Hamburg. Beschränkungen beim Alkoholverkauf führen zu massiven Umsatzeinbußen. Esra Simsek vom Susannen-Kiosk vor einem besonderen Neuanfang.

Esra Simsek setzt schon länger nicht mehr nur auf ihren Job in der Hamburger Sternschanze. Sie studiert Steuerrecht, die Prüfungen hat sie schon alle bestanden. „Jetzt fehlt nur noch die Bachelor-Arbeit“, sagt die 46-Jährige mit einer Mischung aus Sorge und Stolz in der Stimme. Bald könnte es für die Hamburgerin eine Wende in ihrem Leben geben: vom Kiosk in die Kanzlei. Dabei gehört Esra Simsek zu den Urgesteinen in der Hamburger Szene.

Seit fast 20 Jahren betreibt sie den schmalen Laden in der Susannenstraße, der seine überschaubare Größe mit vollgestellten Regalen wettmacht. Jeder Quadratzentimeter des Raumes scheint besetzt mit Zeitschriften, Süßkram, Zigaretten. Dazu eine ganze Wand mit Kühlschränken voller Alkohol, auf denen die Aufschrift Kiosk Bar an die Szenen im Sommer erinnert, als sich hier Trauben von Menschen mit Flaschen in der Hand auf der Straße tummelten und die Nacht zum Tag machten.

Sternschanze: Rückläufige Umsätze im Kiosk durch Corona

Esra Simseks Susannen-Kiosk war über Jahre Treff der Nachbarschaft, wurde zuletzt aber immer öfter argwöhnisch betrachtete Anlaufstelle für trinkfreudige Nachtschwärmer, die sich hier zum Cornern trafen. Und nun macht Corona der Inhaberin mit stark rückläufigen Umsätzen das Leben schwer. „Wir haben drastische Einbrüche bei den Erlösen“, sagt die Hamburgerin.

Kaum mehr Leute in der Gegend, praktisch keine Touristen, dazu der eingeschränkte Verkauf durch die Corona-Regeln. Einer Mitarbeiterin hat sie bereits kündigen müssen. „Und ich brauche Sozialhilfe“, sagt Esra Simsek bitter. „Noch nie im Leben war ich in einer solchen Lage, und jetzt, wo ich den Laden habe, muss ich Hilfe beantragen“, sagt die Unternehmerin, die nicht nur die Firma, sondern auch die Familie managt. Zwei Kinder im Alter von 13 und 15 Jahren sind zu versorgen.

Susannen-Kiosk: Die ganze Familie arbeitet mit

Gerade kommt der Sohn herein und fragt nach dem Wohnungsschlüssel, auch ihr Mann arbeitet für den Kiosk und schleppt immer wieder Kisten mit Waren herein. Alle helfen mit, alle sind auf den kleinen Betrieb angewiesen, gleichzeitig läuft die Miete weiter. Zuletzt fuhr der Gatte auch immer wieder auf Bauernhöfe rund um Hamburg, um Eier, Kartoffeln oder Äpfel für den Verkauf im Kiosk einzukaufen. Doch auch diese Idee half nicht wirklich.

Die Versuche der Kioske, sich mit Zeitschriften und Zigaretten über Wasser zu halten, laufen auch deshalb ins Leere, weil sich mit Schnaps und Schampus eben mehr verdienen lässt. Beim Lotto bleibt den Betrieben von einem Schein für zehn Euro 60 Cent Bruttomarge, die Zigaretten werfen eine Marge von etwa zehn Prozent ab – doch Ouzo oder Aperol können mit einem satten Aufschlag von 80 bis 100 Prozent verkauft werden.

Kioske gelten als systemrelevant

Die Kioske dürfen auch während der Zwangsschließungen im Handel öffnen, weil sie etwa als Verkaufsstellen von Zeitungen als systemrelevant gelten. Gleichzeitig leiden sie unter der Pandemie. Belastend ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen nur noch zu Hause sind, kaum mehr rausgehen – und dass der Verkauf von Alkohol stark limitiert ist. Zwischen 22 Uhr und 6 Uhr darf kein Bier oder Wein abgegeben werden. Dazu kommt, dass Alkohol nicht in der Öffentlichkeit getrunken werden darf, denn dadurch, so befürchtet die Politik, werde das Einhalten der Corona-Regeln erschwert.

Tatsächlich mussten die Behörden in Hamburg in den vergangenen Monaten häufiger eingreifen, wenn es um feiernde Menschen auf Bürgersteigen oder Plätzen ging. Oft standen mehrere Hundert zumeist junge Leute im Schanzenviertel und auf dem Kiez zusammen, ohne die Corona-Abstandsgebote einzuhalten.

Kioskbesitzer am Borgweg: „Die ,guten‘ Umsätze fallen weg“

„Und im Bereich Sternschanze und Ottensen wurde auch der ein oder andere unerlaubte Verkauf festgestellt“, teilte Sprecher Jon Mendrala von der für die Bezirke zuständigen Wissenschaftsbehörde mit. Immer mal wieder wurden auch aus Wandsbek derartige Verstöße gemeldet. Die Kioske, die in Städten wie Hamburg zur wichtigen Einkaufsquelle für das kultige Cornern geworden waren, leiden stark unter den Beschränkungen. Nicht nur in der Schanze.

Ergün Demiroglu geht in seinem Kiosk am Bahnhof Borgweg ebenfalls durch ein wirtschaftliches Tal. „Ich muss draufzahlen, denn die Leute fahren viel weniger U-Bahn.“ In seinem Geschäft am Mühlenkamp ist der Gewinn um 40 Prozent eingebrochen. „Die ,guten‘ Umsätze fallen weg“, sagt der Inhaber. Das heißt, dass er hauptsächlich bei Produkten mit hoher Marge Einbußen erlebt – bei Alkohol, Süßigkeiten oder Chips. Die Umsätze sind insgesamt „nur“ um ein knappes Drittel eingebrochen, deshalb kann er auf Hilfe vom Staat nicht hoffen, der ein Minus von 40 Prozent für Unterstützungsleistungen voraussetzt.

Schwere Zeiten: Ergün Demiroglu in seinem Kiosk am Mühlenkamp.
Schwere Zeiten: Ergün Demiroglu in seinem Kiosk am Mühlenkamp. © Unbekannt | Marcelo Hernandez

Alle drei Jahre Urlaub, 200 Stunden Arbeit im Monat

Rund 200 Stunden arbeitet der 38-Jährige im Monat, Urlaub gönnt er sich nur alle drei Jahre. „Dann aber richtig, dann geht es auf die Malediven oder in die Karibik“, sagt der junge Mann lachend. Sein Kalkül, als er sich vor neun Jahren nach dem Studium mit einem Kiosk selbstständig machte, ist bisher eigentlich aufgegangen. „Wenn ich mehr arbeite, verdiene ich auch mehr“, sagt der Unternehmer. Nun aber habe ihm Corona das Geschäft so sehr verhagelt, dass er auch die Renovierung seines Ladens am Mühlenkamp aufschieben muss.

So sehr die Umsätze auch zurückgehen, die Kioskbetreiber begrüßen es, dass der Alkoholverkauf beschränkt ist. „Ich finde die Maßnahmen sehr gut, weil die Leute dadurch abends nicht mehr unterwegs sind“, sagt Ergün Demiroglu. „Vorher musste die Polizei auch hier manchmal eingreifen“, berichtet er über die warmen Nächte im vergangenen Jahr und schaut hinaus zu den wenigen Menschen, die jetzt noch auf dem Mühlenkamp unterwegs sind.

Kioskbetreiberin: „Das Alkoholverbot ist richtig"

Esra Simsek wünscht sich, dass die Kioske nicht als Sündenbock für die feiernden Massen gesehen werden. „Wir haben im Sommer manchmal um 1.00 oder 2.00 Uhr freiwillig zugemacht, weil zu viele aggressive Menschen hier waren“, erinnert sich die Betreiberin des Kultladens in der Schanze. „Das Alkoholverbot ist richtig, denn es war schlimm, was hier los war.“

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Die Polizei habe oft nur zugeschaut, die Corona-Regeln in Sachen Abstand oder Masken nicht von den Leuten eingefordert. „Und ich habe ständig diskutiert“, klagt die Inhaberin des Susannen-Kiosks kopfschüttelnd. Sie erinnerte an die Bestimmungen, sagt sie, auch wenn die Menschen oft uneinsichtig waren und die von ihr angebotenen Masken ablehnten mit den Worten: „Und damit willst du jetzt wohl auch noch Umsatz machen?“

Kioskbesitzerin baut sich zweites Standbein auf

Die energische Frau gehört zu den Menschen, die das Leben in der Schanze prägen, sie wohnt selber hier, viele Nachbarn kommen auf einen Schnack vorbei. Die Erlebnisse mit einigen Kunden, die über die Stränge schlagen, haben sie nachdenklich werden lassen. Vielleicht bringt Corona das Ende für sie und ihren Kiosk. Ihre Kinder wollen den Laden später nicht übernehmen. „Auf keinen Fall“, sagt Esra Simsek. Nach ihrem Studium jedenfalls steht ihr auch ein neues Berufsleben offen.