Prof. Dr. Jonas Schreyögg, 34, ist Direktor des Zentrums für Gesundheitsökonomie der Uni Hamburg

Hamburger Abendblatt:

1. Als erste gesetzliche Kasse muss die City BKK auf Weisung des Bundesversicherungsamts schließen. Welche Umstände führen eine Krankenkasse in die Pleite?

Prof. Dr. Jonas Schreyögg:

Eine BKK wird geschlossen, wenn sie in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gerät. Eine Schließung ist ein ungewöhnliches Ereignis. Gefährdet sind besonders kleine Kassen wie die Betriebskrankenkassen, die wirtschaftlich oft nicht gut dastehen, weil sie häufig zu klein sind, um Versorgungsprogramme wirtschaftlich anzubieten, und so unter hohen Leistungsausgaben leiden.

2. Aber für besonders kranke Versicherte gibt es doch aus dem Topf aller Kassen, dem Risikostrukturausgleich, Extrazuschüsse.

Schreyögg:

Diese Mittel für bestimmte Diagnosen, wie sie seit 2009 unter den Kassen verteilt werden, stellen Kassen mit vielen Schwerkranken besser als vor 2009. Gerade die Betriebskrankenkassen waren mit dem alten System aber bessergestellt. Auch Missmanagement kann zu einer Schieflage führen.

3. Haben wir unter den gesetzlichen Kassen zu wenig oder zu viel Wettbewerb?

Schreyögg:

Wir haben eindeutig zu wenig Wettbewerb. Vor Einführung des Gesundheitsfonds konnten Kassen unterschiedliche Beitragssätze erheben. Jetzt ist der Grundbeitrag gesetzlich festgeschrieben, daneben gibt es die Möglichkeit eines Zusatzbeitrages, der separat erhoben wird. Dieser ist aber bei Weitem nicht so ein wettbewerbsdifferenzierendes Element wie vorher der unterschiedliche Beitragssatz.

4. Wie viel Spielraum für eine wirtschaftliche Strategie bleibt den Kassen bei all den gesetzlichen Vorgaben?

Schreyögg:

Zu wenig, die Politik müsste den Entscheidungsspielraum der gesetzlichen Krankenkassen erhöhen, zum Beispiel die Deckelung der Verwaltungskosten aufheben. Die Krankenkassen sollten mehr in Versorgungsprogramme investieren können, auch wenn das die Verwaltungskosten erhöht, auf die die Politik immer schielt. Das eigentlich Entscheidende für eine Kasse ist, wie gut die Versorgung ist, die sie ihren Versicherten bietet. Ich sehe aber keine politische Kraft, die das durchsetzen will.

5. Die Schulden der City BKK müssen jetzt andere Betriebskrankenkassen bezahlen. Geraten dadurch vielleicht weitere Kassen in Schwierigkeiten, wie bei einem Dominoeffekt?

Schreyögg:

Ja, das ist durchaus zu befürchten. Der Ausgleich der Verbindlichkeiten muss über das bestehende BKK-System, das heißt also von allen anderen Betriebskrankenkassen, aufgebracht werden. Dadurch gerät das BKK-System zusätzlich unter Druck, weil diese Kosten intern aufgefangen werden müssen.