habe noch Toscanini gesehen. Wenn der rauskam und dem hat das Parfüm eines Musikers nicht gepasst, dann hat er dem bloß ein kurzes „Out!“ zugeraunt. Damals war Autorität wirklich Machtausübung. Das Problem ist ja kein Neues, darüber hat Marx ja schon geschrieben. Bei Ihnen im Betrieb muss doch heute auch die Autorität aus der Person heraus wachsen, oder?

Görtz: Richtig. Die Person muss mich von ihrer Autorität überzeugen. Aber ich habe gerade erst ein Interview mit Anne-Sophie Mutter gelesen, die sagte: Dirigenten wollen herrschen, wollen be-herrschen. Das ist so in der Wirtschaft nicht mehr möglich. Man muss mehr überzeugen als herrschen.

Dohnányi: Ja, aber Frau Mutters Erziehung ist natürlich durch Karajan geprägt. Karajan ist eine ganz andere Generation. Das war wirklich der letzte Herrscher unter den Dirigenten, das gibt es heute nicht mehr so. Sie haben vollkommen recht, heute muss man mehr überzeugen, die Autorität wird nicht mehr einfach „verliehen“ wie früher durch ein Erbe oder durch das Kapital.

Görtz: Ich könnte mir vorstellen, dass die Musiker von heute auch anders sind. Ich habe gerade das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker gesehen, da war ich überrascht, wie viele junge Gesichter im Orchester waren. Ich kann mir vorstellen, dass Musiker dieser Generation anders zu führen sind, auch mehr bereit sind zu diskutieren.

Dohnányi: So ist es.

Abendblatt: Hat, im Orchester wie im Unternehmen, der veränderte Führungsstil Auswirkungen auf das Ergebnis?

Görtz: Ich glaube ja. In der Unternehmensführung braucht man heute auch die Akzeptanz der Mitarbeiter. Wenn sie die Aufgabe nicht nur aufgrund einer Anweisung erfüllen, sondern sich mit ihr identifizieren, kann das Ergebnis deutlicher besser sein als vor 30, 40 Jahren, als qua Autorität ein Ziel vorgegeben wurde. Mitarbeiter heute sind kritischer. Das geht nicht so weit wie bei dem Berliner Philharmonikern, dass sie ihren Dirigenten selbst wählen, aber sie sind mindestens genauso kritisch. Und wenn der Unternehmer es richtig macht, stellt er sich dieser Kritik und bürstet sie nicht ab. Ich weiß nicht, ob das bei Ihnen ähnlich ist?

Dohnányi: Bestimmt sogar. Ein Orchester ist ein sehr heterogenes Kollektiv. Wir haben ein starkes Gemisch verschiedenster Denkweisen, ganz unterschiedlichster Menschen und Einflüsse,…

Görtz: Frauen neuerdings!

Dohnanyi: Ja, Frauen! Ein Orchester ist ein ganz gutes Bild unserer Gesellschaft, das man mit einem Führungsstil überzeugen muss, der Resultate bringt. Letztendlich ist Ihr Beruf wie meiner: Wir sind alle resultatgebunden.

Görtz: Richtig. Am Ende zählt das Ergebnis.

Dohnányi: Eben.

Görtz: In der Wirtschaft kann man seinen Erfolg am Produkt ablesen und an der Gewinn- und Verlustrechnung. Wie ist das bei Ihnen? Wer beurteilt Ihre Resultat? Sind das die Ticketverkäufe oder die Zeitungskritiken?

Dohnányi: Das Publikum ist wichtig, aber wir wissen auch, dass ganz große Musik manchmal kein Publikum gefunden hat. Der Musikmarkt wird grässlicherweise beherrscht von Einflüssen, die oft gar nichts von Kunst wollen, sondern nur daran verdienen möchten. Das ist gefährlich und erschreckend, was sich da teilweise tut.

Abendblatt: Sie arbeiten beide in herausgehobener Position. Fühlen Sie sich an der Spitze manchmal einsam?

Görtz: Nein, gar nicht, weil es keine einsamen Entscheidungen mehr gibt. Jede Entscheidung im Wirtschaftsleben hat so viele Auswirkungen in Bereiche hinein, dass sie sehr gut vorbereitet werden muss. Wenn kein Grundwachstum mehr vorhanden ist, hat jeder Fehler viel dramatischere Folgen als zu Zeiten, da Fehlentscheidungen durch Wachstum übertüncht wurden. Entscheidungen müssen deshalb heute gut abgesichert werden. Der Unternehmer kann das ganze Fachwissen dafür gar nicht mehr beherrschen, er braucht also viele interne und externe Berater.

Dohnányi: Als Künstler ist man in gewisser Weise immer einsam, aber man hat als Partner immer die Kunst. In der Kunst ist die einzige Autorität, die ernst zu nehmen ist, das Werk. Deswegen finden Sie heute sehr viel mehr Versuche, einem Werk die Buchstäblichkeit abzugewinnen. Es ist der Versuch, sich dem Werk unterzuordnen, allerdings kann kein Werk bestehen ohne die Individualität des Interpretierenden. Sie schauen und hören ja auch individuell.

Abendblatt: Hat Führen also auch mit Dienen zu tun?

Görtz: Ohne das geht es nicht. Man dient dem Unternehmen, der Tradition, dem Ruf, der Zukunftsfähigkeit. Dazu gehört auch Demut. Bescheidenheit. Realitätssinn. Damit man sich nicht entfernt und möglicherweise in Sphären schwebt, wo man seine Bodenhaftung verliert.

Dohnányi: (lächelt) Da hilft es, wenn man Hamburger ist.