Der Faustkampf hat nicht das beste Image. Zu Unrecht, behaupten Ärzte. Wer boxen trainiert, schärft die Beweglichkeit von Geist und Körper.

Boxer sind blöd, weil Schläge auf den Kopf nicht gesund sein können. Boxen ist gefährlich, welcher normale Mensch würde schon gern sein Gesicht einsetzen, um damit den Faustschlag eines Gegenübers aufzuhalten?

Außerdem bekommt man als Neuling unter Boxern Minderwertigkeitskomplexe, weil man wie ein Häuflein Elend zwischen lauter Muskelbergen umherspringen muss.

Es gibt eine Reihe von Klischees über den Faustkampf, der schon Jahrtausende, nämlich in der Antike, großen Reiz auf die Menschen ausgeübt hat, den Weg aus der Schmuddelecke jedoch lange nicht fand, weil er angeblich die niederen Instinkte bedient.

Doch wer einmal die Schwelle des Sportzentrums Hankook im Hamburger Stadtteil Langenfelde überschritten hat, kann alle kruden Fantasien fahren lassen und eintauchen in eine Sportart, die der renommierte Hamburger Sportmediziner Klaus-Michael Braumann als "die für ein ganzheitliches Training beste" einstuft.

Boxen, so Braumann, stelle ausgesprochen komplexe Anforderungen an Körper sowie Geist und trainiere dazu noch alle Muskelgruppen.

Dass dies sogar für die Lachmuskeln gilt, dafür sorgt bei Hankook Olaf Jessen. Der 42-Jährige ist seit 1987 ausgebildeter Boxtrainer und legt besonderen Wert darauf, seine Klienten mit einem umfassenden Trainingsprogramm aus dem Alltag zu reißen.

Er weiß um die Nöte des Büromenschen von heute, der nach getaner Arbeit mehrfach überlegt, ob er die heimische Couch nicht doch dem Überwinden körperlicher Grenzen vorziehen soll. Mit flotten Sprüchen versucht Jessen deshalb am Anfang der Trainingsstunde jeden Teilnehmer erst einmal aufzulockern, "um die Konzentration bei allen auf das gleiche Level zu heben".

Eine Stunde dauert so eine durchschnittliche Trainingseinheit, die sich in 20 Minuten Aufwärmphase, 30 Minuten Hauptphase und zehn Minuten Abkühlphase gliedert.

In der ersten Phase wird in verschiedenen Abschnitten die Koordination und Beweglichkeit geschult, in die erste Technikübungen einfließen, die in der Hauptphase benötigt werden. Hier lernen die Teilnehmer in Partnerarbeit, verschiedene Schlagtechniken anzuwenden. Dabei steht es jedem frei, ob er sich das Training mit einem "beweglichen Ziel" zutrauen oder nur am Sandsack üben möchte.

Jessen hat eine interessante Beobachtung gemacht: "Ganz viele Frauen kommen in die erste Stunde und sind überzeugt, dass sie noch nicht einmal in den Handschuh, die sogenannte Pratze, eines Partners oder einer Partnerin schlagen wollen. 99 Prozent dieser Frauen rücken aber schon nach wenigen Wochen davon ab."

Dies ist bei Weitem nicht die einzige Erkenntnis, die man als Neuling im Selbstversuch aus dem Boxtraining ziehen kann. Besonders die Verbesserung der Koordinationsfähigkeit, die durch ritualisierte Bewegungsabläufe von Armen und Beinen geschult wird, ist schon nach wenigen Wochen spürbar. Und mit dem Mythos, dass Kampfsportler unvermeidlich dicke Muskeln haben müssten, räumt Olaf Jessen sowieso von vornherein auf.

"Technik siegt über Kraft. Deshalb ist ein starker Bizeps nur bedingt wichtig. Vielmehr zählt die Athletik, die Bewegungsfähigkeit der Muskeln. Dies, gepaart mit der richtigen Beinarbeit, ergibt die Schlaghärte." Die zudem im Training gar keine Wichtigkeit genießt, weil Hobby-Boxer gar nicht zu harten Schlägern ausgebildet werden sollen.

Das große Plus des Boxens, darüber sind sich alle Experten einig, ist die Komplexität des Trainings, das nicht nur alle Muskelgruppen im Körper anspricht, sondern auch den Geist. "Dadurch, dass man nicht nur wie zum Beispiel beim Laufen an sein körperliches Limit geht, sondern sich auch um die Deckung, das direkte Abwehren eines Gegners kümmern muss, baut man automatisch seine Konzentrationsfähigkeit aus und schult zudem das Selbstvertrauen", sagt Jessen.

Das Training in der Gruppe bewirke, dass man seine Grenzen in Richtung der stärksten Teilnehmer verschiebe, weshalb auch der Sandsack im eigenen Keller nur halb so effektiv wie Training unter Anleitung sei.

Jessen ist der festen Überzeugung, dass Boxen mittlerweile als Breitensport gelten kann. In seinem Studio liegt das Verhältnis zwischen Männern und Frauen an manchen Abenden bereits bei 60:40.

Eine Altersgrenze müsse ebenso wenig beachtet werden wie körperliche Defizite. "Ein fünfjähriges Kind kann mit spielerischen Elementen ebenso ans Boxen herangeführt werden wie eine 70 Jahre alte Dame, die an Osteoporose leidet. Die kann nämlich mit Schattenboxen wunderbare Resultate erzielen", erzählt er.

Wichtig sei jedoch, dass jeder Interessierte sich lediglich mit dem Trainer absprechen und am besten auch im Selbstversuch abklären müsse, welche Art und Intensität der Belastung er einzugehen bereit und fähig sei.

Außerdem ist vor dem Einstieg ein Check des Herz-Kreislauf-Systems zu empfehlen, da, so Sportarzt Klaus-Michael Braumann, "die Belastungsspitzen beim Boxen doch extrem sein können". Das ist auch das einzige Klischee, das nach vielen Trainingseinheiten nicht zu widerlegen ist: Boxen ist unglaublich anstrengend. Aber die Mühe lohnt sich.