Blankenese. Vermächtnis des Hamburger Künstlers Horst Janssen ist auf dem Markt, die Mieter müssen ausziehen. Was nun passiert, ist unklar.
Rätselraten um das Vermächtnis des Hamburger Künstlers Horst Janssen. Sein uriges Kutscherhaus am Mühlenberger Weg 22 am Elbufer wurde aus dem Familienbesitz verkauft. Die beiden bisherigen Mieter der in zwei Wohnungen aufgeteilten Villa (Baujahr 1912) müssen noch in diesem Frühjahr ausziehen.
„Ich möchte dazu keine Stellungnahme abgeben“, sagt Lamme Janssen, Tochter des 1995 verstorbenen Zeichners und Grafikers. „Das ist Privatsache.“ Nachbarn in Blankenese sehen das anders. Denn neben der Horst-Janssen-Bibliothek im nahe gelegenen Goßlerhaus in Blankenese und dem Janssen-Museum in Oldenburg bei Bremen steht das ehemalige Kutscherhaus am Baurs Park nicht nur bei Anhängern des Künstlers nach wie vor im Blickpunkt. 18 Jahre lang lebte und arbeitete das ebenso begnadete wie eigenwillige Original in dem alten, zweistöckigen Gebäude mit der grün-weiß gestreiften Dachfront, den Fensterläden, dem Türmchen und dem vorgelagerten Wintergarten.
Mancher in den Elbvororten macht sich Sorgen um die Zukunft des im englischen Landhausstil errichteten Hauses, das laut Hamburger Kulturbehörde nicht unter Denkmalschutz steht. Sanierungsmaßnahmen sind dringend erforderlich. Doch bleibt der individuelle, dezent marode Charme des geschichtsträchtigen Gebäudes erhalten? Käufer soll ein namhafter Hanseat aus dem Verlagswesen sein.
Weniger zurückhaltend als die bisherige Besitzerin Lamme Janssen ist einer der beiden Mieter. Johann-Heinrich Riekers, Anlageberater bei der Volksbank in Pinneberg und als stellvertretender Vorsitzender der CDU Blankenese vor Ort kein Unbekannter, öffnet bereitwillig die Tür zu einem kleinen Reich, das seinesgleichen sucht. Hier schuf der exzentrische, alkoholkranke Horst Janssen einen erheblichen Teil seiner insgesamt rund 20.000 Zeichnungen und Aquarelle sowie etwa 3000 Radierungen.
„Herzlich willkommen“, sagt Riekers und öffnet das schmiedeeiserne Gartentor. Im winzigen, verwunschenen Garten stehen zwei verwitterte Skulpturen des Künstlers. Auch ihre Zukunft ist ungeklärt. Eine steinerne Treppe führt in einen kleinen, nach drei Seiten und auch nach oben verglasten Wintergarten mit traumhaftem Blick auf den Elbhang und den Strom selbst. Man kann sich ausmalen, wie Janssen hier von der Muse geküsst wurde und Inspiration für seine Kunstwerke erlebte. Hinter einer weiß verschalten Wand im Flur ist ein großes Janssen-Kunstwerk verborgen. „Es ist wild, derb, ordinär, jedoch großartig“, sagt Johann Riekers. Angeblich wurde es in einem nächtlichen, hochprozentigen Kreativschub geschaffen.
Das Atelier selbst befand sich an anderer Stelle des Hauses. Bestens erhalten sind die weiß lackierten, großformatigen Holzbohlen des Fußbodens, insgesamt vier Dachluken, die gut und gerne ein Jahrhundert alten Türgriffe, typischen Hamburger Fußleisten, Kassettentüren, Sprossenfenster sowie ein Raum mit kleinen, tiefliegenden, rechteckigen Fenstern, die ein wenig wie Schießscharten wirken. Die Lampenschirme in der Küche bestehen aus durchlöcherten Konservendosen. Im Nebenzimmer pflegte Janssen seine alte Zigarrenkiste zu verwahren, die als Schatzkiste diente. Seine Kunstwerke verkaufte er, so er sie nicht verschenkte, mit Vorliebe gegen Bargeld. Auf Steuerzahlungen verzichtete der geniale Paradiesvogel jahrelang, sodass ihm einst eine deftige Steuernachforderung auferlegt wurde. Zwecks Finanzierung schuf er eine Grafikserie, die den „Halsabschneidern vom Finanzamt“ gewidmet war.
Auch Janssens Tochter lebte zeitweise in dem Haus am Mühlenberger Weg
Horst Janssen erwarb das heruntergekommene Kutscherhaus 1967 für angeblich 30.000 Euro, nachdem er sein vorheriges Domizil an der Warburgstraße am Dammtor verlassen musste. Es wurde abgerissen. Das neue Heim am Mühlenberger Weg 22 verfügte über keine Heizung, und das Erdgeschoss bestand weitgehend aus einer Garage inklusive Reparaturgrube für Autos. Janssen musste viel investieren.
Aktuell ist Horst Janssens Haus in zwei Wohnbereiche aufgeteilt, die jeweils ungefähr 70 Quadratmeter umfassen. Der Garten ist nicht viel größer. Im Mai 1990, also fünf Jahre vor seinem Tod, brach Janssen – angeblich volltrunken – durch den morschen Balkon und krachte auf den Boden. Folgen waren ein doppelter Beckenbruch und verätzte Augen, an denen er fast ein Jahr litt. Denn unter dem Balkon stand ein Bottich mit Schwefelsäure, die der Künstler für seine Arbeiten benötigte.
Auch seine Tochter Kathrin Janssen, die später nur „Lamme“ genannt wurde (dieser Name steht heute in ihrem kanadischen Pass), wohnte lange im Haus Mühlenberger Weg 22. Sie entstammt einer der drei Ehen des Künstlers, wurde 1956 geboren, wanderte nach der Trennung ihrer Eltern 1959 nach Nordamerika aus. Am 10. Oktober 1986 sah sie ihren leiblichen Vater erstmals bewusst. Fünf Jahre später kam Lamme mit Töchterchen Kalyani nach Hamburg. Beide lebten für einige Monate Seite an Seite mit Horst Janssen. Nach dem Tod ihres Vaters wohnte sie dort alleine. Offenbar, so heißt es in ihrem Bekanntenkreis, will sie ganz nach Kanada zurückkehren.
Unredliches Verhalten werfen ihr die heutigen Mieter keinesfalls vor. „Die Laufzeit meines Mietvertrags betrug von Anfang an drei Jahre“, sagt Johann Riekers, „bis 31. Mai 2016.“ Er selbst kündigte bereits zu Ende April, „um Herr des Handelns zu bleiben“. Dennoch betrübt ihn der bevorstehende Auszug aus einem ganz besonderen Haus: „Eine Wohnung mit so viel Charme, Stil und Geschichte werde ich nicht wieder finden.“
Eben wegen der Verbundenheit zu einem einmaligen Haus in sehenswerter Lage hofft Riekers, dass der Würde des Hauses auch nach einer geplanten Komplettrenovierung erhalten bleibt. Nachbarn und kundige Spaziergänger teilen diese Meinung.