Gut 70 Jahre lang schlief das Rennschiff eine Art Dornröschenschlaf, bis es aufwendig restauriert wurde. Jetzt steht der erste Regatta-Auftritt bevor.

Dass dies kein einfacher Sommertörn werden würde, ahnte die Besatzung von Hamburgs neuem Yacht-Klassiker bei einem der ersten Segelmanöver auf der Kieler Förde. Mit einem hässlichen Geräusch riss eine Kausch aus dem riesigen Großsegel der "Artemis". "Die Nähte an dieser Stelle waren wohl noch etwas unterdimensioniert", vermutet Skipper Bernhard Hauer (57). Da sich das immerhin 260 Quadratmeter große Segel nicht einfach mal so zusammenpacken lässt, um es zum Reparieren zu bringen, legte die neunköpfige Test-Crew selbst Hand an.

Eine Nacht lang nähte sie, dann konnte das Tuch wieder hochgezogen werden. Ein eher typischer Vorfall in diesen Tagen, an denen wechselnde Mannschaften des "Artemis"-Betriebvereins das Schiff auf der Ostsee testen und den Umgang mit dem eleganten, aber auch mehr als 100 Jahre alten Segelschiff lernen. Nach gut zwölfjähriger Restaurierung war es erst kürzlich in Hamburg zu seiner zweiten Jungfernfahrt aufgebrochen. "Zwei Tage basteln, ein Tag segeln", so beschreibt Hauer lakonisch den Alltag auf der "Artemis", die als größte historische Rennyacht ihrer Zeit unter deutscher Flagge gilt. Sie soll einmal Hamburgs Botschafterin bei internationalen Klassiker-Regatten werden. Erster öffentlicher Auftritt mit Bürgermeister Ole von Beust an Bord soll Ende August bei der traditionellen Regatta der deutschen Schifffahrtbranche in Dänemark sein.

Für die "Artemis" ist es so etwas wie eine Wiedergeburt. Ihre große Zeit hatte sie in den Jahren nach der Jahrhundertwende um 1900, als Segelregatten vom Kaiser höchstselbst gesegelt wurden. Die in England gebaute "Artemis" trat seinerzeit bei der Kieler Woche gegen die kaiserliche Yacht "Meteor" an. Diese Schiffe galten als das Maß aller Dinge im Segelsport, vergleichbar mit den Hightech-Regattaschiffen von heute. Mit einem kleinen, aber doch feinen Unterschied: Unter Deck ist die "Artemis" nicht reine Segel-Maschine des 19. Jahrhunderts, sondern auch Ausdruck gewisser Lebensart: Geschnitzte Hölzer und ein Kamin lassen Raum für Gemütlichkeit, und auf Deck gibt's ein geschlossenes, kleines Deckhäuschen, wo die Damen bei einer Tasse Tee ihren Segelhelden auch einmal zuschauen konnten.

Gut 70 Jahre lang schlief das schöne Rennschiff eine Art Dornröschenschlaf. Ohne Mast, ohne viel Technik und ohne Ausrüstung lag es als angegammeltes Hausboot in der Themse. Dann entdeckten es 1994 Mitglieder der von der Hamburger Handelskammer initiierten Stiftung Hamburg Maritim, die schon viele historische Schiffe für Hamburg wieder flottgemacht hat. Gut zwölf Jahre wurde die "Artemis" bei dem Beschäftigungsträger "Jugend in Arbeit" restauriert. Immer wieder gab es Unterbrechungen, weil die Arbeit über öffentliche Mittel und zuletzt durch viele Spenden aus der Hamburger Wirtschaft finanziert werden musste. Auf rund sechs Millionen Euro wird der Wert heute geschätzt. Allein die 500 Quadratmeter große Besegelung kostet 80 000 Euro. Die Yacht war allerdings so heruntergewirtschaftet, dass es anfangs Überlegungen gab, sie quasi neu aufzubauen und nur die Inneneinrichtung zu übernehmen. Die Stiftung entschied sich dann aber doch zu einer richtigen Restaurierung: Das Problem war nur, dass von Mast, Takelage, Winschen oder Technik nichts mehr vorhanden war. "Das musste praktisch am grünen Tisch nach alten Konstruktionsplänen wiederaufgebaut werden", sagt Jochen Küntzel (57), Vorstandsmitglied im "Artemis"-Verein.

Nicht immer erweist sich das als praktisch für die Crew: Mal fehlt eine Klampe, oder sie ist an der falschen Stelle angeschraubt, ein anderes Mal sind Schoten zu lang. Der neue Motor zickte anfangs, weil es Probleme mit den Leitungen gab. "Mittlerweile haben wir aber vieles im Griff", sagt Skipper Hauer, der als erfahrener Segler den ehrenamtlichen Chef-Job bei den Test- und Schulungsfahrten als Erster übernommen hat. Keine leichte Aufgabe: Auch wenn die Crew-Mitglieder schon viel Segelerfahrung haben, ist es doch eine Art Zeitreise für alle mit vielen offenen Fragen: Wie verhält sich das Schiff, wenn alle Segel oben sind, wie schnell ist es, wie lassen sich Manöver fahren, wie reagiert es? "Man muss das Schiff einfach erspüren", erklärt Hauer sein Rezept. Oft bedeutet das harte Arbeit. Viel Muskelkraft ist dabei, eine solche Yacht zu fahren. Abends wird repariert, aufgeräumt und sauber gemacht. Doch immer wenn "Vollzeug-Wetter" herrscht, wenn wie beim Abendblatt-Besuch eine leichte Brise über die Förde weht und die "Artemis" mit neun, zehn Knoten durchs Wasser schneidet, wissen Hauer und seine Vereinsfreunde, warum sie ihren Jahresurlaub nicht im Liegestuhl verbringen. Ungemein geschmeidig erscheint die Yacht dann, zieht mit feinem Rauschen davon. Skipper Hauer: "Das ist wie Mercedes fahren - da merkt man auch nicht, dass man schon 200 drauf hat."