Brennende Barrikaden, verwüstete Läden, verletzte Beamte: Polizei räumt ein, die Situation rund um den 1. Mai falsch eingeschätzt zu haben
Fast eine Stunde wüteten die Randalierer ungestört auf dem Schulterblatt. Entfachten Feuer, zündeten Raketen, schmissen Flaschen auf Autos. Es war eine Walpurgisnacht ganz nach ihrem Geschmack. Und die Polizei? Grüppchen von Beamten schauten zu, aus der Ferne, mit verkniffenen Gesichtern.
Ein Trupp Bundespolizisten wurde mit Steinen in die Flucht geschlagen. Erst nachdem eine Hundertschaft aus ihren Betten geholt worden war, konnte die Polizei gegen drei Uhr am Morgen die Barrikaden überrennen. Der Spuk hatte vorerst ein Ende. Doch er war noch nicht vorbei.
15 Stunden später standen statt der erwarteten 500 Randalierern dreimal so viel gewaltbereite Jugendliche auf dem Altonaer Bahnhofsvorplatz. Ein vermummter Haufen aus Linken, Punks, Hooligans und "gewalterlebnisorientierten Jugendlichen", wie es die Polizei formuliert. Die Demonstration trug das Motto "Kapitalismus zerschlagen" - und endete ab 21.30 Uhr mit zerschlagenen Fensterscheiben und Attacken auf Polizisten im Schanzenviertel. 900 Beamte waren der Aufgabe nicht gewachsen, Randale zu verhindern.
Tags darauf setzte scharfe Kritik an den Polizeieinsätzen ein. Uwe Koßel, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP, spricht von "verheizten Beamten" und einem "großem Frust unter den Einsatzkräften", die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) von einer "völlig falschen Lageeinschätzung".
36 Polizisten wurden an beiden Abenden verletzt. 21 allein in der Nacht des 30. April, weil sie teils ohne "Vollschutz" in die Schanze vorrückten. Steine und Flaschen hinterließen Spuren.
"Die Einschätzung war völlig daneben", sagt der Hamburger Chef der DPolG, Joachim Lenders. "Die Einsatzkräfte wurden gefährdet, weil man sie in Unterzahl in den Einsatz schickte." Die Taktik der "Deeskalation durch Stärke" habe nicht gegriffen, weil es keine starken Kräfte gab.
"Die Lagebeurteilung war falsch, weil man das Verhalten der Linken, aber nicht das der Jugendlichen aus Harburg, Wilhelmsburg oder Hummelsbüttel einschätzen konnte", sagt Koßel. Bis zu 80 Prozent der Randalierer waren Jugendliche ohne politische Ambitionen, so die Polizei. Darunter Minderjährige mit Migrationshintergrund, "die den Frust auf den Staat an der Polizei auslassen wollten", so Koßel.
Die Polizei gesteht einen Tag nach den schweren Ausschreitungen Fehler ein. "Man muss klar einräumen, dass wir die Dimension der gewalterlebnisorientierten Jugendlichen falsch eingeschätzt haben", sagt Polizeisprecher Ralf Meyer. Gerechnet habe man mit maximal 200, gekommen seien 700.
"Wie müssen uns künftig bei allen Planungen dieses Unsicherheitsfaktors bewusst werden", sagt Meyer.
Andreas Dressel, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, will die Krawalle im Schanzenviertel zum Thema im Innenausschuss machen. "Das muss da auf die Tagesordnung", sagte Dressel. "Die Polizeiführung hat die Situation in Hamburg vollkommen falsch eingeschätzt." Viele Polizisten hätten ihn angerufen, die sich insbesondere über die Lage in der Nacht zum 1. Mai beklagt hätten. "Dass da keine Einsatzreserve vorhanden war, ist ein fataler Fehler gewesen", so Dressel.
Der innenpolitische Sprecher der CDU, Kai Voet van Vormizeele, sieht das ganz anders. "Es war genug Polizei vor Ort, die haben die Gewalttäter in Schach gehalten", sagte er. Für die Krawalle macht Vormizeele eine "neue Tätergruppe" verantwortlich. "Die sind tendenziell sehr jung und vollkommen apolitisch." Die Polizei müsse überlegen, ob sie nicht im Vorfeld der Krawalle in der Schanze Platzverweise aussprechen könne. Viele Gewalttäter seien alkoholisiert. "Deswegen müsste man vielleicht über eine Begrenzung des Ausschanks nachdenken."
Tatsache sei, dass diese Tätergruppe bisher nur ein "Nebenfeld polizeilicher Tätigkeit" gewesen sei. Der Schwerpunkt habe auf der Beobachtung der linken Szene gelegen. Das Problem: "Was apolitische Gewalttäter machen, die die Sau rauslassen wollen und ordentlich einen im Tee haben, lässt sich vorher nicht gut einschätzen. Da ist ein Zufallsprodukt unterwegs."
Ob die Polizei Fehler gemacht hat, will Antje Möller, die GAL-Sprecherin im Innenausschuss, erst nach einer Prüfung der Geschehnisse sagen. "Ich will jetzt keine schnellen Schlussfolgerungen ziehen." Von der innenpolitischen Sprecherin der Linken-Fraktion, Christiane Schneider, war gestern gar nichts zu hören. "Sie war bei den Demonstrationen nicht dabei und möchte deshalb nichts dazu sagen", so Pressesprecher Martin Bialluch.