14 Stunden Arbeit täglich und zu schlechte Bezahlung. Deshalb zieht Dr. Jan Wiegand-Dreßler mit seiner Praxis nach Poppenbüttel.

Das Ärztehaus an der Gründgensstraße in Steilshoop ist alles andere als einladend. Und doch drängen sich im schmutzigen, zugigen Flur vor den Aufzügen zig Mütter mit ihren Kindern, um in den dritten Stock zu gelangen. Hier befindet sich die einzige Kinderarztpraxis im Viertel. Und selbst diese Praxis schließt zum Ende des Jahres ihre Türen. "Ich komme hier einfach finanziell nicht mehr über die Runden", sagt Dr. Jan Wiegand-Dreßler (45). "Bei bis zu 14 Arbeitsstunden pro Tag verdiene ich zu wenig. Deshalb habe ich den Mietvertrag zum Ende des Jahres gekündigt, ziehe nach Poppenbüttel." Neben niedrigeren Kosten verspricht er sich ein besseres Einkommen durch mehr Privatpatienten. "Ich gehe sehr ungern", sagt Dr. Dreßler, der seit sieben Jahren in Steilshoop praktiziert. "Ich fühle mich mit der Klientel sehr wohl." Seine Kollegin Dr. Ute Ernstberger geht nach Fuhlsbüttel. 3800 Kinder sind dann ohne ärztliche Versorgung.

Die nächsten Kinderärzte befinden sich in Barmbek-Nord und in Bramfeld. "Aber auch diese Ärzte sind voll ausgelastet und haben einen Patienten-Aufnahmestopp verhängt", sagt Quartiersmanagerin Martina Stahl, die mit Besorgnis auf den Ärztenotstand in Steilshoop blickt. Die meisten Patienten wollen daher ihren Ärzten folgen - und nehmen dafür längere Anfahrtswege in Kauf. "Ich werde weiterhin zu ihm gehen", sagt Birgit Kama (31), die mit ihren beiden Söhnen bei Dr. Wiegand-Dreßler in Behandlung ist. "Schließlich kennt er meine Kinder. Aber es wird anstrengender. Anstatt zwei Minuten Fußweg muss ich nun eine halbe Stunde mit dem Auto fahren." Mark Vollbehr, Vater von Zwillingen: "Das ist schon ein starkes Stück, dass es hier keinen Kinderarzt mehr gibt." Die Familie lebt in Wandsbek und muss nun eine Dreiviertelstunde mit Bus und Bahn nach Fuhlsbüttel zu Dr. Ernstberger fahren. Barbara Heidenreich von der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg kennt das Problem: "Wir suchen schon nach einem Nachfolger für die Praxis dort. Aber bisher gibt es kaum Bewerber." Der Grund: "Die Arbeit in Problemvierteln mit hohem Migrantenanteil ist für Kinderärzte extrem unattraktiv, schon wegen der geringen Dichte an Privatpatienten", sagt Dr. Frank Ulrich Montgomery von der Ärztekammer Hamburg. Deshalb müssten Anreize geschaffen werden, um junge Mediziner in Stadtteile wie Steilshoop zu locken. Zum Beispiel mit einer höheren Vergütung oder einer modernen Praxis.

Der Ärztenotstand werde sonst noch größer. Davon geht die Kassenärztliche Bundesvereinigung aus. "Wir rechnen damit, dass wir in zwei bis vier Jahren im Bereich der Kinder- und Jugendärzte einen ähnlichen dramatischen Mangel haben", sagt Dr. Roland Stahl, Sprecher der Bundesvereinigung. "Wer heute Kinder- oder Hausarzt ist, hat einen Knochenjob mit vielen Not- und Nachtdiensten. Arbeitsbelastung und Verantwortung sind sehr hoch - das scheuen viele Medizinstudenten und entscheiden sich eher für einen ruhigeren Job im medizinischen Bereich", so Dr. Stahl.

Ein weiteres Problem ist die Überalterung der Ärzte. Das Durchschnittsalter liegt in Hamburg bei 51 Jahren. Ein Drittel der Mediziner geht bis 2012 in Rente. Und der Nachwuchs fehlt. Derzeit gibt es in Hamburg 136 Kinderärzte. Normalerweise gehen sie in Viertel mit besonders vielen Kindern. Steilshoop ist eine Ausnahme: Dort liegt der Kinderanteil bei 19,3 Prozent - aber es gibt keinen einzigen Kinderarzt. Zum Vergleich: Eimsbüttel hat einen Anteil von 10, 7 Prozent, aber dafür elf Kinderärzte.