Hamburgs Justizsenator hält Denkverbote über Szenarien zur Beendigung von Geiselnahmen für falsch.

Es gibt weiter Wirbel um den Vorschlag von Innensenator Ronald Schill (44) zur Nutzung des beim Moskauer Geiseldramas eingesetzten Narkosegases. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte gestern, der Bund verfüge nicht über Narkose-Gas und "beabsichtige auch nicht, darüber zu verfügen". Die Hamburger Polizei, die Spezialeinheit GSG 9 des Bundesgrenzschutzes und das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr bestätigten, ebenfalls nicht über Nervengas zu verfügen.

Doch die Diskussion über den Einsatz von Narkose-Gasen bei Geiselnahmen ist offenbar nicht neu. Insider aus Spezialeinheiten der Polizei sagten dem Abendblatt, bereits seit Jahrzehnten werde beim Mobilen Einsatzkommando (MEK) und anderen Einheiten hinter verschlossenen Türen über die Verwendung von Betäubungsgasen diskutiert. Ebenso über Möglichkeiten, Geiselnehmer mit Betäubungsmitteln versetzte Lebensmittel zu übergeben, um sie so außer Gefecht zu setzen.

Bislang sei dies aber immer verworfen wurden, um das Leben von Geiseln nicht unnötig zu gefährden. "Bei Geiselnahmen gilt generell eine Zehn-Prozent-Regel", so ein Ermittler. Heißt: Wenn Leib und Leben von mehr als zehn Prozent der Geiseln durch eine Einsatzmethode gefährdet sind, müssen andere Alternativen gewählt werden. Die Gefahr sei bei Betäubungsmitteln zudem zu groß, dass die Geiselnehmer nicht sofort das Bewusstsein verlieren. Es könnte gegebenenfalls noch Sekunden oder Minuten verbleiben, in denen etwa Bomben gezündet werden könnten.

Justizsenator Roger Kusch (48, CDU) gab Ronald Schill, in der Diskussion um mögliche Narkose-Gas-Einsätze Rückendeckung. "Man muss im Kreis von Innenministern, hinter verschlossenen Türen, auch über so ein heikles Thema reden können", sagte Kusch dem Abendblatt. "Schill hat als Innensenator für die Sicherheit der Stadt auch politisch einzustehen, und es gehört zu seinen Pflichten, alles in Betracht zu ziehen, was man auf dem Sektor in Betracht ziehen muss."

Gerade nach den Anschlägen in den USA, angesichts des weltweiten Al-Kaida-Terrorismus, habe auch Hamburg allen Anlass, sich über Szenarien Gedanken zu machen "und über staatliche Reaktionen darauf", so Kusch. "Man muss sich mit allen Eventualitäten beschäftigen. Denkverbote dergestalt, dass man über bestimmte Szenarien nicht mehr nachdenken darf, kann es dabei nicht geben", auch nicht bei einem solchen Gas-Einsatz wie in Moskau, wo es zu schrecklichen Folgen kam.