„Pro Wohnen Ottensen“ protestiert gegen den Neubau an den Zeise-Hallen - eine Werbe-Holding soll einziehen. Die Initiative fordert sozialen Wohnungsbau auf dem Grundstück, sonst drohe eine Entwicklung wie im Schanzenviertel oder am Prenzlauer Berg in Berlin.

Hamburg. Sie fühlt sich übergangen. Janette Bleeker, Filmemacherin und Journalistin aus Ottensen, befürchtet, dass sich ihr Stadtteil verändert. Und zwar nicht zum Guten. Durch den geplanten Neubau eines Bürokomplexes auf dem Parkplatz neben den Zeise-Hallen, in den die weltweit größte Werbe-Holding WPP mit 850 Mitarbeitern einziehen soll, drohe Ottensen eine Entwicklung ähnlich wie im Schanzenviertel oder am Prenzlauer Berg: Mietsteigerungen, Veränderung des Stadtbildes zugunsten einer Monokultur aus Gastronomie und hochpreisigen Geschäften, Zunahme des Verkehrs. Gentrifizierung eben.

Zusammen mit Gleichgesinnten hat Bleeker deshalb die überparteiliche Bürgerinitiative “Pro Wohnen Ottensen“ ins Leben gerufen, die den Hamburger Senat in einem offenen Brief nun aufgefordert hat, das städtische Grundstück nur zu verkaufen, wenn dort der zunächst angekündigte soziale Wohnungsbau realisiert werden würde.

„Lange wurden hier Wohnungen geplant und versprochen - und nun, in der Sommerpause, wird das alles umgeworfen. Was Hamburg braucht, sind bezahlbare Wohnungen, freie Büroflächen gibt es mehr als genug“, sagten die Initiatoren am Dienstag.

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, wurde die Friedensallee mitten in Ottensen symbolisch in „Scholz & Friendsallee“ umbenannt, in Anspielung auf die große Hamburger Werbeagentur, die seit ein paar Jahren zu WPP gehört, sowie Bürgermeister Olaf Scholz, an dessen Gewissen appelliert wurde, sich doch bitte an seine Aussage vom November 2011 zu erinnern, dass „wir mit dem Wohnungsbau niemals aufhören dürfen“.

Dabei richte sich die Initiative nicht gegen die Menschen, die in der Werbung arbeiten, sondern gegen die Art und Weise der Stadtplanung. “Da wird im Hinterzimmer nach Gutsherrenart entschieden, das geht an den Menschen und Bedürfnissen des Stadtteils vorbei und zerstört den Frieden im Quartier“, sagt Bleeker. Denn wo an anderer Stelle wie der „Neuen Mitte Altona“ oder den „Esso-Hochhäusern“ Bürgerbeteiligung groß geschrieben würde, würde Politik hier völlig unzeitgemäß durchgesetzt. Die Werber seien zudem in der HafenCity beispielsweise viel besser aufgehoben.

Das Argument, es würden neue Arbeitsplätze geschaffen, will die Initiative nicht gelten lassen. „Die WPP will lediglich seine bisherigen Standorte in Hamburg zusammenlegen. Selbst der Umzug der Deutschland-Holding von Frankfurt nach Hamburg , wenn er denn käme, brächte nur eine handvoll neue Arbeitsplätze. Bei Nutzung von Synergie-Effekten sei sogar eher ein Abbau zu erwarten.“

Das Areal für den geplanten Neubau grenzt unmittelbar an die denkmalgeschützten Zeise-Hallen der 1869 gegründeten Zeise-Schiffsschraubenfabrik. 1979 musste die Fabrik Konkurs anmelden. Die alten Hallen wurden schließlich mit Unterstützung der Stadt umgebaut. Kulturschaffende, Restaurants und das Zeise-Kino zogen Anfang der 1990er-Jahre ein.

Schon länger sollte auch der benachbarte Parkplatz bebaut werden. Pläne gab es für ein Kino, eine Behörde sollte dort schon einmal hinziehen, zuletzt war ein Wohn- und Geschäftshaus geplant. Lob gab es besonders dafür, dass mehr als die Hälfte der geplanten rund 80 Wohnungen geförderte Wohnungen mit Sozialmieten werden sollten – also deutlich mehr als der gesetzlich vorgegebene Drittelmix.

Problem war aber stets, dass auf dem Grundstück eine so genannte Baulast liegt. Wegen des nahen Zeise-Kinos muss jeder Investor dort eine größere Zahl von öffentlichen Parkplätzen nach einer Bebauung bereithalten. Die Initiative „Pro Wohnen Ottensen“ vermutet nun, dass sich ein Wohnungsbauprojekt nicht rentieren würde, wenn zusätzlich 160 Parkplätze mitgebaut werden müssten - anders sähe das bei einem Bürokomplex für einen Werbekonzern aus.

Begonnen hatte der Protest mit einer Online-Petition, die Anfang August ins Leben gerufen wurde. Bis heute haben sich schon mehr als 1800 Gleichgesinnte gefunden, die ihre Unterstützung im Netz kundtaten. Diese Petition wurde am Dienstag zusammen mit dem offenen Brief beim Finanzsenator abgegeben. „Wir haben diese Petition bekommen und zur Kenntnis genommen“, sagte Daniel Stricker, Sprecher der Finanzbehörde. „Doch diese wird an den Plänen zur Bebauung des Areal nichts ändern.“