Ihre Kneipe auf St. Pauli bietet noch Kiez-Flair wie in alten Zeiten. Darauf ist die Eigentümerin besonders stolz.

Außen Wände mit kunterbunten Kacheln oder mit blass-gelben Kacheln; am Dachfirst eine Leuchtreklame, teilweise blind, darunter Hinweise, knapp und klar: "solide Preise", "bei Erna", "seit 1949" oder "Raucherkneipe". Tagsüber, wenn der "Silbersack" geschlossen ist, wirkt das Gebäude wie ein Relikt aus längst vergessenen Zeiten. Doch: Wenn der Tag geht, wenn Erna kommt, erwacht das alte Haus. Es scheint fast zu platzen, so pulsiert das Leben darin.

Die Erfolgsgeschichte der Gaststätte Zum Silbersack funktioniert seit 60 Jahren. Seit 60 Jahren steht Erna Thomsen hinter dem Tresen. Heute feiert sie ihren 85. Geburtstag. Und alle, die sie kennen, verneigen sich. Vom Bürgermeister bis zum Komiker.

Erna Thomsen ist eine ungewöhnliche Frau. Meist rot gekleidet, den Flaschenöffner in der rechten Hand. Kerzengerade Haltung, erhobener Kopf, hellblaue Augen, die blitzschnell alles und jeden erfassen. Knapp und klar sind ihre Antworten. Wie viele Stammgäste? "Alle. Wer einmal kommt, kommt immer wieder", sagt sie. So einfach ist das also.

Ist es aber nicht. Dann wäre schließlich jede Kneipe voll. Hier im Silbersack herrscht Erna Thomsen. Der Silbersack, das ist sie. Mit ihren Händen hat sie das Haus mit aufgebaut. "Da war ich 25 Jahre alt", sagt sie. Am 25. Juni 1949 öffnete der Silbersack zwischen Trümmern, benannt nach der Adresse Silbersackstraße 9, mit Freibier und Gratis-Schnaps. Es war ein zerlegbares Holzhaus, das aus Brettern bestand, die Erna und Fritz Thomsen aus Holzstämmen sägen ließen. Alles mit Pferdewagen, der Schottschen Karre und den Händen herangeschafft; den Bierkeller grub die junge Wirtin auf dem Trümmergrundstück selber aus. Der Erfolg war von Beginn an phänomenal. Zwei Jahre später hatte die Crew im Silbersack 30 Mitarbeiter. Musik, Tanz und "Tägliche Lange Nacht". 45 Pfennige für "Lütt und Lütt" (Bier und Schnaps). Ab 2 Uhr morgens zehn Prozent Zuschlag.

Ein eigener Gassenhauer, eigene Postkarten, Hüte mit Silbersack-Bändern. Eine Kneipe als Marke. Seeleute und Hafenarbeiter kamen bis in die 70er-Jahre. Hans Albers, Hilde Knef, Heinz Rühmann, Curd Jürgens kamen auch. Später Heiner Lauterbach, Ulrich Tukur, Jan Fedder - und Ole von Beust, der den Silbersack mit dem Prädikat "Meine Lieblingskneipe" adelte.

Die Einrichtung wurde seit den 70er-Jahren nicht verändert. Schummrig und bräunlich ist es drin, 13 Tische, 55 Sitzplätze, Resopal, Holz, blankes Messing (auch durchgescheuert), eine Musikbox mit Schlagern, Stimmungsliedern, Shanties. An einer Wand Gardinen vor aufgemalten Fenstern. Tulpen in alten Saftflaschen auf jedem Tisch.

Alles blitzblank gescheuert. Kein Kneipenduft, nichts klebt, die Flaschen stehen alle mit dem Etikett nach vorn. Asche auf dem Boden? "Ja, aber doch nicht bei uns!" sagt die Wirtin. Und ihr Geheimnis? "Ich habe mich seit damals nicht verändert."

Anders erklärt das ihr Enkel Philip (18), der in Schottland lebt und zum Geburtstag gekommen ist: "Es fühlt sich alles ganz normal an, nicht falsch, nicht nach Plastik. Jeder wird normal behandelt." Der Silbersack sei "vor allem sympathisch" und die Kneipe mit dem meisten St.-Pauli-Flair, sagt Andreas Fraatz, Großhotelier und Enkel des vor zwei Jahren gestorbenen Willi Bartels. Ja, man sei hier ehrlich, gibt dann auch die Wirtin an, man unterscheide sich damit von anderen. Solide eben. Wie die Preise. Die Astra-Knolle (0,33) kostet nicht wie in anderen Kneipen drei Euro, sondern 1,90 Euro. "Klingt doch viel besser als zwei Euro", sagt Erna Thomsen, "und die meisten geben sowieso zwei Euro, das ist auch Anreiz für die Bedienung."

Heute ab 17 Uhr feiert Erna Thomsen, bittet um Spenden für einen Kindergarten auf St. Pauli. Und nach ihrem Geburtstag wird sie weiter hinter dem Tresen stehen. Freitags und sonnabends. Ab Mitternacht.