Protokoll: Die entscheidenden Stunden. Wie es zum Sturz des Innensenators kam.

8.55 Uhr , Dienstagmorgen. Vor dem majestätischen Hamburger Rathaus posieren die ersten Touristen aus Fernost. Fotoapparate klicken. Alles wie sonst? Bürgermeister Ole von Beust (48, CDU) sitzt schon an seinem Schreibtisch in seinem Büro im ersten Stock. Vor sich hat er nur einen Vorgang: die Entlassungsurkunde für Innenstaatsrat Walter Wellinghausen (59). Sie ist fast komplett, lediglich für einen Zusatz ist noch Platz. Er lautet: "auf eigenen Wunsch". Von Beust erläutert CDU-Fraktionschef Michael Freytag (45), warum er doch bei seinem ursprünglichen Plan bleiben will, Wellinghausen zu entlassen - obwohl es am Abend zuvor nach endlosen Krisengesprächen danach ausgesehen hatte, dass es lediglich zu einem Disziplinarverfahren gegen Wellinghausen kommt. Von Beust fürchtet eine politische Hängepartie, der ganze Senat könne Schaden nehmen, weil die Fakten gegen den Innenstaatsrat sprächen. 9.30 Uhr . Während CDU-Fraktionschef Freytag die wichtigsten Unionspolitiker informiert, trifft Innensenator Ronald Schill (44) in Beusts Büro ein. Der Bürgermeister ist überrascht. Eigentlich hatte er Wellinghausen und Schill gemeinsam erwartet. Schill bittet von Beust um ein Gespräch unter vier Augen. Der Bürgermeister schließt die Tür. 9.40 Uhr . Von Beust teilt Schill in knappen Worten seinen Entschluss mit. Schill wird blass. Aber nur für einen Moment. Sein Gesicht verzerrt sich, auf seinen Wangen erscheinen hektische rote Flecken. Schill wirft von Beust vor, er habe Berufliches und Privates in noch schlimmerer Weise als Wellinghausen vermischt. Von Beust ist konsterniert: "Was meinst du damit?" Schill antwortet, von Beust habe seinen Lebenspartner zum Justizsenator gemacht - gemeint ist Roger Kusch (48, CDU). Von Beust wird förmlich, fordert Schill auf, sofort das Büro zu verlassen. Der bleibt einfach, droht damit, sein angebliches Wissen öffentlich zu machen. "Jetzt aber raus, sofort." Diese Beust-Worte beenden eine zweijährige Zusammenarbeit von Erstem und Zweitem Bürgermeister. Von Beust ist klar: Er muss handeln. Schill muss gehen. Er gibt Anweisung, die Entlassungsurkunde für den Innensenator anzufertigen. Von Beust informiert telefonisch CDU-Landeschef Dirk Fischer (59) und die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel (49). Merkel sagt Unterstützung zu. 9.47 bis 9.58 Uhr . Schill-Fraktionschef Norbert Frühauf (45), Bausenator Mario Mettbach (51, Schill-Partei) und FDP-Chef Burkhardt Müller-Sönksen (43) treffen im Rathaus ein. Kurz darauf informiert von Beust sie über seine Entscheidung. Alle drei sind sehr ernst. 10.10 Uhr . Von Beust ruft noch einmal in Schills Büro wenige Meter von seinem eigenen entfernt an. Der Bürgermeister will dem Noch-Senator die Entlassungsurkunde überreichen. Schill ist schon gegangen. 10.19 Uhr . Im Büro des Polizeipräsidenten Udo Nagel (51) klingelt das Telefon - die Senatskanzlei. Nagel erfährt, dass von Beust nicht nur Wellinghausen, sondern auch Schill entlassen hat und dies um 11 Uhr in einer Pressekonferenz verkünden wird. Dann ruft er seine Führungsrunde zusammen, streicht alle Termine. 14.13 . Norbert Frühauf verkündet im Rathaus: "Die Koalition wird fortgesetzt." Die Schill-Fraktion habe dies einstimmig beschlossen. 15.06 Uhr . Krisensitzung des Koalitionsausschusses im Hotel Elysee, Raum "Asien". FDP-Landeschef Reinhard Soltau (61) begrüßt Ole von Beust mit aufmunternden Worten. Für die Schill-Partei sind Bausenator Mario Mettbach und Fraktionschef Norbert Frühauf, für die FDP Bildungssenator Rudolf Lange (61, Fraktionschef Burkhardt Müller-Sönksen und Landeschef Soltau gekommen - für die CDU Ole von Beust, Landeschef Fischer, Fraktionschef Freytag und Volkmar Schön (45), Chef der Senatskanzlei. Ihr Thema: Wie gehts weiter - und: Was wird Schill machen? Ein Gerücht jagt das nächste: Schill wolle das ihm zustehende Bürgerschaftsmandat annehmen und Fraktionschef werden. Schill wolle die Fraktion spalten. 16.33 Uhr . Soltau, Fischer und Mettbach gehen vor die Presse. Die Koalition wird fortgesetzt, Mettbach entschuldigt sich im Namen aller Parteimitglieder für den Auftritt Schills. 16.50 Uhr . Schill hat stundenlang Interviews gegeben. Jetzt verlässt er sein ehemaliges Amtszimmer. Er besteigt seine schwarze Dienstlimousine, sie fährt los - wohin, weiß niemand.