Sechs Richtige und die Superzahl: Lottogewinner müssen zu der 40-Jährigen, um das große Geld abzuholen. Der Weg verändert ihr Leben.
Hamburg. Vielleicht beginnt der Weg zum ganz großen Glück hier, im ersten Stock des Überseerings 4. In der Zentrale von Lotto Hamburg künden schrillgelbe Plakate vom 16-Millionen-Jackpot. Daneben steht ein dickes, albernes Kugelmännchen. Und mit all seinen Schaltern und Kassen würde der Empfangstresen auch in einer Bankfiliale nicht unangenehm auffallen. Den Weg zum Glück hätte man sich etwas pompöser vorgestellt.
Ob dieses Büro in dem nüchternen Hochhaus in der City Nord tatsächlich der Ausweg aus allen Geld-, Lebens- und Sinnkrisen ist, weiß Birte Engelken auch nicht. "Aber der Weg zu mir verändert Leben. Das steht fest", sagt Hamburgs Lotto-Glücksbotin. Die 40-Jährige trägt Blümchenbluse, graue Hose und rahmenlose Brille. Seit 2002 ist sie nicht nur Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, sie empfängt und berät auch die vermeintlichen Glückspilze, die Millionäre. "Hochgewinner" nennt sie jene Spieler, die sechs Richtige, bestenfalls auch die Superzahl korrekt haben.
Sie alle werden durch den grellen Empfangsbereich geführt, vorbei an dem dicken Kugelmännchen. Ziel ist ein schmuckloser Raum, in dem die Glücksbotin den Gewinnern ungestört die frohe Kunde überbringen kann. So wie dem Pärchen, das nichts hatte und von seinem letzten Geld einen Lottoschein kaufte. Oder dem Unternehmer, der mit einem Millionengewinn seine Firma retten konnte. Oder auch der Tippgemeinschaft, die im Januar als vorerst letzte Hamburger Gewinner sagenhafte 8,2 Millionen Euro abräumten. "Da mussten wir noch Stühle holen, so viele Leute kamen den Fahrstuhl hoch", sagt Birte Engelken.
Aber wo bleibt da die Festlichkeit, der persönliche Besuch zu Hause? Die Zeiten, in denen Lottoglücksboten mit einem Koffer voll Geld Hausbesuche machten, sind vorbei. In einigen Flächenländern gibt es dieses alte Modell noch. "Aber einen Koffer voll Geld hat auch da niemand im Gepäck", sagt die Glücksfee der Hansestadt. "Und hier in Hamburg, wo die Wege kurz sind, kommen die Gewinner eben in die Zentrale."
Für die meisten Menschen bedeutet ein hoher Lottogewinn den absoluten Ausnahmezustand, was bei einer Chance von 1:140 Millionen nicht sonderlich überraschend klingt. Deshalb mahnt die Glücksbotin in diesen emotionalen Momenten zur Ruhe: "Hängen Sie den Gewinn nicht an die große Glocke, beziehen Sie keine Kinder und Bekannte mit ein, machen Sie möglichst wenig Leute zu Mitwissern!" Und weiter? "Ich würde den Job behalten und den Gewinn immer kleinlügen", sagt Birte Engelken. "Wenn jemand sagt, ich habe 70 000 Euro gewonnen, erklärt das den Neuwagen vor der Tür." Wer sich als Millionengewinner zu erkennen gibt, schreckt nur unnötig das Umfeld auf. Zumal Wissenschaftler herausgefunden haben, dass die Neidgrenze in Deutschland bei etwa 100 000 Euro liegt. Insofern heißt das oberste Gebot für Lotto-Gewinner: hanseatisches Gebaren. Mit anderen Worten: Klappe halten, tiefstapeln!
Daran scheinen sich Hamburger Lotto-Millionäre zu halten. Denn von einem Fall wie Lotto-Lothar aus Niedersachsen, der in den 90er-Jahren seinen gesamten Gewinn für Lamborghinis und Frauen verprasste, um dann verarmt zu sterben, hat Birte Engelken noch nicht gehört. Finanztipps darf und will sie ohnehin nicht verteilen. Einziger Hinweis an Gewinner sei, sich nach Möglichkeit eine neue Bank zu suchen. "Das gewährt immerhin ein Mindestmaß an Diskretion." Was Gewinner mehr umtreibt als Anlagetipps, sei unterdessen die Sorge, nicht anonym zu bleiben. Und insbesondere hier kann die gelernte Betriebswirtin Entwarnung geben. Sie dürfte nicht einmal verraten, ob Lotto King Karl wirklich Lotto-King ist.
Einige Gewinner verraten der Glücksbotin trotzdem, was sie mit dem Geld vorhaben. "Da war dieses Pärchen. Beide arbeiteten als Aushilfen und kamen mehr schlecht als recht über die Runden." Im Jahr 2002 kratzten sie ihr letztes Geld für einen Lottoschein zusammen - und gewannen 670 000 Euro. "Die beiden dann hier zu sehen, das war super!", erzählt Birte Engelken. "Endlich können wir heiraten", hätten die Verliebten gesagt. "Und wenn man mitbekommt, dass mit einem Gewinn Träume wahr werden, ist man schon nah dran, am Glück."
340 000 Lottoscheine gehen jeden Sonnabend über Hamburger Verkaufstheken . Wenn der Jackpot steigt, werden es auch mal 600 000 wie im Jahr 2007, als 38 Millionen Euro ausgeschüttet wurden. Dem gegenüber stehen die nackten Gewinnaussichten: Nur zwei Hamburger pro Jahr ziehen das ganz große Los. Und dennoch wird mit jedem Schein ein bisschen Hoffnung verkauft. "Das ist mir bewusst", sagt Birte Engelken. "Doch ein Lotto-Gewinn beruhigt bestenfalls nur die Nerven. Auf ihm lastet auch eine Menge Verantwortung. Das ist eine richtige Aufgabe."
Gegönnt hat sie das viele Geld bislang allen Gewinnern. "Nur einmal wurde ich kurz stutzig. Da kam ein Unternehmer rein und erzählte, er gewinne jetzt schon zum zweiten Mal." Das dicke Auto und der gute Teint des Mannes verstärkten die Skepsis. Aber als sie dann hörte, dass seine Firma gerade Schiffbruch erleide und er nicht wisse, ob seine Angestellten bleiben könnten, legte sich das kurze Gefühl der Missgunst. "Er sagte, mit dem Gewinn seien seine Angestellten gerettet. Das hat mich dann schon wieder berührt, weil es glaubwürdig war."
Als Lotto-Angestellte spielt auch Birte Engelken regelmäßig, denn allen Unkenrufen zum Trotz kann auch sie die Ziehung nicht beeinflussen. "Allerdings bin ich eine klassische Jackpot-Tipperin. Ab zehn Millionen Euro geht's bei mir los." Gewonnen hat sie bisher auch nur mit einem Dreier, todsichere Ankreuz-Tipps kann sie demnach auch nicht geben. Bis auf die Binse: "Keine Muster, keine Geburtstage, keine Reihe. Die Zahlen 1 bis 6 kreuzen zum Beispiel 200 bis 300 Leute pro Ziehung an. Da ist die Quote bei einem Gewinn im Keller."
Bleibt die Frage: Wie definiert eigentlich eine Glücksbotin Glück? "Für mich sind das Gesundheit und Liebe. Für andere ist es ein Oldtimer. Wieder andere gehen mit einem Lotto-Gewinn entspannter in Urlaubsverhandlungen mit ihrem Arbeitgeber. Und wenn der keine sechs Wochen genehmigen will, kann man immer noch sagen: Ich kündige!" Glück sei zu individuell, um es am Geld auszurichten.
"Auch hier in der Lotto-Zentrale können Menschen nur akut glücklicher werden", sagt Birte Engelken. "Denn über die Nachricht vom Gewinn freut sich zwar jeder. Aber dieser Moment ist - wie Glück im Allgemeinen - flüchtig."
Demnach kann der Weg zum Glück hier, im ersten Stock am Überseering 4, beginnen.
Enden muss er woanders.