Hochtief lässt Elbphilharmonie-Ultimatum verstreichen. Die Zeichen stehen trotzdem auf Einigung zwischen Stadt und Konzern

Hamburg. Die Gespräche hinter den Kulissen laufen auf Hochtouren. Seit September 2011 herrscht auf der Baustelle der Elbphilharmonie quasi Stille. Heute endet das Ultimatum der Stadt an Hochtief, das Saaldach abzusenken. Obwohl der Konzern die Frist hat verstreichen lassen, deutet nach Abendblatt-Informationen vieles darauf hin, dass es heute eine Erklärung der zerstrittenen Parteien zum Weiterbau geben wird.

Derzeit liegt das momentan fast 2000 Tonnen schwere Dach des Großen Konzertsaals auf 21 sogenannten Auflagern. Sieben davon sollen mit Hydraulikpressen lastfrei gesetzt werden, um weiterbauen zu können. Dadurch verschieben sich Kräfte in der Stahl-Beton-Konstruktion. Nach Fertigstellung wird das Dach mit seiner gewaltigen Technikzentrale 8000 Tonnen wiegen.

Bisher waren die Fronten verhärtet: Während die städtische Realisierungsgesellschaft ReGe mehrere unabhängige Gutachten vorliegen hat, welche die Tragfähigkeit bestätigen, kommen die von Hochtief beauftragten Gutachter "in zahlreichen Berechnungen zu dem Ergebnis, dass für die Stahl-Beton-Konstruktion die geforderten Sicherheiten nicht nachgewiesen werden können".

Ein Pokerspiel zum Nachteil aller Beteiligten

Hochtief verlangt die Herausgabe der "Geheimstatiken" der ReGe, die Stadt sagt, das sei unüblich, damit würde ein Präzedenzfall geschaffen. Sie hält die Forderung für reine Taktiererei und vermutet, dass nach einer Herausgabe der umfangreichen Berechnungen erneut zahlreiche Bedenken von Hochtief angemeldet werden würden.

Alles nur Taktik? Bereits im Februar hatte Hochtief der Stadt einen Lösungsvorschlag für den Weiterbau des Saaldachs gemacht und angeboten, die Stahl-Beton-Konstruktion zu ertüchtigen. Unter Mitwirkung des Bauherrn. Dieser aber hält eine Ertüchtigung ja für unnötig und sagt: "Könnt ihr machen, aber ohne uns!" Hochtief sagt, ohne die Stadt geht es nicht, schon aus strafrechtlichen Gründen bräuchte man die Übergabe aussagekräftiger statischer Nachweise. Ob die Ertüchtigungen erforderlich sind, wird nun ein von Hochtief inzwischen eingeleitetes gerichtliches Beweisverfahren klären.

Ein elendes Pokerspiel ist das, Ende offen, zum Nachteil aller Beteiligten.

Und deshalb setzt sich bei den Akteuren langsam die Einschätzung durch, dass man in naher Zukunft nicht um eine komplette Neuordnung des Projekts herumkommen wird. Ein erster Hinweis auf ein gemeinsames Weiterbauen könnte der Einsatz der angesprochenen sieben Hydraulikpressen womöglich schon in der kommenden Woche sein. Wie geht es danach weiter?

Modell 1: Ein vertraglicher Zusammenschluss von dem Generalunternehmer (GU) Hochtief und dem Generalplaner (GP) Herzog & de Meuron. Darüber ist nach Abendblatt-Information am vergangenen Freitag bei einem geheimen Gipfeltreffen in Hamburg zumindest nachgedacht worden. Im Büro von Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) trafen sich Hochtief-Chef Rainer Eichholz und David Koch, Chefplaner der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron, zu einem Sechs-Augen-Gespräch. Die Idee der Neuordnung: Die drei Parteien berichtigen den "Geburtsfehler" des Jahrhundertbauwerks Elbphilharmonie. Das Vertragswerk lässt sich wie ein unvollständiges Dreieck darstellen. Oben der Bauherr, die Stadt. Sie hat vertragliche Beziehungen zu Hochtief und zu den Architekten.

Das Problem: Zwischen Baukonzern und Planer gibt es keine Vertragsbeziehung. Die Folgen: Streit und gegenseitige Vorwürfe, was mangelnde Planungsleistungen angeht, die laut Verträgen teilweise von den Architekten und teilweise vom Konzern ausgeführt werden müssen.

Diese Planungsschnittstellen sorgen seit Beginn der Arbeiten 2007 für gewaltige Probleme. Probleme, die den Projektsteuerer, die ReGe, überfordern. Und auch der 209 Millionen teure Nachtrag 4 aus dem Dezember 2008 hat dieses Grundproblem nicht gelöst, weil an der Elbphilharmonie nicht das praktiziert wird, was überall sonst für einen einigermaßen reibungslosen Baufortschritt sorgen könnte: Planen und Bauen aus einer Hand.

Wenn jetzt über eine Neuordnung des Projekts nachgedacht wird, geht das nur, wenn diese ursprüngliche Vertragskonstruktion aufgelöst und korrigiert wird. Die Idee, die das Projekt auf eine ganz neue Grundlage stellen würde, ist eine Art Planungsgesellschaft, die gemeinsam das abschließende Bausoll definiert, die Termine verbindlich festlegt und dann, wie es so schön heißt, "ein Preisschild dranhängt".

Dass die bisherigen von der Bürgerschaft bewilligten 323 Millionen Euro nicht ausreichen werden, scheint klar. Hochtief hat bis jetzt schon 56 Millionen Euro Mehrkosten für Leistungsänderungen angemeldet. ReGe-Chef Heribert Leutner hatte selbst einmal geäußert, dass er von Nachforderungen in Höhe von 100 Millionen Euro ausgeht. Dagegen stehen bisher rund 40 Millionen Euro, welche die Stadt als Vertragsstrafe gegenüber Hochtief wegen Terminüberschreitungen geltend macht.

Modell 2: Ein Weiterbau mit Hochtief und die Reduzierung der Architekten auf die künstlerische Leitung des Projekts. Auch hierbei wäre das Planen und Bauen aus einer Hand garantiert, der Konzern würde sich die zusätzlichen Planungsleistungen jedoch entsprechend bezahlen lassen. Vorteil: Wegfall der sogenannten Schnittstellen-Problematik. Nachteil: Architekten befürchten, wie schon oftmals geäußert, "dass der GU den Bau banalisieren könnte". Überspitzt formuliert: dass aus der geforderten "Weltarchitektur" plötzlich ein recht gewöhnliches Konzerthaus werden könnte. Gegenargument: Dafür ist der Bau im Grunde schon zu weit fortgeschritten.

Modell 3: Ein Weiterbau ohne Hochtief. Eine Kündigung des Baukonzerns ist möglich, aber nicht mehr sehr wahrscheinlich. Das Szenario ist in der ReGe seit Langem durchgespielt worden, aber die Folgen sind teuer und gefährden die Fertigstellung des komplexen Bauwerks. Und die juristische Auseinandersetzung mit Hochtief würde dennoch geführt werden müssen.