Die Redaktion antwortet
Sehr geehrter Herr Heyl,
die derzeitige Situation im Umgang mit den RAF-Terroristen Mohnhaupt und Klar macht mich sehr betroffen. Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie bitte im Abendblatt einmal klarstellen, was denn überhaupt fünfmal lebenslänglich plus 15 Jahre bedeutet. Zu dieser Strafe sind doch o. g. Verbrecher verurteilt worden. Für einen Nicht-Juristen heißt das doch: Die sehen nie wieder die Freiheit! Wie ist es dann möglich, dass bereits nach 25 Jahren eine Freilassung auch nur angedacht werden konnte? Steht denn der Opferschutz hinter dem Täterschutz? Im Jahre 1968 hatte ich mein Ingenieurstudium abgeschlossen; aus unseren Studiengängen hatte keiner Zeit, sich derart linksorientiert zu betätigen wie die RAF-Bande. Und jeder weiß, dass viele der damaligen linken Jurastudenten heute Richter und Anwälte sind. Es liegt der Schluss nahe, dass es hier einen kausalen Zusammenhang gibt. Vielleicht könnte uns auch Herr Schily als ehemaliger RAF-Anwalt Aufklärung geben.
Auf Ihre geschätzte Stellungnahme, bitte wegen allgemeinen Interesses in Ihrem/unserem Abendblatt, bin ich, meine Familie und alle meiner gleich denkenden Freunde sehr gespannt.
Mit freundlichen Grüßen
Gunnar Süß
Sehr geehrter Herr Süß,
Herr Schily hat einen vom ganzen Land beachteten Weg hinter sich, bis hin zum Innenminister, der sich zum Schluss nicht gescheut hat - "zur Sache, Schätzchen" - fürs Foto einen Polizeiknüppel in die Hand zu nehmen.
Fünfmal lebenslänglich plus 15 Jahre? Man sollte wirklich glauben, da sei jemand für immer wegzuschließen. Dies aber - und ich habe mich extra noch einmal von einer Rechtsexpertin beraten lassen - widerspräche dem Grundgedanken unseres Rechtssystems, das die Wiedereingliederung von nicht weiterhin gefährlichen Tätern in die Gesellschaft zum Ziel hat und nicht etwa den Rachegedanken in den Vordergrund stellt.
"Fünfmal lebenslänglich", das heißt in unserem Rechtssystem, in fünf Tatfällen zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt zu sein. Es gibt aber nur ein Leben (das des Täters oder der Täterin), das in seiner Länge für eine Strafe berücksichtigt werden kann.
Frau Mohnhaupt wurde 1985 schuldig gesprochen. Die 15 Jahre, zu denen sie auch verurteilt wurde, sind seitdem in ganzer Länge abgelaufen. Für ihr "lebenslänglich" gilt: Jeder zu lebenslanger Haft Verurteilte hat das Recht, nach einer gewissen Zeit den Antrag zu stellen, dass der Rest der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Frau Mohnhaupt hatte schon im letzten Jahr einmal diesen Antrag gestellt. Er wurde damals vom Gericht mit dem Hinweis auf die besonders schwere Schuld abgelehnt.
Gestern hat nun das Oberlandesgericht Stuttgart erneut entschieden: Unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit könne die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nun verantwortet werden.
So sieht es jetzt das Gericht - und egal, welchen Sinnes Richter als Studenten einmal gewesen sein mögen, Gerichte haben bei uns das letzte Wort (bis auf den Bundespräsidenten, die Gnadeninstanz).
Und die Opfer? Die scheinen nur dort vorzukommen, wo es um "besonders schwere Schuld" ging.
Ich stimme Ihnen zu, dass wir alle, die wir Nicht-Juristen sind, sofort abwägen: neun Morde, also neun vernichtete Leben, gegen 25 Jahre Einsitzen (einschließlich U-Haft) - was wiegt schwerer?
Aber gewiss: Wir Nicht-Juristen urteilen wahrscheinlich immer als "Moralisten" . . .
Mit freundlichen Grüßen
Menso Heyl