Hamburg. In Eimsbüttel funktioniert es schon: Eine Leiter ausborgen, Kinder betreuen – über nebenan.de finden Anwohner zueinander.

Bei Tim kommen keine Pakete mehr an, und er möchte wissen, ob es bei den anderen in der Straße auch so ist. Ole fragt, ob es eine Laufbahn in der Nähe gibt und ob jemand Lust hat mitzukommen. Und Sarah verrät, bei welchem Hausarzt man in Eimsbüttel auch als Kassenpatient schnell einen Termin bekommt.

Bezirke werden in Kleinsteinheiten eingeteilt

Tim, Sarah und Ole wohnen nur wenige Straßen voneinander entfernt in Eimsbüttel, doch kennengelernt haben sie sich nicht im Supermarkt oder am Kiosk, sondern über die neue Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Das Prinzip ist im Grunde bekannt, aber im Detail doch ganz neu. Es geht darum, dass sich über die Seite Menschen kennenlernen und austauschen können, sich gegenseitig Dinge ausleihen und helfen können. Plattformen nach ähnlichem Prinzip gibt es zwar bereits. So sublokal wie nebenan.de war bisher aber noch keines angelegt.

Nebenan.de funktioniert in Kleinsteinheiten. Tim, Sarah und Ole zum Beispiel kommunizieren über den Unterbereich Osterstraße-Nord. Welche Straßen dazugehören, wurde von nebenan.de genau definiert.

Viele Menschen, die hier – zwischen Heußweg und Methfesselstraße wohnen – haben in diesen Tagen ein Einladungsschreiben im Briefkasten gefunden. Darin heißt es: „Hier bei nebenan.de kann man seine Nachbarn in einem sicheren und privaten Umfeld kennenlernen, sich Dinge ausleihen, (…) und Kinderbetreuung organisieren.“ Dazu ein Link für die Anmeldung und ein Zugangscode. Als Absender grüßt ein gewisser Tobias aus dem Stellinger Weg.

Tobias ist der sogenannte Ambassador, ein Botschafter für das neue Gebiet Osterstraße-Nord. Der 35-Jährige ist erst vor einem Jahr nach Hamburg gezogen und kannte kaum Leute. Als er von nebenan.de hörte, nahm er zu der Plattform Kontakt auf.

Deutschlandweit gibt es 130 Nachbarschaftseinheiten

Gegründet wurde nebenan.de als Start-up in Berlin. Der erste „Nebenan-Stadtteil“ ist Ende August 2015 in der Hauptstadt online gegangenen. Inzwischen sind es deutschlandweit 130 Einheiten. „Pro Einheit sollten es nicht mehr als 4000 bis 5000 Haushalte sein“, sagt Mitgründerin Ina Brunk. „Und Voraussetzung für eine neue Gruppe ist immer, dass sich vor Ort ein Botschafter findet.“ In Hamburg sind inzwischen zehn Nebenan-Nachbarschaften aktiv, neben Osterstraße-Nord auch Osterstraße-West, Ottensen-Süd, -Nord, -West und -Ost, St. Georg-Nord, das Treppenviertel sowie rund um Lutteroth- und Glücksburger Platz. Demnächst sollen das Karoviertel, das Grindelviertel und Schlump dazukommen.

Ina Brunk ist nach den ersten Monaten sehr zufrieden. Aus einigen Nebenan-Nachbarschaften weiß sie, dass die Mitglieder Kochabende und Straßenfeste organisiert haben oder sich bei Reparaturen helfen. So, wie es von den Machern gedacht war.

Zweifler könnten nun anmerken, dass es in der Geschichte bisher auch ohne ein derartiges Netzwerk Kochabende und Straßenfeste gegeben hat. Und eine Leiter hat man auch immer irgendwie organisieren können. Wo genau liegt also der Bedarf?

Netzwerke kompensieren eine Sehnsucht

Eine mögliche Erklärung hat Julia Hahmann, die an der Universität Vechta zum Thema Nachbarschaft forscht. Sie vermutet, dass solche Netzwerke zum Teil eine Sehnsucht kompensieren können, die vor allen in Großstädten und dort in bestimmten Milieus auftritt. „Ich nehme an, dass die Mitglieder aus einkommensstarken Schichten kommen und in gefestigten sozialen Strukturen leben. Menschen also, die für die dort getauschten Dienstleistungen auch einfach bezahlen könnten und vermutlich nicht einsam sind.“ Warum sie sich zusätzlich noch online zusammentun? „Es zeigt sich eine Art romantische Sehnsucht nach traditionellen Gemeinschaften, die sich darin äußert, dass gerade Menschen in Ballungszen­tren räumlich nahe Beziehungen und verlässlichen Austausch suchen.“ Oftmals würden dann Dinge vermisst, die selbst nie erfahren wurden – wie etwa eine ländliche Nachbarschaftsidylle.

Für die Macher von nebenan.de kommt zu dem romantischen Aspekt aber noch ein weniger romantischer hinzu. Spätestens wenn die Finanzierung ausläuft, muss Geld verdient werden. Wie schon andere Vorgängerplattformen setzen sie künftig auf lokale Anzeigenkunden. Ob das klappen kann? Der vielleicht bekannteste Vorgänger in Hamburg namens niriu.de hat jedenfalls im vergangenen Sommer nach knapp fünf Jahren aufgegeben. Als Begründung hieß es, dass man nicht groß genug geworden sei, um Finanzierungsquellen aufzutun. Andere wiederum haben von Anfang an gar nicht erst auf Profit gesetzt, etwa die Hamburger Facebook-Gruppe Nett-Werk mit beachtlichen 14.000 Mitgliedern. Die Nebenan-Gemeinde Osterstraße-Nord ist mit 113 aktiven Nachbarn dagegen noch klein – wächst aber stündlich.

Wer selbst in seinem Viertel eine neue Nebenan-Gruppe gründen will, kann sich bei den Machern melden: kontakt@nebenan.de