In der Christianskirche in Ottensen feiern 300 Besucher ihren Karnevalsgottesdienst mit bunten Kostümen, lauter Musik und frechen Reimen.

Hamburg. Zum Schluss ziehen die Narren laut singend durch den Mittelgang nach draußen. Es wird geschunkelt und geklatscht auf Teufel komm raus. Kinder pusten Seifenblasen in die Luft, die Band haut noch einmal richtig in die Tasten. „Und dann die Hände zum Himmel – kommt lasst uns fröhlich sein!“ Einige Jecken machen noch ein Kreuzzeichen, bevor sie den Ort des Trubels verlassen. Dann ist der Sonntagsgottesdienst in der Christianskirche in Ottensen zu Ende.

Pastor Frank Howaldt, 43, ist weder katholisch, noch kommt er aus Köln. Der Protestant ist ein richtiger Hamburger Jung. Im Grunde zwei denkbar schlechte Voraussetzungen für einen Kirchenmann, um ausgerechnet dem Karneval Einlass in sein Gotteshaus zu gewähren. „Ja, es stimmt, die Feierfreude verbindet man eher mit den Katholiken“, sagt der Pastor. Die Protestanten dagegen würden doch mehr als Kopfmenschen gelten, denen „das Ekstatische ziemlich fremd ist“.

Er hat eine Narrenkappe auf dem Kopf und eine rote Clownsnase im Gesicht. Seine Bütten-Predigt macht sich einen frechen Reim auf schwatzende Mütter im Geländewagen und schwitzende Männerrunden in der Sauna. Lautes Lachen in den Reihen. Auf „Pilgerwege“ folgt „Füßepflege“, auf „Gummiente“ die „Sakramente“ und auf „lautes Herzgebimmel“ fliegen wieder die „Hände in den Himmel“.

Einmal im Jahr gibt Frank Howaldt vor der Gemeinde den Pas-Tor.

Seit zwölf Jahren ist das nun schon so. „Am Anfang waren zehn Prozent der Besucher verkleidet“, sagt er. Heute ist der Karnevalsgottesdienst der meistbesuchte nach Weihnachten und Konfirmationsfeier. „Und 90 Prozent kommen in Kostümen.“ Unter den 300 Gästen sind kleine und große Piraten und Zauberer, Clowns und Ritter, Hexen und Teufel, Löwen und Tiger. Von der Empore hängen bunte Papierschlangen. In der ersten Reihe hat, wie seit Jahren schon, das Prinzenpaar aus dem Karnevalsverein Moorrege Platz genommen: Andreas I. und Bianca II. „Nächstes Mal bringe ich mal unsere Pastorin mit“, sagt Bianca Wermock. Kurz zuvor ist sie im Altarraum unter dem Taufengel zu einem Tänzchen aufgefordert worden.

Manche sagen, Helau sei nichts anderes als die närrische Abkürzung für Halleluja. Und der Karneval als mittelalterliches Aufbegehren der Armen gegen die Mächtigen und Reichen passe recht gut zu einer Kirche, die sich auf die Seite der Schwachen schlägt und den Stummen eine Stimme verleiht. Pastor Howaldt spricht von der frohen Botschaft. Und von einem gnädigen Gott, der die Menschen lieb hat und aushält. Mit all ihren Fehlern. Zum Kyrie singen sie: „Wir sind alle kleine Sünderlein – ’s war immer so, ’s war immer so. Der Herrgott wird es uns bestimmt verzeih’n – ’s war immer, immer so.“

Igor Zeller hat zehn Jahre in Köln Musik studiert, bevor er als Kantor nach Hamburg gekommen ist. Gleich bei seinem Arbeitsantritt 1999 hat er den Gemeindemitgliedern gesagt, er könne am Sonntag vor Rosenmontag keine Orgel in Ottensen spielen, weil er dann bereits auf dem Weg nach Köln zum Karneval sein werde. Da haben sie sich in der Gemeinde gesagt, dann machen wir eben ohne Igor Karneval in der Kirche. Zwei Jahre ging das so. Dann ist Igor zur Faschingszeit in Hamburg geblieben und hat die Sache selbst in die Hand genommen. „Ohne Igor geht es eigentlich nicht“, sagt der Pastor. Bereits fünf Minuten vor zehn sitzt Igor am Klavier und heizt mit seiner Combo – Schlagzeug, Kontrabass, zweiter Sänger – der Gemeinde richtig ein. „Wir legen jetzt den Knopf um“, sagt der Kantor. Und das geht so: „Gucken nach rechts, gucken nach links, dann beim Nachbarn unterhaken und los geht’s!“ Schon schunkelt alles, es gibt kein Entkommen: „Mer losse d’r Dom en Kölle.“ Aus dem Gottes- wird ein Tollhaus. Statt Helau heißt es an der Elbe Ahoi, im Wechselgebet ist von „Gottes Witz als meinen Segen“ die Rede.

Traudi Hornmann hat 18 Jahre im Rheinland gelebt. „Aber so etwas gibt es dort nicht“, sagt sie. In ihrer evangelischen Gemeinde in Wuppertal ging es vor allem um Strenge, Strafe und ruhiges Sitzen. Es war die Fortsetzung einer jahrhundertealten protestantischen Tradition, in der „dem Karneval grundsätzlich der Kampf angesagt wurde“, wie die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger schreibt. Karneval in der Kirche, das war wie ein Hai im Hallenbad.

Traudi Hornmann hatte ihren Glauben an diese Kirche verloren. Sie hat ihn in Ottensen wiedergefunden. „Ich glaube, Kirche darf das auch“, sagt sie. Nämlich ausgelassen und fröhlich sein, frech und laut. „Es ist befreiend, wenn man seinen Glauben wirklich leben kann“, sagt sie.

Mehr zum Thema „Kirche und Humor“ in der Ausgabe von „Himmel & Elbe“ am 11. März