Hamburg. Dem neuen Fernbahnhof am Diebsteich fehlt das Dach. DB lehnt Forderung der Stadt ab. Dammtor soll Vorbild für Bahnsteige werden.

Der neue Fernbahnhof Altona am Diebsteich wird voraussichtlich anders aussehen, als von SPD, Grünen, CDU und FDP beschlossen wurde. Die Bürgerschaft hatte vor einem Jahr mit großer Mehrheit eine „gleisüberspannende Überdachung der wesentlichen Bahnsteigbereiche“ gefordert. Es sollte wie im Hauptbahnhof und im Bahnhof Dammtor eine Bahnhofshalle geben. Doch die Deutsche Bahn (DB) will nur die Bahnsteige überdachen.

Die Bahn hat den Wunsch der Bürgerschaft „als für den Bahnbetrieb nicht erforderlich eingestuft und grundsätzlich abgelehnt“. So steht es in einer Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, die dem Abendblatt vorliegt.

Dirk Kienscherf, SPD-Stadtentwicklungsexperte
Dirk Kienscherf, SPD-Stadtentwicklungsexperte © Team Laible / Bodig | Team Laible / Bodig

Die Mehrkosten hätten etwa 36 Millionen Euro betragen, heißt es weiter in der Mitteilung. Die Deutsche Bahn hatte für ein eventuelles Hallendach sogar ein neues Planfeststellungsverfahren für notwendig gehalten und Unwägbarkeiten beim Bauablauf geltend gemacht, die eine verspätete Inbetriebnahme des Bahnhofs zur Folge haben könnten. Der neue Fernbahnhof Altona soll Ende 2023 eröffnet werden.

Die Drohung zeigt Wirkung. Die Stadt verzichtete auf die „gleisüberspannende Überdachung“ und handelte einen Kompromiss aus: Die Bahn hatte ursprünglich als „Wetterschutz“ eine Bahnsteigüberdachung vom Typ „Zwiesel“ auf einer Länge von je 170 Metern für die drei Fernbahnsteige und 95 Meter für den S-Bahnsteig vorgesehen.

Bahnsteigdächer werden nun länger als ursprünglich geplant

Nach den Verhandlungen präsentierte die Stadt nun dieses Ergebnis: Es sollen „gestalterisch anspruchsvolle“ Bahnsteigdächer „gmp-Dach Typ 1“ gebaut werden. Diese wurden einst von dem renommierten Hamburger Büro gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner entworfen und bereits am Bahnhof Dammtor außerhalb der Halle auf­gestellt.

Zudem werden die Bahnsteigdächer der Fernbahnbahnsteige gegenüber der ursprünglichen Planung von 170 auf 240 Meter verlängert und der S-Bahnsteig von 95 auf 140 Meter. Die Mehrkosten der Bahnsteigdachverlängerung werde auf etwa 10,5 Millionen Euro geschätzt. Davon entfallen etwa sieben Millionen Euro auf das gmp-Dach, sagte Susanne Meinecke, Sprecherin der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, auf Abendblatt-Anfrage.

Interessant ist auch, dass im End­effekt wohl die Stadt für die Kompromisslösung aufkommen muss. Behördensprecherin Susanne Meinecke: „Die Finanzierung übernimmt die DB Station und Service GmbH. Sie wird versuchen, eine Refinanzierung aus Bundesmitteln zu erhalten. Sollte dies nicht oder nicht vollständig möglich sein, wird sie die Kosten im Rahmen der Stationsentgelte einpreisen.“ In dem Fall erhalte Hamburg die Möglichkeit, die „Stationspreiserhöhung“ durch eine Einmalzahlung abzuwenden, so Meinecke weiter. Zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis ist Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD): „Wir haben mit der Deutschen Bahn eine akzeptable Kompromiss­lösung gefunden, von der die Fahrgäste profitieren werden. Natürlich wäre es optimal gewesen, eine Bahnhofshalle zu bauen. Aber die Mehrkosten von wahrscheinlich deutlich mehr als 36 Millionen Euro sind nicht vertretbar.“

Dass die Stadt für die Verlängerung der Bahnsteigdächer bezahlen muss, findet Rieckhof legitim: „Die DB baut einen Bahnhof nach ihren geltenden Regeln, und wir bezahlen nun im Sinne der Fahrgäste dafür, dass es in Hamburg mehr Komfort und Funktionalität gibt.“

Insgesamt sollen die Kosten für den neuen Fernbahnhof Altona bei rund 300 Millionen Euro liegen, die vom Bund und der Bahn übernommen werden.

Die Opposition kritisiert: „Staatskonzern DB und der rot-grüne Senat verweigern dem zweitwichtigsten Hamburger Bahnhof ein angemessenes Dach und lassen die Bürger im Regen stehen“, sagte FDP-Verkehrsexperte Wieland Schinnenburg. Der Senat verstoße zudem gegen einen Beschluss der Bürgerschaft, den Rot-Grün herbeigeführt habe, sagte Schinnenburg weiter.

Auch CDU-Vizefraktionschef Dennis Thering ist nicht zufrieden: „Der Senat und die DB haben offensichtlich aus den Fehlern beim Neubau der S-Bahn-Station Ottensen nichts gelernt. Dort musste die Sparversion mit dem viel zu kurzen Dach im Nachhinein wieder umgeplant werden.“ Beim Fernbahnhof Altona dürften sich diese Fehler nicht wiederholen. Mit der geplanten Light-Version am Fernbahnhof Altona werde das Umsteigen vom Auto auf die Bahn sicher nicht attraktiver.

Auch ums Empfangsgebäude wurde zunächst gestritten

Die Kritik von FDP und CDU kann Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks offensichtlich nicht nachvollziehen: „Wir haben einiges bei der Bahn erreicht. Der jetzige Entwurf zum Bahnhof Diebsteich ist erheblich besser als die ersten Pläne der Bahn. Wir bekommen auf dem neuen Bahnhof jetzt längere, bessere und schönere Bahnsteigdächer.“ Insgesamt habe es sich gelohnt, dass hier politischer Druck ausgeübt worden sei. Das sieht SPD-Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf ähnlich: „Auch wenn die teilweise gleisüberspannende Überdachung nicht kommt, sind deutlich Verbesserungen erreicht worden. Altona bekommt nun keinen Kreissparkassen-Haltepunkt, sondern einen modernen Bahnhof mit Aufenthaltsqualität und Ausstrahlung.“

Der Streit über die Überdachung ist nicht die erste Diskussion über das Großbauvorhaben. Die DB hatte zunächst ein bescheidenes Empfangs­gebäude geplant. Eine „wirtschaftliche und funktionale Lösung“ sollte es sein. Doch das wollten Grüne und SPD nicht: „Wir brauchen ein architektonisch anspruchsvolles Bahnhofsgebäude mit einer hohen Aufenthaltsqualität“, forderte SPD-Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf im Januar vergangenen Jahres im Abendblatt. Das wurde später auch in dem Antrag der Bürgerschaft , in dem Rot-Grün die „gleisüberspannende Überdachung“ forderte, festgehalten.

Das Ergebnis: In einer europaweiten Ausschreibung wurde – wie berichtet – ein Investor gesucht, der das Empfangsgebäude baut. Außerdem sollen an dem neuen Fernbahnhof an der heutigen S-Bahn-Haltestelle Diebsteich zwei Hochhäuser mit bis zu 20 Etagen sowie einem Hotel, Büros und Läden errichtet werden.