Auch in der Höhe des Unterhaltsgeldes spiegelt sich wider, wie sehr eine Gesellschaft ihren Nachwuchs schätzt. Wem hilft die Erhöhung um 13 Prozent?
Was Kinder kosten dürfen - und können - das wurde für viele jetzt gerade zu Weihnachten wieder deutlich: Während in einigen Familien über 160 Euro für einen iPod Nano für den Nachwuchs diskutiert wurde oder das Mountainbike für 300 Euro bereits unterm Baum stand, war in anderen nicht einmal eine Extraportion Schokolade im Monats-Budget vorgesehen. Nicht einmal dafür reicht bei vielen das Geld.
Armut hat in Deutschland oft das gleiche Gesicht: alleinerziehend, weiblich, Hartz IV.
In der Politik ist, auch wenn es den Wohlfahrtsverbänden noch längst nicht ausreicht, das Problem angekommen. Kinder als Armutsfaktor, das ist für ein Wohlstandsland wie Deutschland beschämend. Wie viel sind dem Staat die Kinder wert?
Auf jeden Fall immer mehr. Gegen heftige Widerstände hat die schwarz-gelbe Bundesregierung den schon eingeschlagenen Weg der Familienförderung gleich zu Beginn ihrer Regierungszeit weitergeführt und das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöht. Da sich dies nun auch in der Düsseldorfer Tabelle, die als Richtlinie für den Unterhalt für Trennungskinder gilt, niederschlägt, wird ein Teil des Armutsgesichts davon profitieren: Kinder und Alleinerziehende.
2,2 Millionen Kinder von Alleinerziehenden können sich über höheren Unterhalt freuen. Im Schnitt 13 Prozent, das ist so viel wie nie zuvor. Ein Plus von 26 Euro für die unterste Unterhaltsgruppe - darin kann auf jeden Fall schon die Extra-Portion Schokolade stecken. Mehr als ein "wenigstens das" ist es allerdings nicht.
"Es ist ein richtiger Weg, aber reicht in der Regel bei Weitem nicht aus, den Bedarf des tatsächlichen Unterhaltsbedarfs eines Kindes zu decken", sagt die Hamburger Fachanwältin für Familienrecht, Melanie Franke. Das Statistische Bundesamt hat 2003 bereits errechnet, dass ein Ehepaar für sein Einzelkind im Monat 549 Euro "Konsumausgaben" hat. Eine neuere Statistik gibt es nicht, doch heute, sieben Jahre später, werden die Kosten noch größer sein. In dieser Höhe wird Unterhalt nur von (überwiegend) Vätern mit einem Einkommen ab 4301 Euro an ihre von ihnen getrennt lebenden Kinder, die älter als zwölf Jahre sind, gezahlt.
Gerade ab zwölf Jahren nehmen aber die Ausgaben für Kinder erst richtig zu. Für Essen und Trinken zahlen Eltern der Studie zufolge 150 Euro, unter zwölf Jahren liegt der Betrag bei 96 Euro. Für Kleidung 55 Euro, 170 für Wohnen und Energie, 57 Euro für Computer und Telekommunikation. Aber seit der letzten Erhebung 2003 waren Klingeltöne und MMS noch nicht so wichtig, heute wäre der Betrag sicher höher. Hobbys, Bücher oder Kino - für solche Freizeitgestaltung müssen 92 Euro im Monat aufgebracht werden.
Aber nicht jede Unterstützung, die vom Staat gut gemeint ist, kommt auch gut an. So sind die Erhöhung von Kindergeld und -freibetrag zwar ein "gutes Entlastungsprogramm" für funktionierende Familien, wie die Familienanwältin Karin Damm aus Hamburg sagt, und: "Bei den nicht mehr funktionierenden Familien sind die erhöhten Unterhaltssätze für die empfangende Hälfte erfreulich, weil sie den Kindern deutlich mehr Geld bringen." Verlierer allerdings ist der zahlende, getrennt lebende Elternteil. Für diesen, so Damm, seien "die deutlich höheren Sätze sehr bitter". Und nicht alle Unterhaltszahler werden sie nach ihrer Meinung aufbringen können.
Die Unterhaltsrechtsreform vom 1. Januar 2008 war bereits dafür gemacht, die Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Seitdem orientiert sich auch das Minimum an Unterhalt nicht mehr an der Einkommensentwicklung, sondern am steuerlichen Kinderfreibetrag, also dem Teil vom Jahresgehalt, der nicht versteuert werden muss. Der wiederum basiert auf dem Existenzminimum. "Eine politisch motivierte Erhöhung des Kinderfreibetrags beeinflusst also die Unterhaltssätze der Düsseldorfer Tabelle, auch wenn sich die Einkommen in der Gesellschaft statistisch nicht erhöht haben", sagt Damm. "Dann werden höhere Unterhaltssätze für den Zahler zu einer echten Zusatzbelastung, die auch am Ende des Steuerjahres nicht mit dem Freibetrag ausgeglichen werden kann." Damit wird für Unterhaltspflichtige das, was als Entlastung für Familien gedacht ist, zum Bumerang.
"Die Erhöhung der Kinderfreibeträge soll eigentlich Familien entlasten, durch die Koppelung an den Mindestunterhalt werden sie für Unterhaltspflichtige aber zur Belastung", sagte gestern selbst der Düsseldorfer Familienrichter Jürgen Soyka. Bis zum Sommer wollen die Richter mit den anderen Oberlandesgerichten über eine Neukonzeption der Tabelle beraten. Zur Diskussion stehen dabei die Staffelung, die Höhe der Summe, die der Unterhaltspflichtige für sich zurückbehalten darf, und der Volljährigenunterhalt.
Mit der aktuellen Entscheidung will sich der Vorsitzende des Interessenverbandes Unterhalt und Familienrecht, Josef Linsler, nicht zufriedengeben. "Die neue Düsseldorfer Tabelle ist absolut lebens- und wirklichkeitsfern", sagte er dem Abendblatt. "Die Löhne und die Wirtschaftslage geben keine 13-prozentige Erhöhung her." Vor allem die Geringverdiener würden belastet. Dabei, so Linsler, kümmerten sich immer mehr Väter und Mütter um die getrennt von ihnen lebenden Kinder. "Kein Elternteil missgönnt den Kindern auch nur einen Euro Unterhalt. Allerdings gibt es ein Ungleichgewicht dadurch, dass manch Trennungsvater oder -mutter über Gebühr belastet und steuerlich quasi wie ein Single behandelt wird." Der Unterhalt steige, aber nicht der Selbstbehalt des Zahlers. Das sind die 900 Euro, die dem Zahlenden für sich selbst übrig bleiben müssen.
Die neuen Familienentlastungen helfen auch den Eltern der 1,7 Millionen Kinder, die mit Hartz IV leben, nicht weiter. Weder der Kinderfreibetrag (sie zahlen keine Steuern) noch die Kindergelderhöhung bringt ihnen einen Euro mehr. Das Geld wird auf die Zahlungen an die Familie angerechnet. "Nach fünf Jahren Hartz IV müssen wir feststellen, dass die Kinder- und Jugendarmut drastisch gestiegen ist", sagte der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger. "Arme Kinder zahlen die Zeche für eine verfehlte Politik, die ihnen ihre Zukunft stiehlt."
16 Prozent der Kinder in Deutschland leben von Hartz IV. Die Hartz-IV-Sätze für Kinder und Jugendliche wurden seit 2005 mehrfach angehoben, doch ob das wirklich reicht, ist mehr als fraglich. Seit Juli vergangenen Jahres liegen sie für Kinder unter sieben Jahren bei 60 Prozent (215 Euro), für Kinder zwischen sieben und 13 Jahren bei 70 Prozent (251 Euro) und für ältere Kinder bei 80 Prozent (287 Euro) vom Erwachsenensatz von 359 Euro.
Für Fachreferent Andreas Kalbitz vom Kinderschutzbund sind die beschlossenen Familienentlastungen ein Zeichen dafür, dass die Regierung mit den Erleichterungen für die Familien zwar ein Problembewusstsein zeigt, aber der Staat eben nicht alle Kinder gleich behandelt. Die Empfänger von Sozialleistungen sehen von den 20 Euro Kindergelderhöhung auf 184 Euro gar nichts, die mittleren Einkommen haben das Plus von 20 Euro und die hohen Einkommen ab 60 000 Euro im Jahr profitieren so sehr von den Steuerfreibeträgen, dass sie unter dem Strich eine Erhöhung von 58 Euro im Monat haben, rechnet Kalbitz vor.
Dabei fehlt es natürlich gerade den Kindern der sozial Schwachen an allem. Nach einer Langzeitstudie der Arbeiterwohlfahrt (AWO) leben neben den 1,7 Millionen Kindern in Hartz-IV-Familien zwischen 13 und 19 Prozent der Kinder auch in gering verdienenden Familien - unterhalb des deutschen Durchschnittseinkommens. In dieser Gruppe der "relativen" Armut ist das Risiko, in anhaltende echte Armut abzurutschen, seit einigen Jahren besonders hoch: Es betrifft eben vor allem Kinder von Alleinerziehenden, von denen schon 37 Prozent von einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze leben. Auch 56 Prozent der großen Familien mit vier und mehr Kindern haben nur das Existenzminimum, ebenso 50 Prozent der Familien mit Migrationshintergrund.
Kalbitz vom Kinderschutzbund erkennt an, dass die Politik etwas für Kinder tut. "Aber es ist alles noch nicht toll", sagt er. Die bisherige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte 2007 bereits ein Elterngeld von 67 Prozent des Nettogehalts für Mütter und Väter in Elternzeit eingeführt, um die finanziellen Belastungen für Familien direkt nach der Geburt eines Kindes abzumildern. Seit 2005 schon gibt es einen Kinderzuschlag von 140 Euro für Eltern, die sonst mit der Geburt des Kindes ein ergänzendes Arbeitslosengeld II beantragen müssten. Immerhin 100 000 Familien profitieren davon, auch wenn Kalbitz die gesamte Regelung noch für zu kompliziert hält. Um dem ganzen Wirrwarr rund um die Unterstützung für Kinder zu entkommen, plädiert der Kinderschutzbund für eine allgemeine Grundsicherung der Kinder von 500 Euro statt der einzelnen Leistungen. Die Grundsicherung soll allerdings nach Einkommen der Eltern gestaffelt ausgezahlt werden.
Wegweisende Worte könnten schon bald vom Bundesverfassungsgericht kommen. Dann wird es über die Hartz-IV-Sätze für Kinder urteilen. Jeder hat Bedürfnisse und einen Bedarf, urteilte das Bundessozialgericht über den Unterhalts-Irrsinn bei Hartz. Und lässt das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob es "kindgerechte Hartz-Höhen" gibt. Schon in der mündlichen Verhandlung im Oktober hat Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier ein Grundsatzurteil angekündigt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er die Unterstützung für Kinder für zu gering hält. Karlsruhe prüft, rechnet nach und urteilt somit nebenbei auch über die neue Düsseldorfer Tabelle. Es geht um nichts weniger als die Menschenwürde und den Sozialstaat, heißt es in Karlsruhe. Und damit auch um den Wert der Kinder.