Hamburg. Hamburger Chor stellt Videos von Proben und Auftritten ins Netz und muss schlimmste Schmähungen ertragen. Erschreckende Einblicke.
Deutschland, Achselhaare, Figur, hässlich, Reste, AfD, Single, dick: Das sind nur ein paar der Begriffe, nach denen Chorleiter Christian Sondermann die Kommentare unter den veröffentlichten Videos nun filtern lässt, bevor sie online gehen. Insgesamt hat er 50 Wörter eingestellt, nachdem sich eine Vielzahl an Schmähungen und Beleidigungen in den sozialen Netzwerken unter den Videos der Sängerinnen befunden hatten.
Dabei könnte der Kontrast gar nicht größer sein: Da sind auf der einen Seite die Videos von einem fröhlichen Frauenchor aus Hamburg – Musikerinnen, die gut singen und viel Spaß haben. Das teilen sie mit der Welt. Auf der anderen Seite scheint das bei manchen Internetnutzern höchst merkwürdige Reaktionen hervorzurufen. Bitterböse Kommentare schreiben sie zu den Auftritten, manche sind nur subtil gemein, andere offen sexistisch, rassistisch, triefend vor Hass gegen die Welt.
Hass im Netz: Videos von Hamburger Frauenchor werden teils bitterböse kommentiert
„Wir werden entmenschlicht und dienen als Projektionsfläche für all das, gegen das man ist; was den Leuten nicht passt“, sagt Marie Schreuder. Die Kommunikationsstrategin singt seit 2022 in dem Frauenchor Great King Kate. Nach ihrer Beobachtung sind es vor allem weiße Männer mittleren Alters – wenn man den Internetprofilen Glauben schenkt –, die die widerlichen Kommentare unter die Videos der Frauen schreiben.
Dabei werden beispielsweise Einzelne aus der Gruppe herausgepickt und auf ihr Äußeres reduziert. Es geht um das zu hohe Gewicht, die unförmige Figur, die vermeintliche Schönheit. Und es geht auch darum, ob die Frau noch zu haben ist, um es deutlich anständiger zu formulieren, als es die Kommentatoren tun.
Hassattacken im Netz gegen Hamburger Frauenchor – „widerlich“
„Das macht etwas mit einem“, sagt Benthe Gilow. „Wenn ich weiß, dass wir ein Video von den Proben machen, denke ich darüber nach, wie ich mich anziehe, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.“ Die 29-Jährige weiß von einer anderen Mitsängerin, die besonders im Fokus der Internetattacken stand und sich anschließend immer in die hintere Reihe der Sängerinnen stellte.
Gilow selbst blieb am meisten ein Kommentar in Erinnerung, bei dem den Frauen eine Fehlgeburt unterstellt wurde. „Das ist grausam, widerlich und doch völlig unangemessen“, sagt sie und fragt: „Was hat das mit unserem Chor und dem Gezeigten zu tun?“
Angefangen haben die schrecklichen Kommentare Anfang des Jahres. Ein Video ging viral, sprich, wurde sehr oft im Netz geteilt, und verzeichnete rund 880.000 Aufrufe. Mit der Reichweite kamen die Beschimpfungen und Schmähungen. Seither werden viele Videos der Frauen, die sie auf ihrem Instagram-Kanal, auf YouTube und TikTok veröffentlichen, kommentiert. Meistens seien es immer die gleichen Beiträge, auch gern von ähnlichen Profilen. Bis zu 700 Kommentare finden sich unter ihren Videos.
Hamburger Sängerin: „Besonders schlimm ist es, wenn es persönlich wird“
Dabei fällt auch auf, dass der Frauenchor offenbar bei vielen Internetnutzern eine bestimmte Zielgruppe triggert. Die Sängerinnen werden als Öko, Grüne, Lehrerinnen, Sozialpädagogen und Lastenradfahrerinnen verunglimpft.
Einzeln betrachtet seien diese Kommentare nicht so schlimm und man könnte sie vielleicht mit Humor nehmen, sagt Julia Schenk. „Aber in der Masse an Beiträgen ist es eben nicht mehr lustig. Besonders schlimm ist es, wenn es persönlich wird.“ Schenk ist seit einem Jahr in dem Chor, der 220 Mitglieder hat und der sowohl in Hamburg als auch in Lübeck seine Wurzeln hat.
Der Chor hat bereits darüber nachgedacht, ob man auf Beiträge im Netz verzichtet. Doch das wollen die Frauen aus verschiedenen Gründen nicht. Zum einen wollen sie den Angreifern das Feld nicht überlassen, zum anderen gebe es zum Glück auch sehr positive Kommentare. Und gleichzeitig sei es eben auch eine Bühne, um Werbung für den Chor zu machen. Viele der Sängerinnen sind so auf die Gruppe aufmerksam geworden. Aber auch Veranstalter sind im Netz auf den Chor gestoßen.
Hasskommentare im Netz richten sich nur gegen den Frauenchor
Deshalb versucht man anders gegenzuhalten. Früher hat der Chorleiter als Administrator noch auf die Hasskommentare reagiert, Leute öffentlich zur Rede gestellt. Das tut er nicht mehr. Dafür gibt es den Filter – und sehr schlimme Beiträge meldet der Frauenchor den jeweiligen Plattformen. „Aber das bringt selten etwas“, sagt Sondermann.
Was sowohl die Chormitglieder als auch ihr Leiter nicht begreifen: Nur der Frauenchor löst diese schlimmen Kommentare aus. „Bei den Männerchören und auch den gemischten Chören ist das nicht so“, sagt Sondermann. Er betreut unter anderem auch den bekannten Hamburger Chor „Hamburger Goldkehlchen“. Da erreiche ihn höchstens eine Anfrage, ob er einen Kontakt zu dem netten Herrn mit dem grünen T-Shirt herstellen könne.
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Hass im Netz: Social Media als „Spiegel unserer Gesellschaft“?
„Wenn Frauen ohne Männer Spaß haben, dann empfinden das offenbar viele als Angriff“, sagt Marie Schreuder. Sie hat das Gefühl, dass sich die Situation nach Corona grundsätzlich verändert hat. „In den meisten Clubs auf dem Kiez ist man als Frau allein Freiwild“, schildert sie. „Das, was da im Netz stattfindet, ist ein Spiegel unserer Gesellschaft – nur, dass uns das wohl niemand ins Gesicht sagen würde.“
All denen, die furchtbare Kommentare schreiben, hat der Frauenchor übrigens ein Lied gewidmet. Und die Sängerinnen haben ein Video dazu gepostet. Es trägt den Titel „F*** you very, very much!“ Übersetzt singen sie: „Schau mal rein / Schau in deinen winzigen Kopf / Und jetzt schau genauer hin / Denn wir sind so uninspiriert / Du machst uns müde und krank mit dem Hass, den du in dir hast.“