Im Gespräch mit dem Abendblatt sagt sie, warum sie gegen die Freilassung der Mörder ist.
Als die Frage nach Gnade für die Terroristen kommt, schaut Sigrun Schmid (60) kurz auf die gelben Rosen in der Vase auf dem Couchtisch. Ihr Blick schweift in den Garten des Hauses, hin zu dem kleinen Teich, in dem sich die heile Welt ihres kleinen Wohnortes nördlich von Hamburg widerspiegelt. Dann beginnt sie zu sprechen. Die Worte aus ihrem Mund sind kurz und hart, sie formuliert sie gepresst, fast tonlos. Worte einer Witwe, einer Mutter, deren Ehemann von der RAF mitten aus dem Leben geschossen wurde: "Wer solch kaltblütige und brutale Killer begnadigt, der macht sich mitschuldig. Sie haben ihren Opfern die Menschenwürde geraubt. Ihnen entgegenzukommen, Gnade für die Gnadenlosen zu zeigen, das ist ein Fußtritt für die Opfer, für ihre Angehörigen. Ein Hohn, den ich nie begreifen werde."
Wer verstehen will, warum die aktuelle Diskussion über eine Begnadigung von zwei der letzten noch inhaftierten RAF-Terroristen derzeit so vehement, so emotional geführt wird, der muss Menschen wie Sigrun Schmid aufsuchen, die Ehefrau des Hamburger Polizisten Norbert Schmid. Der damals 32 Jahre alte Polizeimeister war das erste von 34 Todesopfern der Roten Armee Fraktion. 1971, sechs Jahre bevor deren absurder Kampf im "Deutschen Herbst" vollends eskalierte. Die Bitte um Gnade - besonders für Angehörige der eher unbekannten Opfer des Terror- Wahns kann sie noch heute unerträglich sein.
Die Nacht des 22. Oktober 1971. Norbert Schmid und sein Kollege beobachten gegen 1.30 Uhr die Fahrgäste der letzten S-Bahn nach Poppenbüttel. Den beiden Zivilfahndern fällt eine Frau auf, jung, dunkelhaarig, im schwarzen Mantel. Sie folgen ihr, ahnen nicht, dass es sich um die gesuchte Terroristin Margrit Schiller handelt, und verlieren sie aus den Augen. Minuten später sehen sie die 23-Jährige aus der Tiefgarage des AEZ am Heegbarg kommen - so wie noch ein Pärchen, das den beiden Polizeimeistern aber erst nicht weiter auffällt. Schmid steigt aus dem Polizei-Ford und fordert Margrit Schiller auf, stehen zu bleiben. Als er sich ihr nähert, kommt das Pärchen dazu. "Die wollen uns helfen", denkt sein Kollege. Da fallen drei Schüsse, die den Familienvater Schmid tödlich treffen.
Der Mord an ihrem Mann ist heute mehr als 35 Jahre her. Mit 16 hatte das Schwarzwaldmädchen in der katholisch geprägten Heimat ihren Mann kennengelernt. Als er, der damals 24-jährige Norbert, mit seinen Eltern im Hotel ihrer Eltern einen Urlaub verbringt. Sie beginnen, sich Briefe zu schreiben. Sie heiratet ihn, ihren "ersten Mann". Sigrun ist noch keine 20, als sie mit einem Jahr Abstand ihre beiden Töchter zur Welt bringt. Und gerade mal 25 Jahre alt, als in jener Nacht des 22. Oktober der Direktionschef der Polizei mit seinem Fahrer in ihrer Wohnung in Hoisbüttel steht und anhebt, zu erzählen, wie gefährlich der Polizistenberuf sein kann. "Ich komme mit ins Krankenhaus", hat Sigrun Schmid ihn damals unterbrochen. "Er ist in der Gerichtsmedizin", antwortet der Beamte.
"Ich habe die Nachricht zunächst gar nicht begriffen, ich konnte nicht mehr denken und hatte über Stunden eine Art Schüttelfrost", sagt Sigrun Schmid heute: "Wie durch einen Blitz wurde unsere Familie zerschlagen." Nur ihre Kinder hätten sie "am Leben gehalten".
"Für die Angehörigen ist gesorgt, sie müssen sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen", hatte Polizeipräsident Günter Redding kurz nach dem Mord öffentlich versprochen. Die Beerdigung wurde zum Staatsbegräbnis. Innensenator Heinz Ruhnau (SPD) stützte die Witwe, als sie am Grab Abschied von ihrem Mann nahm. Aber seit den 70er-Jahren hat sich kein Politiker mehr für die Witwe, ihre Familie, ihre Sorgen interessiert, sie gefragt. Auch jetzt, in der aktuellen Diskussion, tauchen immer nur die Namen der "prominenten" Opfer der RAF auf. Wie Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer. Oder Generalbundesanwalt Siegfried Buback.
Die unnachgiebige Haltung von Sigrun Schmid - sie ist auch ein Resultat der Reaktion des Staates damals, der Art, wie Polizei und Justiz, Minister und Senatoren mit der Witwe umgegangen sind. Und mit dem Mörder ihres Mannes. Obwohl gefasst, wurde Gerhard Müller (damals 23) nie für den Mord verurteilt. Noch bevor es eine Regelung dafür gibt, wird Müller Mitte der 70er Kronzeuge. Auf höchste Weisung der Bundesregierung werden Akten als "geheim" eingestuft, dem Gericht vorenthalten. Ein wichtiger Zeuge bekommt Erinnerungsschwächen. 1976 verurteilt das Hamburger Schwurgericht Müller zu zehn Jahren Haft, wegen anderer Taten. Er sitzt davon nur drei Jahre ab und erhält eine neue Identität. "Das Resultat einer beispiellosen Manipulation", schreibt der "Spiegel". Wurde dem Terroristen das Lebenslang geschenkt, weil er Komplizen bei anderen Verbrechen verriet? "Der Polizist, der den Staat schützte, wurde von ihm verraten", resümiert Sigrun Schmid mit bitterer Stimme.
Wohl auch deshalb kann die 60-Jährige die Gnaden-Diskussion nicht so differenziert sehen wie etwa Michael Buback, der Sohn von Siegfried Buback. Der Tod von Norbert Schmid - das war für sie kein Verbrechen gegen die Bundesrepublik, das bedeutet Mord an dem Mann, der ihr Leben war. Und anders als Buback fordert sie, die Angehörigen der Opfer sollten jetzt bei einer Entscheidung beteiligt werden: "Mein Mann konnte nicht erleben, wie seine Kinder groß werden, wie sie selber Kinder kriegen. Ich lebe jeden Tag mit dem Gedenken an ihn."
Sigrun Schmid möchte sich nicht mit den Tätern von damals an einen Tisch setzen. Sie will keine Worte der Reue hören, ob ehrlich oder geheuchelt. Sie kann nicht vergeben, weil sie nicht vergessen kann. Sie sagt: "Wer lebenslang bekommt, muss lebenslang einsitzen. So lange leiden auch die Angehörigen der Opfer."
Die Witwe hat vier Jahre, nachdem die RAF ihren Mann aus dem Leben schoss, einen anderen Polizeibeamten kennengelernt. Mit ihm lebt sie zusammen. Er steht ihr bei und fährt sie zwei-, dreimal in der Woche zum Grab ihres Mannes. Geheiratet hat Sigrun Schmid nicht wieder: "Das will ich erst tun, wenn ich über den Verlust hinweggekommen bin."