Mehr als 140 Kreative haben in der Bauruine ihre Ateliers eingerichtet. Bald will Ikea das alte Karstadt-Gebäude abreißen.
Hamburg. Hinter den Mauern ist es laut und bunt. Noch. Eine weiße Linie führt die verwitterte Rampe hinter dem Frappant hinauf. Gräser wachsen zwischen dem aufgeplatzten Asphalt, Graffiti leuchten von den Wänden. Die Linie führt vorbei an dem Häuschen, in dem früher der Parkwächter saß. Die Scheiben sind zerbrochen, das Parkdeck verwaist. Das alte Karstadt-Gebäude an der Großen Bergstraße in Altona ist ein trostloser Ort. Zumindest auf den ersten Blick. Wer der weißen Linie bis zu ihrem Ende folgt, steht vor dem Eingang zu einer anderen Welt.
Mehr als 140 Künstler haben im Frappant, wo früher auch das Arbeitsamt war, ihre Ateliers eingerichtet. Wo einmal über die berufliche Zukunft vieler Hamburger entschieden wurde, wird jetzt gehämmert, geschweißt und gemalt. Eines der ehemaligen Büros ist jetzt das Reich von Mika Neu (36). An den Wänden hängen leere Bilderrahmen, auf dem Tisch tummeln sich wuchtige Pokale, goldene Zwerge, Stoffreste. 140 Euro zahlt der Installationskünstler pro Monat für die 40 Quadratmeter. Ein guter Preis für ein Atelier mitten in der Stadt. Mehr kann Neu aber auch nicht aufbringen. "Man braucht lange, um im Markt Fuß zu fassen", sagt er. "Und jeder Cent Miete geht vom Material ab." Sparen müssen alle Künstler im Frappant. Die meisten sind um die 30 Jahre alt, kommen gerade von der Hochschule. Fast niemand kann von dem Erlös seiner Werke leben. Katja Windau (37) hatte nach Abschluss ihres Studiums an der Hochschule für bildende Künste versucht, zu Hause zu arbeiten, um sich die Miete für ein Atelier zu sparen. Aber zum Malen, Sägen und Sprühen braucht sie Platz.
Und bis zur nächsten Ausstellung und einem möglichen Verkauf müssen die Installationen, Bilder und Skulpturen gelagert werden. 14 Quadratmeter leistet sich Windau im Frappant. Ihre Diplomarbeit, ein überdimensionales Ei aus Styropor und Papier, musste sie zersägen - aus Platzmangel.
Wie lange sie und die anderen Künstler in der Bauruine bleiben können, ist ungewiss. Drei Etagen hat der von den Künstlern gegründete Verein "Frappant e. V." gemietet. Alle vier Wochen läuft der Vertrag aus. Sollte er nicht mehr verlängert werden, wäre das "eine Katastrophe", sagt Gianna Schade vom Vorstand des Vereins. Die Fotografin hofft noch immer, dass der geplante Abriss des Frappants und der Ikea-Neubau verhindert werden kann. Mit den Ateliers in die Randbezirke der Stadt zu ziehen, kann sie sich nicht vorstellen. "Viele von uns wohnen in Altona", sagt sie. "Wir wollen nicht isoliert werden."
Die meisten Frappant-Künstler haben schon einmal ihr Atelier verloren. "Wir sind hier ein Auffanglager", sagt Mark Matthes (33). Er hatte sein Atelier im Forum Altona, direkt nebenan. Rund 50 Künstler mussten dort Ende März ihre Sachen packen. Mika Neu gehörte zur Ateliergemeinschaft Skam, die im Waschbetonbau am Eingang der Reeperbahn ihr Zuhause hatte. Zwei Bürotürme sollen dort gebaut werden, 25 Künstler mussten Anfang Mai weichen. "Wenn wir jetzt wieder raus müssen, gehe ich nach Berlin", sagt Matthes. Auch Neu hat schon an einen Umzug in die Hauptstadt gedacht. Bislang hält ihn vor allem die Gemeinschaft im Frappant-Gebäude davon ab. "Wie sind hier eine Kunstakademie im wahrsten Sinne", sagt er. "Ich will einfach nur arbeiten, arbeiten, arbeiten."
Das Ergebnis kann man sich ein Stockwerk höher anschauen. Zusammen mit 19 anderen Künstlern hat Neu dort eine Gruppenausstellung organisiert. Zur Eröffnung kamen 800 Gäste. Alle zwei Wochen soll dieser Erfolg wiederholt werden, mit anderen Künstlern aus dem Haus. Bis die Abrissbagger kommen.