Die Wahlergebnisse in Griechenland und Frankreich erschweren die Euro-Rettung zusätzlich.
Die Reaktion der Märkte kam auf Knopfdruck. Nach dem europäischen Superwahlsonntag gingen die Kurse gestern Morgen in die Knie: Der Euro fiel auf ein Dreimonatstief, die Talfahrt an den Börsen ging weiter. Der griechische Leitindex sackte sogar zeitweise um neun Prozent ab. Auch wenn sich die Notierungen später erholten, kehrt die Euro-Krise, in den vergangenen Monate halb verdrängt und halb vergessen, mit Macht zurück. Und dieses Mal zwingen keine vermeintlich dunklen Mächte Europa die Turbulenzen auf, sie sind frei gewählt. Gewählt von griechischen wie französischen Bürgern.
Das Signal aus Athen und Paris lautet: Wir sind der Reformen müde, wir können nicht mehr. Griechenland steckt in der schwersten Rezession, die ein westliches Land nach dem Zweiten Weltkrieg durchleiden musste. Nicht nur die Wirtschaftsdaten, auch die Wahlergebnisse erinnern schon an das Ende der Weimarer Republik. Der Verbleib des Landes in der Euro-Zone ist seit Sonntag ungewisser denn je.
In Frankreich hat die Schuldenkrise mit Sarkozy einen weiteren Präsidenten aus dem Amt gespült: Was in Griechenland begann, in Irland, Portugal und Spanien weiterging, setzt sich nun in Frankreich fort. Die Wähler strafen die Regierungen ab, denen die Euro-Krise die Konjunktur und den Haushalt verheert haben. Sie werden indes nicht für die Sünden früherer Jahre abgestraft, sondern für die Zumutungen der Gegenwart - für Einsparungen, Kürzungen, Reformen. Die Botschaft lautet: Der Wähler kämpft vehementer gegen die Medizin als gegen die ursächliche Krankheit.
Damit wird Merkels Versuch, Europa in eine Stabilitätsunion zu verwandeln, noch schwieriger. Denn die Staatschefs müssen nicht nur die deutsche Vorherrschaft, sondern mehr noch das Votum der Wähler fürchten.
Es stellt sich die Frage, wie reformfähig der alte Kontinent überhaupt noch ist: Zuletzt hat keine Regierung eine mutige Reformpolitik überlebt - gewählt wurde stets die Opposition, die eine Befreiung vom Sparjoch versprechen durfte und dann doch nahtlos an die Politik der Vorgänger anknüpfen musste. Man darf gespannt sein, wen die nächsten Wahlen in diesen Krisenstaaten an die Spitze spülen. Absehbar ist, dass viele europäische Länder, von deutschen Ökonomen in Anspielung auf Amerika schon Lateineuropa genannt, schweren Zeiten entgegengeht. Die Strukturreformen wirken erst langfristig, kurzfristig wird die Sparpolitik die Krise noch verschärfen. Und der Anpassungsdruck ist enorm: Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, müssten die Kosten in Südeuropa nach Berechnungen von Goldman Sachs um mindestens zehn Prozent, teilweise sogar um ein Drittel sinken. Fakt ist: Das wirtschaftliche Notwendige wird nicht überall politisch machbar sein.
So richtig das deutsche Beharren bei der Stabilitätspolitik in der Sache sein mag, sollten wir uns doch mit Belehrungen und Besserwisserei zurückhalten. Natürlich hat das Land früher und tiefgreifender die Wirtschaft reformiert. Es ist kein Zufall, dass es heute besser dasteht als alle Nachbarstaaten. Doch auch die Deutschen haben auf ihre Reformpolitik nicht mit Zustimmung, sondern mit wüster Ablehnung reagiert. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder wurde für die Agenda 2010 abgestraft, erst in den Bundesländern, dann mit dem Machtverlust 2005. Ein Erbe der Reform ist der Aufstieg der Linken.
Das Wünschenswerte muss also politisch durchsetzbar bleiben - vor diesem Hintergrund könnte die Wahl von Hollande in Frankreich Europa dann doch helfen. Er ist Realist genug, um die Notwendigkeit von Reformen zu kennen. Und Sozialdemokrat genug, seine zaudernden Landsleute mitzunehmen. Denn der Souverän in Europa bleiben die Wähler, nicht die Märkte.