ABENDBLATT: Herr von Dohnanyi, wann sind Sie zuletzt an den Hafenstraßen-Häusern vorbeigekommen - und was haben Sie dabei empfunden?
KLAUS VON DOHNANYI: Vor rund zwei Monaten war das, bei Dreharbeiten des Fernsehsenders Arte über meinen Bruder und mich. Ich hatte das Gefühl, dass die Bewohner immer noch nicht so viel aus den Häusern gemacht haben, wie sie könnten. Aber das ist wohl auch nicht ganz einfach.
ABENDBLATT: Brodelt das Thema noch in Ihnen, oder haben Sie Ihren Seelenfrieden gefunden?
VON DOHNANYI: Meinen Seelenfrieden hatte ich nie verloren. Weil ich das Richtige gemacht habe. Mich wundert eben nur, warum nicht viel mehr aus der Chance gemacht wurde.
ABENDBLATT: Wie konnte es rückblickend so weit kommen, dass ein paar besetzte Häuser die Hansestadt in ihren Grundfesten erschütterten?
VON DOHNANYI: Manche Medien haben versucht die Stadt zu erschüttern. Da wurde stark polarisiert. Ich hatte nie das Gefühl, als wären die Hamburger erschüttert gewesen.
ABENDBLATT: Wäre alles ganz anders gekommen, wenn Justiz und Politik von Anfang an konsequent durchgegriffen hätten?
VON DOHNANYI: Bei meinem Amtsantritt hatte ich das Problem quasi geerbt: Weil die Baubehörde das Recht der Bewohner auf Untervermietung abgesegnet hatte. Ein kurzer Prozess war da nicht zu machen; wir haben ja ständig geklagt. Einer ging, und ein anderer kam mit einem Untermietvertrag wieder herein - und dann ging alles von vorne los. In meiner Amtszeit wurde nicht ein einziges Haus in Hamburg länger als 24 Stunden neu besetzt.
ABENDBLATT: Ihr Coup eines politischen Ehrenworts verhinderte eine Eskalation, führte aber keine endgültige Lösung herbei . . .
VON DOHNANYI: Das war kein Coup, sondern meine persönliche Entscheidung in zugespitzter Lage. Im Senat war die Mehrheit der Meinung, dass die Bewohner niemals räumen würden. Umgekehrt war in der Hafenstraße kein Vertrauen in die Politik vorhanden. Da habe ich ein Signal gesetzt.
ABENDBLATT: Wann fiel die Entscheidung für Ihr Ehrenwort, und wer hat Sie beraten?
VON DOHNANYI: Das war meine ureigene Entscheidung. 5000 Polizisten standen kurz davor, hundert junge Leute aus ihren verbarrikadierten Häusern holen zu müssen. Das wäre vielleicht eine Katastrophe geworden. In der Nacht vor der geplanten Räumung saß ich allein in meinem Büro, habe in Ruhe nachgedacht und bin dann am nächsten Tag an die Öffentlichkeit getreten: "Wenn ihr die Barrikaden räumt, dann bürge ich mit meinem Amt, dass ihr den Vertrag bekommt." 30 Minuten vor Ablauf des 24-stündigen Ultimatums klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch im Rathaus. "Die Hafenstraße ist besenrein", sagte mir ein Bewohner. Ich hätte sonst räumen lassen - und wäre an der Spitze losgegangen. Das hatte ich für mich beschlossen.
ABENDBLATT: Würden Sie mit heutiger Erfahrung anders gehandelt haben?
VON DOHNANYI: Nein, ich würde wieder genauso vorgehen. Die Situation war übermäßig strapaziert. Und nicht wenige hatten die Hosen voll. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Mein Ehrenwort war der Entschluss der letztinstanzlich verantwortlichen Person, des Bürgermeisters eben. Es war eine Frage der Vernunft. Ich habe die Brücke zwischen zwei misstrauischen Partnern gebaut. Mehr nicht.
ABENDBLATT: Blieb Verbitterung, dass Politik und Diplomatie keinen Durchbruch schafften?
VON DOHNANYI: Gerhard Schröder hat mit der Vertrauensfrage in Sachen Kosovo-Einsatz nicht anders gehandelt: Manchmal braucht die Politik Druckmittel. Wenn es darauf ankommt, muss man geradeaus gehen.
ABENDBLATT: Waren Sie jemals selbst in einem der Häuser?
VON DOHNANYI: Nicht als Bürgermeister. Ein Jahr später aber bin ich hingegangen.
ABENDBLATT: Wer hat das einge- fädelt?
VON DOHNANYI: Niemand. Ich habe mich allein auf den Weg gemacht, bin in die Volxküche gegangen, habe Guten Tag gesagt und mich mit den Leuten dort unterhalten. Sie waren alle sehr lieb und nett.
ABENDBLATT: Werden Sie am kommenden Wochenende selbst zum Sponti und besuchen das Fest 25 Jahre Hafenstraße?
VON DOHNANYI: Gefragt hat mich keiner, aber ich habe wohl ohnehin keine Zeit. Hoffentlich geht die Veranstaltung vernünftig über die Bühne, ohne Zores mit der Polizei. Das würde ich mir wünschen.