Hamburg. 180.000 Bürger sollen über die Bebauung des Zeise-Parkplatzes entscheiden – obwohl längst gebaut wird. Eine Analyse.

Eigentlich sollte das große Brachgelände bei den Zeise-Hallen in Ottensen längst bebaut sein: Das Unternehmen Tesa plante hier eine Niederlassung, Greenpeace und andere Unternehmen auch. Doch für das städtische Grundstück in unmittelbarer Nähe der Zeise-Hallen gelten hohe Auflagen. Wer immer dort baut, muss Ersatz für den öffentlichen Parkplatz auf dem Areal schaffen, was nur mit einer Tiefgarage funktioniert. Zu teuer, hieß es daher oft, und Investoren sprangen wieder ab.

Nun bauen die Hamburger Projektentwickler Quantum und Procom dort die gewünschte Tiefgarage und darüber einen Bürokomplex, wo gut 850 Mitarbeiter verschiedener Hamburger Firmen der britischen Werbeholding WPP zusammenziehen sollen. Doch statt allgemeiner Erleichterung tobt in Altona seit Monaten ein großer Streit um das Projekt. Bürger werfen der Verwaltung Mauschelei vor, Investoren sprechen von Falschinformation ihrer Gegner, die wiederum mit Klagen drohen. Und obwohl dort längst gebaut wird, startet dazu in diesen Tagen nun auch noch ein offizieller Bürgerentscheid im Bezirk Altona.

Der Streit zeigt, was passiert, wenn man nicht rechtzeitig mit Bürgern redet, wenn Verwaltung unsensibel agiert, Verschwörungstheorien aufblühen und schließlich Bürgerentscheide zu noch mehr Verdruss führen können, weil sie an den Fakten kaum etwas ändern können. Immerhin rund 180.000 Wahlberechtigte bekommen vom Bezirksamt im Laufe der kommenden Woche per Post Abstimmungsunterlagen zugeschickt. Im Prinzip geht es um zwei Fragen: „Sind Sie für einen neuen Bebauungsplan, der dort nur Wohnungsbau vorsieht?“ So in etwa lautet der Vorschlag der Initiative des Entscheids. „Sind Sie für 850 neue Arbeitsplätze in Ottensen?“ So heißt die Gegenfrage, die von der Mehrheit in der Altonaer Bezirksversammlung formuliert wurde. Und weil man auch beidem zustimmen könnte, gibt es noch eine Stichfrage, bei der es darum geht, welcher Frage man eher zustimmen würde, sollten beide die gleiche Zustimmung bekommen.

Bis zum 30. September können wie bei einer Briefwahl die Unterlagen zurückgeschickt werden. Gut 280.000 Euro kostet laut Bezirksamt das gesamte Verfahren. Doch eine klare Entscheidung in „Ja“ oder „Nein“ dürfte auch der Bürgerentscheid nicht bringen. Weil der Neubau nach dem derzeitigen Bebauungsplan zulässig sei, hat das Bezirksamt die Baugenehmigung dafür bereits erteilt, längst wird gebaut, ein nachträglicher neuer Bebauungsplan könnte – wenn überhaupt – nur mit millionenteuren Regressforderungen durchgesetzt werden. Deutlich wird die Verworrenheit dieses Streits in der Stellungnahme der Grünen, die sich von der Verwaltung „getäuscht“ sehen, die Forderung des Bürgerentscheids aber für „nicht seriös“ halten. „Was denn nun?“, möchte man da fragen.

„Wir wollen eine echte Bürgerbeteiligung durchsetzen“, antwortet Hauke Sann, Sprecher der Initiative „Pro Wohnen Ottensen“. Procom und Sann kennen sich im Übrigen gut: Sann, selbst in der Werbebranche tätig, war Mieter von Procom in den benachbarten Zeisehallen und wollte dort ein „Kompetenzzentrum für Marke, Medien und Medienproduktion“ aufbauen. Das Vorhaben scheiterte, weil man sich nicht über die Kosten einigte.

Inzwischen ist Sann bei Procom ausgezogen. Ist es also auch ein kleiner Rachefeldzug? „Nein“, wehrt sich Sann, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, man wolle eben erreichen, dass in Ottensen mehr Wohnungen und bezahlbare Flächen für kleine Firmen geschaffen werden, nicht so ein riesiger Komplex, der zu einer weiteren Verteuerung der Mieten führen werde. Sann: „Wir wollen einen Kompromiss, wir wollen, dass der Büroanteil kleiner wird.“ Eine hohe Zustimmung zu ihrer Forderung werde Politik und Investoren an den Verhandlungstisch zwingen, glaubt Sann. Zumal die Initiative auch eine Klage gegen die Baugenehmigung in Vorbereitung habe. „Da gibt es doch Abweichungen vom gültigen Bebauungsplan“, sagt er.

Das bestreitet aber Procom-Geschäftsführer Dennis Barth: „Wir halten uns streng an das gültige Recht“, sagt Barth. Klagen sehe er daher mit Gelassenheit entgegen, einen von der Initiative jetzt ins Spiel gebrachten Kompromiss lehnt er indes ab. „Die Verträge sind längst unterschrieben, da gibt es keinen Spielraum mehr.“

Die Fronten scheinen also unverrückbar. Was auch viel mit der Vor­geschichte zu tun hat, die genug Stoff bietet, um Täuschungsmanöver zu wittern. Nicht nur, weil die umstrittene Baugenehmigung vom Bezirksamt in aller Stille erarbeitet wurde, als die Politik noch mit der Initiative diskutierte. Die Ursache für den Argwohn liegt weiter zurück: Noch 2014 wollte Procom dort ein Wohn- und Geschäftshaus bauen, wo die Hälfte der rund 80 Wohnungen Sozialwohnungen werden sollten. Dann kam Quantum mit der WPP-Ansiedlung hinzu. Aber die geänderte Planung sollte nicht vor der Bezirkswahl öffentlich werden. Möglicherweise war es der SPD peinlich, weil sie sich selbst vor der Wahl für das geförderte Wohnprojekt mitten im teuren Ottensen gefeiert hatte. Als dann auch noch ein ehemaliger SPD-Bezirkspolitiker als Berater der Investoren in Erscheinung trat, schien die Lage klar: Die Investoren hätten sich das Grundstück unter fadenscheinigen Argumenten erschlichen, um hinterher etwas ganz anderes zu bauen .

Doch diese Darstellung hat einen Schönheitsfehler. Entschieden über den Verkauf hat die Kommission für Bodenordnung, also ein Gremium der Bürgerschaft. Die Kommission hätte den Verkauf für eine Bürobebauung auch schlicht ablehnen können, plädierte aber eindeutig dafür, um WPP in Hamburg zu halten.

In den benachbarten Geschäften der Baustelle gibt man sich unterdessen gelassen, Furcht vor einer Verdrängung gibt es hier zumindest offensichtlich nicht, eher das Gegenteil: „Auch Werber werden krank“, heißt es in der Apotheke gegenüber. Und Carsten Hemminghaus, Inhaber vom Bistro alpe altona, ist in diesem Streit um Büros und Wohnungen eher „neutral“. Wichtig sei nur, sagt Hemminghaus, dass dort endlich einmal gebaut wird.