Hamburg müsste seine Anstrengungen zum Schutz der Umwelt verstärken. Doch der SPD-Senat halbiert nahezu den Klimaschutz-Etat
Kann man mit dem Wachtelkönig, dem Schierlingswasserfenchel, der Zierlichen Tellerschnecke oder dem Elbe-Ästuar die Welt retten?
Diese Frage klingt absurder, als sie wirklich ist. Denn zum Schutz bedrohter Arten und Lebensräume, der vor 20 Jahren auf einem weltweiten Umweltgipfel in Rio de Janeiro von 192 Nationen beschlossen wurde, muss jedes Land und jede Region ganz eigene Beiträge leisten.
In Rio wurde beschlossen, die entstandenen Chancen nach dem Ende des Kalten Krieges dafür zu nutzen, die weltweite Entwicklung in Zukunft nachhaltig gestalten zu wollen. Der Ausstoß von Treibhausgasen sollte begrenzt und das Artensterben gestoppt werden, während gleichzeitig für die Armen dieser Welt menschenwürdige Lebensbedingungen geschaffen werden sollten. Deshalb war es auch internationaler Konsens, dass die reichen Industrieländer größere Anstrengungen zur ökologischen Sanierung unternehmen müssten, als die noch entwicklungsbedürftigen Staaten.
20 Jahre später wissen wir, dass der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit um mehr als ein Drittel zugenommen hat und auch der Verlust an Lebensräumen nicht gestoppt werden konnte.
Mehr als 30 Prozent der Tier- und Pflanzenarten sind weltweit bedroht. Deutschlands Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität sollte von 77 auf 100 im Jahr 2015 steigen. Tatsächlich ist er um circa zehn Prozent gesunken. Und auch die in Hamburg lebenden Tiere und Pflanzenarten sind zu mehr als einem Drittel bedroht oder ausgestorben.
Dabei müsste gerade eine Stadt wie Hamburg, die nicht nur besonders viele Lebensräume bieten kann und klimatisch begünstigt ist, sondern auch noch eine der reichsten Regionen Europas ist, bei der Berücksichtigung von Natur- und Klimaschutz vorangehen. Das ist für all jene Fälle bedeutsam, in denen Umwelt- und Wirtschaftsinteressen in einem gewissen Zielkonflikt stehen. Denn so wie Autobahnbauten, Elbvertiefung oder Gewerbegebietsschaffung den Wirtschaftsinteressen Hamburgs dienen sollen, soll der tropenwaldschädliche Sojaanbau im Amazonas, der Bau von Kohlekraftwerken in China oder der Anbau von Gen-Mais in Argentinien den dortigen, viel entwicklungsbedürftigeren Wirtschaften helfen. Warum sollten denn ärmere Länder ihre Tropenwälder schützen oder mit weniger Reichtum zufrieden sein, wenn wir ihnen das Gegenteil vorleben?
Dass auch Schritte in Richtung Zukunftsfähigkeit möglich sind, haben die letzten 20 Jahre in zahllosen Beispielen gezeigt. Die Fläche geschützter Gebiete hat sich weltweit versechsfacht, nationale und internationale Programme wurden beschlossen.
Auch in Hamburg hat die Fläche der auf dem Papier ausgewiesenen Naturschutzgebiete mit 8,2 Prozent der Landesfläche einen respektablen Anteil erreicht, und die 25 Millionen Euro pro Jahr vom Senat für den Klimaschutz konnten sich sehen lassen. Die Richtung stimmte, wenn auch die Maßnahmen, zum Beispiel bei der Pflege und Entwicklung der Naturschutzgebiete, noch nicht ausreichten. Doch statt die Anstrengungen zu verstärken, will der SPD-Senat den Klimaschutzetat nun nahezu halbieren und den Schutz von Grün- und Naturflächen auf die chronisch unterfinanzierten Bezirke abschieben. Dagegen sollen zusätzliche Millionen zum Beispiel in die ökologisch belastende Elbvertiefung und die Fortsetzung der Hafensubventionierung fließen - klare Signale in die falsche Richtung!
Und wenn nicht einmal das im globalen Maßstab reiche Hamburg bereit ist, seinen Beitrag zur Lösung der globalen Probleme zu leisten, wie wollen wir dann erreichen, dass andere das Ihre tun? Für eine Stadt, die einmal das Tor zur Welt sein wollte, ist diese Kehrtwende in Richtung Wachstumsvorstellungen der 1970er-Jahre eine traurige und auch ein wenig peinlich provinzielle Entwicklung.
Rettung der Artenvielfalt im Sinne der Vereinbarung von Rio de Janeiro bedeutet eben nicht nur Einsatz für die Regenwälder, sondern auch Schutz von Wachtelkönig, Schierlingswasserfenchel, Zierliche Tellerschnecke und Elbe-Ästuar vor unserer eigenen Haustür.