Mit dem Bahnunternehmen Metrans stärkt der Logistikkonzern Hamburg als wichtigsten Seehafen für Tschechien und dessen Nachbarländer.
Prag. Sein neues Lieblingsstück kann Jirí Samek, 57, nicht auf Anhieb finden. In der Bahnwerkstatt hat er vergebens nachgeschaut. Er fährt zu einem Abstellgleis, das hinter einem langen Stapel leerer Container verborgen liegt. Zwischen anderen Waggons steht er, rotbraun, fast neu und noch ohne die Schmutzschicht von Millionen gefahrenen Schienenkilometern. "Unsere Eigenentwicklung", sagt Samek, "der modernste Waggon für den Containertransport, den es in Europa gibt."
Der Waggon dient als Prototyp für Testfahrten, um die Zulassung bei der staatlichen Bahnaufsicht zu erwerben. 80 Fuß Länge misst der Tieflader, gut 24,4 Meter. Vier Container mit dem Standardmaß 20 Fuß passen auf die Ladefläche oder zwei 40-Fuß-Boxen. Die beiden Längen, die für den Seetransport besonders wichtig sind, lassen sich auf dem Fahrzeug auch mit Zwischenmaßen wie etwa zehn oder 30 Fuß Länge kombinieren, die eher im innereuropäischen Verkehr verwendet werden. "Dieser Waggon ist flexibler und leichter als unsere bisherigen", sagt Samek. "Seine Produktivität wird noch einmal um 25 Prozent besser sein als die des bisherigen Modells."
Kommentar: Mehr Güter auf die Schiene
Der Chef des Bahntransportunternehmens Metrans lässt keine Gelegenheit aus, um die Arbeit mit den Containern effektiver zu machen. Samek tüftelt, testet und konzipiert, weil er genau weiß, wo es etwas zu verbessern gibt. "Der Fahrweg zwischen dem Containerstapel und der Halle dort ist nur einspurig, er wird mit einer Ampel reguliert", sagt er bei der Fahrt über das weitläufige Terminal am Rande der tschechischen Hauptstadt Prag. "Dadurch können wir eine ganze Reihe von Containern zusätzlich in die Nähe der Verladebrücken stellen. Jeder Quadratmeter Terminalfläche ist kostbar."
Samek ist angestellter Geschäftsführer von Metrans. Doch er führt das Unternehmen mit einem Engagement, als sei es sein eigenes. Im Jahr 1991, nicht lange nach dem Ende des Kommunismus in der damaligen Tschechoslowakei, hat er Metrans mitbegründet und es seither in Pionierarbeit groß gemacht. Nach wie vor besitzt er einige Prozent der Firmenanteile. Samek kennt die meisten seiner rund 700 Mitarbeiter, jede wichtige Zahl in seinen Bilanzen und Kalkulationen, jeden technischen und kaufmännischen Kniff beim Bahntransport von Containern.
Für den Hamburger Hafenkonzern HHLA sind Sameks Wissen und Identifikation kaum hoch genug zu schätzen. Mitte der 1990er-Jahre stieg die HHLA bei Metrans ein und erwarb später die Mehrheit. Das Logistikunternehmen wollte seine Verbindungen auf der Schiene nach Mittel- und Osteuropa ausbauen. Der Konzern beteiligte sich an Metrans wie später auch am Unternehmen Polzug für den Verkehr nach Polen und Osteuropa, außerdem an Transfracht, das den Hamburger Hafen mit Österreich und der Schweiz verbindet. Die wichtigsten Impulse für dieses Geschäft bekam die HHLA im Lauf der Jahre aus Prag. "Herr Samek ist eine herausragende Unternehmerpersönlichkeit. Er hat mit hohem persönlichen Einsatz und besonderer Kreativität eine Erfolgsgeschichte geschaffen, die in der Branche ihresgleichen sucht", sagt HHLA-Chef Klaus-Dieter Peters.
HHLA stärkt Osteuropageschäft
Vergangene Woche sortierte die HHLA ihre Anteile an den drei Bahntransportunternehmen neu. Damit stärkte der Konzernvorstand das sogenannte Intermodalgeschäft - die Verbindung von See- und Landtransport - vor allem in Richtung Zentral- und Osteuropa. Von der Deutschen Bahn übernahm das Unternehmen deren Anteile an Metrans und Polzug. An Metrans hält die HHLA nun 86,5 Prozent, an Polzug 74,5 Prozent. Die Anteile an Transfracht wurden an die Deutsche Bahn verkauft. "Containertransporte auf der Schiene zwischen dem Hamburger Hafen und den Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas haben für die HHLA eine sehr hohe strategische Bedeutung", sagt Peters, der das Intermodalgeschäft im Vorstand selbst verantwortet.
Besonders das Gewicht von Metrans im HHLA-Konzern ist mit der Aufstockung der Anteile noch einmal deutlich gestiegen. Das Prager Metrans-Terminal ist mittlerweile die größte Anlage für den Containerumschlag im europäischen Binnenland. Von vier Terminals in Tschechien und zwei in der Slowakei aus knüpfte das Unternehmen ein enges Transportnetz in Zentraleuropa. Ein weiteres Terminal baut Metrans derzeit im tschechischen Ceská Trebová auf. Bis zu 80 Containerzüge in der Woche fahren auf der 690 Kilometer langen Strecke zwischen Hamburg und Prag, einige auch nach Bremerhaven. "Der damalige HHLA-Chef Peter Dietrich, ein gebürtiger Oberlausitzer, hat die Bedeutung des zentraleuropäischen Marktes für Hamburg genau erkannt", sagt Jirí Samek über den Einstieg der HHLA bei Metrans.
HHLA und Bahn ordnen Logistikbeteiligungen neu
Rund 300 000 Containereinheiten (TEU) bewegte das Unternehmen 2011 allein im Direktverkehr zwischen der Hansestadt und der tschechischen Metropole. Das wirkt bescheiden angesichts des gesamten Hafenumschlags in Hamburg, der 2011 rund neun Millionen TEU betrug. Doch das Wachstumspotenzial in Zentraleuropa, in Tschechien, der Slowakischen Republik und Ungarn ist groß, obwohl die Folgen der Finanzmarktkrise auch diese Region getroffen haben. "Mit Metrans ist es uns gelungen, den geografischen Lagevorteil des Hamburger Hafens systematisch auszubauen", sagt HHLA-Chef Peters. "Metrans bindet in hohem Maße Ladung an den Hamburger Hafen."
Besonders Tschechien und die Slowakische Republik sind traditionsreiche Industriereviere. Der Volkswagen-Konzern produziert in den beiden Ländern für seine Marken Skoda und VW, asiatische Elektronikkonzerne wie Panasonic oder Foxconn fertigen in Tschechien. "Hamburg ist für Tschechien und für Zentraleuropa heute der wichtigste Überseehafen", sagt Jirí Samek. "Und Hamburg hat die Chance, sich in dieser Funktion überproportional zu entwickeln, im Wettbewerb mit den polnischen Häfen und auch mit Adriahäfen wie Triest oder Koper."
Auf dem Metrans-Terminal in Prag stehen Schlangen von Lastwagen, die Container bringen oder abholen. Von Kranbrücken aus werden die Züge be- und entladen. Am Fahrerhaus eines jeden Lkw steht eine Nummer, alle Lastwagen sind mit dem Terminal elektronisch verbunden. Am Eingang zeigt eine Digitalanzeige den Fahrern, wer an der Reihe ist und hineinfahren kann. Samek will den Zug der Container durch eine bessere Abstimmung zwischen den einzelnen Verkehrsmitteln und durch die Verkürzung von Standzeiten weiter rationalisieren. Der Einsatz ausgewählter Speditionen dient dazu ebenso wie modernste Computersysteme. "Metrans hatte von Beginn an eine eigene Software für die logistischen Prozesse. Wir haben sie immer weiterentwickelt", sagt er. "Derzeit arbeiten acht Mitarbeiter nur daran. Die Software ist eine unserer großen Stärken."
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Auch den Fuhrpark will das Unternehmen deutlich ausbauen. Zu den rund 1100 überwiegend eigenen Waggons sollen in nächster Zeit 250 des neu entwickelten Typs hinzukommen. Die Zahl der eigenen und gemieteten Lokomotiven will Samek bis zum Jahresende von sieben auf elf erhöhen. "Züge mit Lokomotiven in eigener Regie zu betreiben ist wesentlich flexibler. Wir können damit bis zu 20 Prozent mehr Rentabilität erwirtschaften", sagt der Manager, der kein Hehl daraus macht, dass er kein Fan starker Lokführer-Gewerkschaften und teils schwerfälliger staatlicher Bahnunternehmen ist.
Später sitzt der Metrans-Chef in seinem Büro mit Blick auf das Terminal. Vor seinem Fenster belädt eine der Containerbrücken Züge, die für den Transport nach Deutschland bestimmt sind. In der europäischen Wirtschaft kriselt es seit Jahren, die Verwerfungen an den Finanzmärkten haben die Länder vor allem im Süden und teils auch im Osten der Europäischen Union zurückgeworfen. Aber Metrans und die HHLA bauen ihr Netzwerk von der Elbe nach Zentraleuropa unverdrossen aus.
Auch dank dieser Leistung konnte der Hamburger Hafen traditionsreiche Handelswege neu beleben, die durch die deutsche und die europäische Teilung jahrzehntelang unterbrochen waren. Für Samek sind diese Verbindungen längst nicht ausgereizt. "Man könnte den Güterverkehr zwischen Hamburg und Prag ohne Weiteres um mehrere 100 Prozent erhöhen", sagt er. "Speziell an der Elbe in Ostdeutschland entlang ist die Schieneninfrastruktur noch aus der DDR-Zeit her stark entwickelt, sie wird heutzutage aber kaum genutzt. Rechtselbisch nach Tschechien ist die Strecke praktisch leer."
Wenn er nicht in Prag arbeitet, reist Samek in Europa, spricht mit Vertretern von Reedereien, Speditionen, Terminalbetreibern. Über das Hafengeschäft an der Nordsee wie auch an der Adria ist er bestens informiert. Stolz zeigt er die Messingstatue eines europäischen Logistikpreises, den er im Jahr 2000 in Genua für Metrans bekommen hat: "Wir waren das erste intermodale Logistikunternehmen, das sämtliche Stationen einer Transportkette vom Seehafen bis zum Bestimmungsort aus einer Hand organisiert hat", sagt Samek. "Mittlerweile versuchen auch andere, unserem Vorbild zu folgen. Doch die Konkurrenten können uns nicht kopieren, weil sie nicht über unser Know-how verfügen."