Hamburg. Der Instrumentenbauer investiert 25 Millionen Euro in die Erweiterung der Produktion in Bahrenfeld. John Paulsen forciert eine Expansion.

John Paulsen gehört zu den reichsten Männern der Welt. Der New Yorker ist dafür berüchtigt, dass er sein Vermögen mit Untergangsszenarien gemacht hat, mit dem Unglück anderer: Er wettete auf den Immobiliencrash in den USA und verdiente damit mehr als drei Milliarden Dollar, während Millionen Amerikaner ihre Häuser verloren. Der Mann hat Finanzwirtschaft studiert, gehörte zur Bildungselite der Harvard Business School und kann offenbar, wenn man die Sache rational betrachtet, mit Geld umgehen. Aber hat er auch ein Faible für Musik, oder warum kauft er ausgerechnet eine Firma, zu deren Kunden Sergei Rachmaninow, Gustav Mahler, George Gershwin und Billy Joel gehörten und gehören?

Mit Unruhe und Sorge stellten sich vor eineinhalb Jahren die Mitarbeiter von Steinway genau diese Frage, als der Milliardär überraschend ihr Unternehmen übernahm. Heute sind sie sicher, dass es auch in der Klavierwelt nicht nur Schwarz und Weiß zu geben scheint: Der Mann agiert hier nicht als Heuschrecke. Er mag ein Finanzexperte sein, aber er glaubt auch an den Ins­trumentenbauer und lässt ihm Spielraum für Investitionen in die Zukunft. „Wir sind sehr froh, dass Paulsen das Rennen gemacht hat“, sagt Manfred Sitz, Europachef von Steinway. Sitz gibt seit 34 Jahren bei Steinway den Ton an, der Volkswirt ist verantwortlich für den Geschäftsbereich Finanzen.

Seit 2012 führt der Hamburger gemeinsam mit Werner Husmann die Produktion in der Hansestadt mit den Märkten Europa und Asien, während Amerika von Steinway in New York beliefert wird. Der 62-Jährige kennt die Chancen und Herausforderungen des Flügelherstellers und sieht, dass der amerikanische Investor dem Management freie Hand für Entscheidungen und genügend Kapital für deren Umsetzung lässt.

Allein in der Hamburger Fertigung in Bahrenfeld stehen Millioneninvestitionen an. „Wir werden in den nächsten Jahren 25 Millionen Euro für den Ausbau und die Erneuerung der Fabrik ausgeben“, sagt Sitz. Schließlich stammen die Backsteinhäuser aus dem Jahr 1926 und platzen mit dem Ausbau der Vielfalt bei den Flügeln und Klavieren aus allen Nähten. Neue Flächen von 5000 Quadratmeter hat sich Steinway für die Erweiterung seines Werkes bereits gesichert. Die ersten Millionen fließen in diesem Sommer in ein Blockheizkraftwerk, im Juni ist nach derzeitigen Planungen Spatenstich.

Dass Paulsen nicht nur als Zahlenmensch, sondern auch als Liebhaber der Marke mit der Lyra im Logo bei dem deutsch-amerikanischen Unternehmen eingestiegen ist, veranschaulicht Sitz an einer kleinen Anekdote: Als Kind habe der kleine John seine Schwestern bewundert, die leidenschaftlich Klavier spielten und sich bald nichts sehnlicher als einen Flügel wünschten. Der Vater versuchte die Bitte zu erfüllen, zu einem Steinway reichte das Geld der Familie damals aber nicht. Aus Enttäuschung fing seine Schwester an zu weinen – und der Bruder begriff, welchen Wert ein Steinway für ernsthafte Musiker haben kann.

Heute lebt Paulsen nach dem Motto, man könne nie zu viele Steinways haben. Für den allerneusten Coup der Firma, einen selbst spielenden Flügel (Spirio), der in diesen Tagen auf den Markt kommt, stehe Paulsen aber genauso auf der Warteliste wie andere Kunden auch, versichert Sitz. Der Flügel, der etliche Stücke und Konzerte in Virtuosenqualität automatisch spielt, soll Steinway neue Impulse bringen.

4000 Instrumente hat Steinway 2014 allein in China verkauft

Aber auch die Wachstumsmärkte der Welt steigern den Umsatz der Marke, die im Vergleich etwa zu Bechstein oder Schimmel als Mercedes unter den Tasteninstrumenten gilt. Denn nicht nur die bekannten Solisten und Konzerthäuser vertrauen auf den Flügel, der in Hamburg aus 12.000 Teilen gefertigt wird. Auch die Menschen in den Schwellenländern leisten sich immer häufiger die schwarzen Schönheiten aus den besten Hölzern der Welt.

4000 Flügel und Klaviere hat Steinway im vergangenen Jahr allein in China verkauft. Die Dimensionen der Aufträge aus öffentlicher Hand im Reich der Mitte gehören in Deutschland längst der Vergangenheit an. So hat die nordchinesische Stadt Harbin 115 Instrumente gekauft, davon 28 Flügel mit einem Wert von jeweils mehreren Zehntausend Euro. „Das war die Erstausstattung für den Neubau einer Hochschule“, freut sich Sitz. Zum Vergleich: In Deutschland hatte Stuttgart zuletzt in den 90er-Jahren einen Großauftrag an Steinway vergeben. Hier ging es um 50 Exemplare.

Nach wie vor liegen die USA für Steinway mit 6000 verkauften Instrumenten an der Spitze der Weltmärkte. Mit 2000 Bestellungen bildet Europa bei den größten Märkten nur noch das Schlusslicht. „Hier macht uns der Kursverfall des Rubel zu schaffen, Russland und die Ukraine bestellen kaum noch“, sagt Sitz.

„Weltweit gehen wir für das kommende Jahr von moderatem Wachstum beim Absatz aus“, fasst Sitz die Aussichten der Firma mit gut 400 Mitarbeitern in Hamburg zusammen. Die Ertragslage sei gut. Zuletzt waren hier auch gut 20 Stellen in der Produktion neu besetzt worden, um die Lieferzeiten zu verkürzen.

In Deutschland stagniert der Markt, gleichermaßen bei den institutionellen Kunden wie bei den Privatkäufern. „Wir beobachten auch zurückgehende Einschreibezahlen bei den Hochschulen“, sagt Sitz über den sinkenden Einfluss der Musikstudenten auf die Nachfrage. „Die neuen Medien halten viele junge Leute davon ab, ein Instrument zu lernen“, stellt der Familienvater fest. Der neue Spirio soll mit seiner Selbstspieleinrichtung, die über eine App funktioniert, die Brücke zwischen der realen und der digitalen Welt schlagen und so manchem Klavierneuling die Schwellenangst nehmen.

Auch Sitz selber ist bei der Musik ein Wanderer zwischen den Welten: Vor wenigen Tagen hat er das Konzert des Pianisten Grigory Sokolov in der Laeiszhalle besucht, mit Werken von Bach, Schubert und Chopin. Bei den Firmenfeiern bei Steinway schlägt Sitz aber andere Töne an: Hier betätigt sich der Chef als DJ.