Sternschanze. Schanzenviertel gilt als größter Cannabis-Umschlagplatz Norddeutschlands. Anwohner fordern jetzt kontrollierte Abgabe.
Janina Müller hört nur ein Flüstern: „Alles klar?“ Dann beginnt eine Gestalt ihr in der Dunkelheit durch das Schanzenviertel zu folgen. Die 26-Jährige wechselt die Straßenseite am Schulterblatt, beschleunigt ihre Schritte, sieht sich um. Der Schatten bleibt auf drei Meter Distanz, pfeift eine leise Melodie. Voller Angst und mit Tränen in den Augen schlägt sie schließlich die Eingangstür zu ihrer Wohnung zu. Später erzählt Janina, die eigentlich ganz anders heißt, Freunden von dem Vorfall. Viele haben Ähnliches schon erlebt. Vor Bars und in Wohnstraßen, im Schanzenviertel ebenso wie auf St. Pauli.
Drogenhändler gehen in den beiden Hamburger Szenevierteln derzeit sehr aggressiv vor. Laut Polizei handelt es sich meist um Afrikaner, die in anderen Bundesländern gemeldet sind. Sie verkaufen Marihuana und Kokain und bedrängen Passanten. Der Stadtteilbeirat Sternschanze bezeichnet den Florapark sogar als „größten Umschlagplatz Norddeutschlands“. Auch das Bezirksamt Altona spricht von „zunehmenden Drogenaktivitäten“ im Stadtteil Sternschanze.
Festnahmen bei Drogenrazzia in der Schanze
Am heutigen Mittwoch soll daher ein „Runder Tisch“ (19 Uhr, Jesus Center, Schulterblatt 63) Lösungsvorschläge erarbeiten. Damit der Park „wieder uneingeschränkt durch die Allgemeinheit genutzt werden kann“, wie es in der Einladung heißt. Es ist ein jahrelanger Kampf, in dem auf jeden Erfolg bislang ein Rückschlag folgte.
Nun treten Anwohner für einen drastischen Schritt ein: „Wir brauchen hier die Freigabe weicher Drogen“, sagt Wolf Buchaly vom Stadtteilbeirat Sternschanze und fordert als „Modellversuch“ die Einrichtung eines Coffee-shops nach niederländischem Vorbild, wo Cannabis straffrei verkauft und konsumiert wird. Solche Modellversuche gebe es inzwischen auch in Spanien und der Schweiz. Alles andere, so Buchaly, habe bisher nichts gebracht, obwohl vieles schon versucht worden sei.
Ein Gefahrengebiet, Kinderzirkus und Blumen gegen Drogenhandel
Die Liste der Maßnahmen, die Politik und Polizei schon eingeleitet haben, ist in der Tat lang. Bis Oktober 2013 galt das Areal als Gefahrengebiet, wo die Polizei verdachtsunabhängig kontrollieren konnte. Zivilfahnder wurden verstärkt aktiv, Spürhunde fanden Drogenverstecke. Der Bezirk Altona gab 30.000 Euro, um den Park zu beleben, wie es hieß. Ein Kinderzirkus trat dort auf, eine hellere Beleuchtung wurde installiert, Kinder pflanzten Blumen, Präventionsflyer wurden verteilt.
Doch der Drogenhandel blieb, jedenfalls zyklisch. Je mehr Druck die Polizei machte, desto mehr wich die Szene in andere Stadtteile aus. „Wir sind jeden Tag an den Brennpunkten mit Zivilfahndern oder uniformierten Kräften im Einsatz“, sagt Polizeisprecher Holger Vehren: „Die Gruppen von Drogendealern sind jedoch sehr beweglich, wechseln schnell die Standorte.“ Nach Kontrollen weichen die Dealer aus dem Florapark für kurze Zeit in den Schanzenpark oder den Bereich Hamburger Berg/Hein-Hoyer-Straße auf St. Pauli aus und kehren später zurück. „Diese Szene an der Verfestigung zu hindern, ist für uns extrem personalintensiv“, sagt Vehren. Von einer Beendigung des Drogenhandels ganz zu schweigen: Je besser das Wetter sei, desto mehr Dealer tummelten sich außerdem an den Brennpunkten.
Politik und Anwohner sehen es bereits als Erfolg an, dass keine noch härteren Drogen am Schulterblatt verkauft werden. Die Belastung durch den Drogenhandel stiege ins „Unermessliche“, hatte die Polizei 1997 schon einmal festgestellt. Auch sei ein Zusammenhang von Drogenhandel rund um den Florapark und mehr Einbrüchen heute nicht mehr zu erkennen, vermutet die Polizei laut einem Ausschussprotokoll.
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Der Stadtteilbeirat sieht es deshalb als Chance, mit einem Freigabemodell den Cannabishandel gezielt ausschalten zu können. „100 Kiffer, die nicht mehr kriminalisiert werden, sind mir lieber als 100 Alkis, die aggressiver auftreten“, sagt Stadtteilaktivist Buchaly. Unterstützung bekommt der Vorschlag aus Teilen der Altonaer Kommunalpolitik. „Wir können uns einen solchen Modellversuch durchaus vorstellen“, sagt der SPD-Bezirksabgeordnete Gregor Werner. Der rot-grüne Senat hat im Koalitionsvertrag vereinbart, eine kontrollierte Abgabe im Gesundheitsausschuss „ergebnisoffen zu prüfen“. In der Zwischenzeit hält Werner einen neuen Runden Tisch für sehr nützlich.
In „dichten urbanen Räumen“ wie dem Schanzenviertel habe man es eben immer wieder mit solchen Phänomenen zu tun. „Wichtig ist dann, dass alle Akteure zusammenkommen und über Maßnahmen beraten“, sagt Werner. In der Vergangenheit habe das funktioniert. Und wenn das Pendel wieder umschlägt, wieder die Dealer die Szene beherrschen – dann müsse man eben wieder reagieren. Mit einem Runden Tisch, wie der Politiker meint.
Die trickreichen Dealer zu überführen, fällt der Polizei schwer
Die CDU forderte in der Vergangenheit dagegen, neben der Prävention auch die polizeilichen Maßnahmen in Sternschanze und St. Pauli deutlich zu verstärken. Obwohl immer wieder Drogenhändler am Schulterblatt festgenommen werden, hat die Polizei nach Auskunft des Landeskriminalamts jedoch mit dem Geschick der Dealer zu kämpfen. „In der Regel hat der Mann, der die Passanten auf der Straße bedrängt, gar keine Drogen dabei“, sagt Polizeisprecher Holger Vehren. Die Männer agierten in Dreiergruppen, einer trage nur eine kleine Verkaufsmenge an Drogen bei sich und ein weiterer nehme das Geld entgegen.
Um dabei zu einer Festnahme wegen Drogenhandels zu kommen, muss der Polizei die gesamte Transaktion dokumentieren können. Die Späher der Dealergruppen haben nach Polizeiangaben jedoch feine Antennen, erkennen Zivilfahnder schnell. „Dass ein verdeckter Beamter sich erfolgreich als Kunde ausgibt und wir zugreifen können, kommt in der Praxis selten vor“, sagt Polizeisprecher Holger Vehren.
Selbst auf St. Pauli, wo die Polizei ein Gefahrengebiet eingerichtet hat, fehlt den Beamten die Handhabe. So dürfen sie Personalien überprüfen und Taschen anschauen, finden dabei aber höchstens kleinere Mengen an Drogen. „Ein Platzverweis“, sagt Vehren, „ist in manchen Fällen das schärfste Schwert, das unser Recht hergibt“.