Ottensen. Das Areal zwischen Ottensen und Bahrenfeld soll zeigen, dass Handwerk und Wohnen doch zusammenpassen können.
Durch die Dachschrägenfenster schimmert helles Tageslicht in die alte, leere Produktionshalle, die an ein überdimensioniertes, völlig ausgeweidetes Wal-Gerippe erinnert. Kaum vorstellbar, dass hier vor einigen Jahren noch etliche Maschinen standen, an denen Männer im Blaumann werkelten und Kolben fertigten. „Kolbenschmidt“ – so hieß das Tochterunternehmen der Rheinmetall AG bis zu seiner Schließung im Jahr 2009.
Jetzt steht Tobias Trapp, der eine Motorradwerkstatt betreibt, mittendrin, in der Hand hält der hochgewachsene Mittvierziger Baupläne, die zeigen, wie in die Halle wieder Arbeit einziehen könnte. Nicht für Werber, Agenturen oder IT-Büros, die sich die teuren Stadtmieten leisten können. Nein, in der „Halle 7“ sollen Tischler arbeiten und auch Autowerkstätten einziehen, ein Getränkehandel oder auch ein Surfbrett-Hersteller. Betriebe, die auch mal Lärm machen – und dürfen, selbst wenn, wie vom Bezirk Altona geplant, drum herum rund 1200 neue Wohnungen gebaut werden.
Areal liegt an der Grenze von Ottensen und Bahrenfeld
„Quartier an der Friedensallee“, so heißt das Areal an der Grenze von Ottensen und Bahrenfeld. Ein Bebauungsplan dazu steht kurz vor der Genehmigung. Die Halle 7 ist so etwas wie ein Herzstück. Sie soll zeigen, dass Handwerk und Wohnen doch zusammenpassen können. Von einer „Blaupause“ für neue urbane Gebiete“ spricht Frank Conrad, der im Bezirksamt Altona die Stadtplanungsabteilung leitet. Auch bei den kürzlich vorgestellten Plänen für einen neuen Stadtteil im Hafen auf dem Kleinen Grasbrook soll die Nachbarschaft dieser ungleichen Nutzungen wieder möglich sein.
Die Definition „Urbanes Gebiet“ soll auf eine Bundesratsinitiative Hamburgs hin auch Einzug ins deutsche Planungsrecht finden, das eine Nachbarschaft von Handwerksbetrieben und Wohngebäuden nur schwer genehmigungsfähig macht. In Hamburg und gerade in den alten Gewerbegebieten von Altona kam es in den vergangenen Jahren zu einer schleichenden Verdrängung kleinerer Handwerksbetriebe, die mit hohen (Wohnungs-)mieten nicht mithalten konnten.
Die Hinterhofbetriebe verschwanden, neue Wohngebäude in der wachsenden Stadt folgten. „Wir müssen aber nah am Kunden sein und nicht irgendwo in Rellingen“, sagt Trapp. Er selbst hat diese Entwicklung schmerzlich erfahren, als er für seine Werkstatt in einem solchen Altonaer Hinterhof 2010 die Kündigung erhielt – so wie andere Handwerker dort auch. „Innerhalb von drei Monaten etwas Neues zu finden ist unmöglich, zumal überall neu gebaut wird“, sagt Trapp.
In Eimsbüttel baut die Stadt selbst ein Handwerker-Gebäude
Trapp und rund zwei Dutzend andere Betriebe hatten aber Glück, sie konnten als Zwischenmieter auf dem gerade stillgelegten Kolbenschmidt-Areal einziehen. Für sie war das Areal plötzlich so etwas wie die Insel für die Schiffbrüchigen. Allerdings nur bis zum nächsten Sturm.
Doch inzwischen hat der Senat das Problem der Handwerker-Verdrängung ins Umland offenbar erkannt und versucht gegenzusteuern. In Eimsbüttel baut die Stadt beispielsweise selbst ein vierstöckiges Handwerker-Gebäude. So könnte der in Hamburg immer teurer werdende Baugrund besser genutzt werden und günstige Gewerbemieten ermöglichen.
Ganz anders das Modell auf dem Kolbenschmidt-Gelände, wo die Immobilien-Tochter von Rheinmetall nun Wohnungen bauen will. Weil dazu vom Bezirk Altona Gewerbefläche in lukratives Wohnbauland umgewandelt wird, musste sich der Konzern zuvor vertraglich verpflichten, auch den Handwerkern dort Platz zu geben. Zu günstigen Konditionen eben. Das Unternehmen saniert jetzt die Halle 7 und baut in direkter Nachbarschaft – quasi als Abschirmung – sogenannte Back-to-back-Gebäude als Trennriegel. Auf der einen Seite befindet sich dort wenig störendes Gewerbe wie etwa Büros, auf der anderen Wohnungen. Das Besondere: Die derzeit 26 kleinen Betriebe des Kolbenschmidt-Areals haben jetzt eine Genossenschaft gegründet: die Kolbenhof e. G. Für rund sieben Millionen Euro soll diese Genossenschaft nun die Halle 7 kaufen. Die Idee: Als echte Eigentümer wäre ihre Existenz dort gesichert, und es gibt keine Abhängigkeit von Investoren mehr.
Kolbenhof wirbt um Mitglieder und Kleinanleger
Eine Finanzierung des Kaufpreises durch Banken ist gesichert, weil dahinter ein hoher Immobilienwert steht, sagt Trapp. Mit vergleichsweise geringen Mieten durch die Genossenschaftsmitglieder würde sich der Bankkredit im Laufe der Jahre abzahlen lassen. Ein Modell, das für viele solcher früheren Gewerbegebiete gelten könnte, die in den Sog des Wohnungsbaubooms geraten: zum einen durch die besondere Riegelbauten, zum anderen aber auch durch die vertragliche Verpflichtung des Investors.
Doch noch fehlt der Genossenschaft Geld, um die Halle 7 vollständig für die neue Nutzung ausbauen zu können. Aktuell wirbt der Kolbenhof daher noch um weitere Mitglieder und Kleinanleger, die das Projekt mit einem Anteil unterstützen und auch einen kleinen Zinsertrag erwarten könnten, wie Trapp sagt. Erste Zusagen von solchen „Fördergenossen“ gebe es schon.
Doch noch reicht es nicht. Und wenn nicht genügend zusammenkommt? Trapp zuckt mit den Schultern und schaut sich noch einmal in der Halle um. Sollte das schöne Kolbenhof-Modell scheitern, könnte die Halle 7 wieder zurück an Rheinmetall gehen. Mit ungewisser Zukunft für die Kolbenhöfer. Denn noch einmal wieder eine solche Insel zu finden dürfte unmöglich werden. Das zeigt schon ein Blick auf den Punkt 1 der Tagesordnung in der jüngsten Sitzung des Planungsausschusses in Altona: Da ging es wieder einmal um die „Drohende Verdrängung von Handwerk“ in einem Altona Hinterhof, diesmal an der nahen Bernstorffstraße.