13 750 Hektar groß ist der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer. Und die Insel Neuwerk bildet sein Herz.

Auf den ersten Blick haben der Bezirk Hamburg Mitte, unzählige Wattwurmhäufchen und ein verirrter Gänsegeier nicht viel gemeinsam. Doch eine Schnittmenge existiert tatsächlich. Sie ist 13 750 Hektar groß und heißt Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer - Hamburgs größtes Naturschutzgebiet, wenn auch nicht in den klassischen Stadtgrenzen der Hansestadt gelegen.

Die Insel Neuwerk, einer der ältesten Stadtteile Hamburgs (und der mit 40 Einwohnern am dünnsten besiedelte) war vor 900 Jahren noch eine spärlich bewachsene Düneninsel. Heute ist sie das Herz des Nationalparks und Besuchermagnet für Wattenmeer-Gäste. Gibt sie deren Gang über den periodisch trockenfallenden Meeresgrund doch ein Ziel.

Die ersten Menschen, die die damals als "O" bezeichnete Insel nutzten, wenn auch nicht besiedelten, waren Geestbauern, die hier im Sommer ihr Vieh weideten, Fischer, die hier ihre Stützpunkte hatten und Seeräuber, die die Insel gelegentlich anliefen. Gegen Letztere sowie Handelskonkurrenten wollte sich das mehr als 100 Kilometer stromaufwärts gelegene, aufstrebende Hamburg wehren. Und erbat von den Herzögen von Sachsen-Lauenburg die Erlaubnis, auf der in der Elbmündung gelegenen Insel ein "Werk" zum Schutz des Seehandelsweges zu bauen. Der Bitte wurde stattgegeben und so entstand von 1300 bis 1310 der mächtige Wehrturm, der "Nige Wark", das neue Werk.

Wer das gewaltige, viereckige Bauwerk im Stil eines normannischen Turmhauses nicht gesehen hat, ist nicht auf Neuwerk gewesen. Nur ein weiteres Fotomotiv macht ihm den ersten Platz der Insel-Motive streitbar: Der am Fuß des Turms aufgehängte Briefkasten, dessen Leerungszeiten mit "Gezeitenabhängig" angegeben sind. Für Landratten immer wieder ein großer Spaß.

Gut 15 000 Gäste kommen in der Saison, zwischen Ostern und dem Ende der Herbstferien, nach Neuwerk. Dem gegenüber stehen weit mehr gefiederte Gäste: Allein rund 200 000 Brandenten mausern von Juni bis September im Gebiet der Elbmündung. Damit wechseln hier drei Viertel des gesamten europäischen Bestandes ihr Gefieder. Und geben einen kleinen Eindruck von der Wichtigkeit des Wattenmeeres, das als Drehscheibe des Vogelzuges und Kinderstube der Seevögel fungiert.

"Gucken Sie sich das an", sagt Peter Körber, sticht eine Forke in den Wattboden und fördert mit diesem kleinen Aushub Dutzende Lebewesen an den Tag - jedenfalls ist das die Anzahl, die auf Anhieb sichtbar wird. Wattwürmer mit ihren roten Kiemenbüscheln, agile Ringelwürmer, Pfeffer- und Sandklaffmuscheln sind darunter. "Im Zweiten Weltkrieg hat man versucht, Muschelwurst herzustellen", erzählt Körber, einer der zuständigen Mitarbeiter der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt für den Nationalpark. Den Menschen hat es nicht sonderlich geschmeckt. Mit deutlich größerem Appetit machen sich, je nach Gezeitenstand, unter anderem Fische und Vögel über die rund 300 Gramm tierischer Biomasse pro Quadratmeter Wattboden her.

Der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer, als solcher 1990 eingerichtet, steht nicht alleine da: Nach Westen schließt sich der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, nach Nordosten der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer an. "Wir arbeiten gut mit den Kollegen der beiden anderen Bundesländer zusammen", sagt Körber. "Durch die internationale Kooperation mit Dänemark und Holland muss man in Deutschland aber auch geschlossen auftreten." Vernetztes Handeln für eine weltweit einzigartige Naturlandschaft: Immerhin erstreckt sich das Wattenmeer von der dänischen Nordseeküste bei Blavand bis zur niederländischen Stadt Den Helder auf einer Strecke von mehr als 450 Kilometern.

Im hamburgischen Teil können sich Neuwerk-Besucher seit 2004 im Nationalpark-Haus, betreut von der Nationalparkverwaltung und dem Verein Nordsand, über die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräume informieren. Denn Wattenmeer bedeutet mehr als nur Watt. "Auf Neuwerk haben wir uns intensiv um die Salzwiesenvegetation gekümmert", erzählt Körber, und blickt stolz auf die blühenden Flächen, die zwischen den gemähten Rasenflächen des Hauptdeichs und dem Meer liegen. Seit 1925 ein Sommerdeich vor dem Hauptdeich eingerichtet worden war, waren die Wiesen von der regelmäßigen Salzwasserzufuhr abgeschnitten. Die charakteristische Vegetation verkümmerte. Durch Rückbaumaßnahmen im östlichen Vorland Neuwerks im Jahr 2004 und damit den Wiederanschluss der Flächen an die Gezeiten wachsen hier heute wieder der essbare Queller und der aromatisch duftende Strandwermut, blühen Strandaster und Strandflieder, der durch Drüsen auf den Blättern Salz abgeben kann.

Ein Trupp Austernfischer fliegt auf. Im Hintergrund sieht man die Vogelschutzinseln Scharhörn und Nigehörn, nordwestlich von Neuwerk. Scharhörn, die wandernde Düneninsel, und Nigehörn, die 1989 mit 1,2 Millionen Kubikmetern aufgespülte Nebeninsel, sind wertvolle, ungestörte Brutplätze, unter anderem für Seeschwalben. "Aber auch der Kormoran brütet hier, mitten in den Dünen - daran sieht man, dass kein Feinddruck existiert", sagt Körber. Aufmerksam beobachten die Naturschützer das langsame Zusammenwachsen der Salzwiesen der beiden Inseln. Körber: "Vielleicht haben wir schon 2009 nur noch eine einzige Insel zu kartieren." Was hier rein den Biologen überlassen ist (nach Scharhörn werden geführte Führungen angeboten, für Nigehörn besteht komplettes Betretungsverbot), wird auf offener See auch schon einmal von der Besatzung der "MS Flipper" übernommen: Sie notieren Beobachtungen von Schweinswalen und Seehunden (rund 500 im Gebiet) und geben sie an die Nationalparkverwaltung weiter.

Und was war mit dem Gänsegeier? "Der war Anfang Juni auf Neuwerk zwischengelandet, wahrscheinlich von einer Gewitterfront aus Südfrankreich abgetrieben", sagt Körber. Das Paradies für Seevögel erwies sich nicht als solches für den großen Aasfresser: Kurz nach seinem Weiterflug wurde er tot im Spülsaum der Nordsee gefunden.


Das war die letzte Folge unserer Serie über Naturschutzgebiete. Auf vielfache Nachfrage unserer Leser überlegen wir nun gemeinsam mit der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, eine aktuelle Broschüre über die Gebiete herauszugeben. Wir halten Sie dazu im Hamburg-Teil des Abendblattes und unter www.abendblatt.de/naturschutz auf dem Laufenden.

Den Film zur Naturschutzserie können Sie unter der Adresse www.abendblatt.de/naturschutz im Internet sehen.