Hamburg. Ohne Genehmigung hat der Konzern Grundschüler in Osdorf umgarnt. Kritik von Behörde, Eltern und Verbraucherzentrale.
Frech und dreist. So beschreibt Kerstin Kolboom das, was vor der Schule ihres Sohnes in Osdorf montiert wurde: Sogenannte Kundenstopper mit Werbung für eine Spielzeugaktion des Discounters Lidl. Ohne Genehmigung des Bezirksamtes, ohne Zustimmung der Schulbehörde und ohne Schuldbewusstsein seitens des Konzerns.
Für die Verbraucherzentrale Hamburg steht fest: Der Handelskonzern ködert an der Schule gezielt Kinder als Kunden. Oder, wie Mutter Kerstin Kolboom sagt: „Ich finde das frech und dreist, mindestens aber fragwürdig.“
An Schulen gilt Werbeverbot
In Hamburg gilt ein Werbeverbot an Schulen. An der Grundschule Wesperloh hatte der Discounter nun aber auf dem direkten Schulweg neben dem Schulgelände zwei Werbeschilder für eine Aktion platziert, bei der es ab einem bestimmten Einkaufswert kleine Spielzeugpuppen dazu gibt.
„Klar, dass mir mein Sohn nach der Schule damit in den Ohren gelegen hat“, sagt Kerstin Kolboom. „Viele Kinder springen darauf total an und nerven mit Einkäufen bei Lidl wegen dieser Aktion.“ Für sie lege diese Art der Werbung eine Scheu ab, die ärgerlich und ungebührlich sei.
Behörde: „Unangemessene Werbung“
„Dass ein Discounter Werbemaßnahmen im direkten Umfeld von Schulen ergreift, halten wir für unangemessen und würden uns freuen, wenn Unternehmen darauf verzichten“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Zwar drängen immer wieder Firmen mit Unterrichtsmaterialien, Brotboxen oder Digitalangeboten in staatliche Schulen.
Aber selbst Wahlplakate müssen einen gewissen Abstand zu Schulen haben. Den Verzicht auf Werbung im Schulumfeld empfehle Albrecht schon im eigenen Interesse von Lidl, denn Eltern würden das nicht gut finden und möglicherweise ihr Kaufverhalten anpassen. Andererseits habe die Schulbehörde keinen Einfluss auf den öffentlichen Raum.
Genehmigung für Kundenstopper liegt nicht vor
Dennoch sei diese Art der Werbung genehmigungspflichtig, wie das zuständige Bezirksamt Altona mitteilt. „Lidl hatte aber keine Sondernutzungserlaubnis beantragt“, sagt Sprecher Martin Roehl. Unabhängig vom fragwürdigen Ort seien diese Art Schilder „als sogenannte Kundenstopper aber nicht genehmigungsfähig, da es sich um gewerbliche Werbung handelt, die in Hamburg in dieser Form nicht zulässig ist.“
Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg sieht diese Form der Werbung grundsätzlich kritisch. „Da in der Schule nicht geworben werden darf, werben Firmen einen Meter davor. Das ist ein Ärgernis und moralisch abzulehnen.“ Unternehmen würden immer wieder die Grenzen austesten, um Kinder als Kunden zu gewinnen.
Lidl ist sich keiner Schuld bewusst
„In diesem Fall ködern sie Kinder vor der Schule, um Ihre Eltern dazu zu bewegen, mit ihren Kindern dort einkaufen zu gehen.“ Valet nennt diese offensive Form der Kundengewinnung den „Rand der Legalität“. Werbung, die sich direkt an Kinder richtet, lehnt die Verbraucherzentrale ohnehin ab.
Der Discounter selbst ist sich keiner Schuld bewusst und lässt nach einer Bedenkzeit von sechs Stunden ausrichten: „Bei der genannten Werbung handelt es sich um eine gebuchte Sonderwerbeform, die in einigen Städten eingesetzt wurde.“ Darüber hinaus könne Lidl keine Angaben zur strategischen Ausrichtung der Marketingaktivitäten machen. In der Zwischenzeit wurde die Werbung vorsorglich entfernt.
Ordnungswidrigkeit kann 110 bis 200 Euro kosten
Das Bezirksamt Altona hätte die Werbung als Ordnungswidrigkeit nach dem Hamburgischen Wegegesetz (geahndet mit einer Geldbuße von etwa 100 bis 200 Euro) verfolgen können. „Das ist aber eine Abwägung von Kosten und Nutzen“, sagte Amtssprecher Roehl. Deshalb sehe das Amt nun davon ab.
In den Hamburger Richtlinien zu Werbung an Schulen steht, dass „die Bereitstellung von Werbeflächen oder sonstigen Werbemöglichkeiten für Zwecke der Produktwerbung unzulässig“ ist. Selbst Sponsoring an Schulen ist nur erlaubt ist, „wenn es sich um eine erhebliche Zuwendung handelt und der Hinweis auf den Sponsor deutlich hinter dem Nutzen für die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags zurücktritt“.
Werbeverbot sollte 2007 kippen
Im Jahr 2007 sollte das Werbeverbot an Hamburger Schulen kippen. Doch nach einem Proteststurm kassierte die damalige Senatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) die Pläne. Gerade Eltern befürchteten, dass der Bildungs- und Erziehungsauftrag unter erweiterten Werbemöglichkeiten leiden könnte.
Für Mutter Kerstin Kolboom hat sich im Fall der Werbung vor der Schule bewahrheitet, was sie schon vermutet hatte: „Ich glaube, dass diese Fläche nicht für Werbung erlaubt ist.“ Dass der Handelsriese eigenmächtig trotzdem dort gewoben hat, sei „ein Unding“.