Zeitzeuge Enio Mancini (70) war sieben Jahre alt, als eine SS-Kompanie in sein Heimatdorf einfiel und mehr als 560 Menschen, darunter 142 Kinder, tötete.

"Raus, schnell!" - diese beiden deutschen Worte wird Enio Mancini (70) nie vergessen. Dieses harsche Kommando hat der Italiener sofort im Ohr. Jedes Mal, wenn er an den 12. August 1944 denkt. An den Tag, an dem die 4. Kompanie der SS-Einheit sein kleines Heimatdorf Sant'Anna di Stazzema in der Toskana überfallen und in einem grausamen Massaker binnen weniger Stunden mehr als 560 Menschen, darunter 142 Kinder, erschlagen, erschossen und verbrannt hatte. "Raus, schnell!" - mit diesen Worten war Mancini, damals sieben Jahre alt, in den frühen Morgenstunden von deutschen Soldaten aus seinem Kinderbett gezerrt worden. Mancini überlebte diesen "Tag des Grauens". Gestern erzählte er seine Geschichte, die eine Dolmetscherin ins Deutsche übersetzte, vor mehr als 80 Schülern in der Aula des Walddörfer-Gymnasiums in Volksdorf.

"Ich will diese schmerzhafte Erinnerung aufrechterhalten, damit es nie wieder ein zweites Sant'Anna gibt", sagte der pensionierte Buchhalter über das Massaker, das als eines der schwersten deutschen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung gilt. Aber noch aus einem weiteren Grund war Mancini nach Volksdorf gekommen: Denn völlig unbescholten lebt hier in einem Seniorenheim der ehemalige SS-Kompanieführer Gerhard Sommer (86), der am 22. Juni 2005 von einem italienischen Gericht für die Massenhinrichtungen von Sant Anna zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. "Auch wenn es Jahrzehnte her ist, stellt ein solcher Prozess zumindest ein bisschen Gerechtigkeit her", sagte der zuständige Militärstaatsanwalt Marco De Paolis dem Abendblatt.

Da Bundesbürger nach deutschem Recht nicht ins Ausland ausgeliefert werden müssen, war Sommer bei dem Prozess nicht anwesend. Ob Sommer sich jemals vor einem deutschen Gericht verantworten muss, ist offen. Mancini ist dafür: "Es geht mir nicht darum, dass er ins Gefängnis kommt. Ich will nur hören, ob er sich nach mehr als 60 Jahren endlich schuldig bekennt und den Angehörigen der Opfer in die Augen sehen kann."

Die Schüler hörten gebannt zu, als Mancini voller Elan und Emotion erzählte. "Die SS hat in unserem Dorf eine regelrechte Jagd veranstaltet. Männer und Frauen, Alte und Kinder wurden auf dem Dorfplatz versammelt und hingerichtet." Mancini und einige andere Kin versteckten sich in einem Kastanienwald. "Als wir anfingen zu weinen, haben uns die Soldaten gefunden." Ein gerade 18 Jahre alter Soldat wurde abgestellt, bei den Kindern zu bleiben - mit dem Befehl, sie zu töten. "Er feuerte auch plötzlich Schüsse ab - aber alle in die Luft. Dann hat er uns signalisiert, schnell davonzulaufen." Ob Mancini diesen jungen Soldaten jemals wiedergesehen hat, wollten die Hamburger Gymnasiasten wissen. "Leider nicht", bedauert Mancini.

Überhaupt hatten die Schüler viele Fragen an den Zeitzeugen. "Das ist gelebter Geschichtsunterricht", sagte Schulleiter Jürgen Fischer. "Ein persönliches Treffen beeindruckt natürlich immer mehr, als wenn man ein Geschichtsbuch liest."