Das Gerangel um das umstrittene Zentrum im Schanzenviertel geht in eine neue Runde. Investor Kretschmer will wohl verkaufen, der Bezirk die Nutzung im Bebauungsplan sichern. Doch der wird erst Ende 2013 rechtskräftig.
Es ist ein Szenario, das Linksautonome in Hamburg, in Berlin, ganz Deutschland und im benachbarten Ausland in helle Aufregung versetzen könnte: Die Rote Flora im Schanzenviertel soll offenbar verkauft werden. Kulturinvestor Klausmartin Kretschmer, so fürchten die Nutzer des maroden Gebäudes in urbaner Bestlage, plant offenbar, die Immobilie an einen Investor zu überschreiben. Dieser soll bereits offiziell Mieter des besetzten Gebäudes sein. Ein Szenario, das die „Floristen“ fürchten: Der neue Besitzer könnte bestrebt sein, das ehemalige Theater und Varieté räumen und abreißen zu lassen, um hier Wohnungen oder Büros zu bauen. Diesen Donnerstag sollen die Unterstützer und regelmäßigen Besucher der Roten Flora in einem offenen Plenum über die ihnen drohende Gefahr informiert werden.
Sollte ein möglicher neuer Besitzer die Rote Flora räumen lassen, drohten Hamburg Krawalle, die Wochen, sogar Monate anhalten könnten. Schließlich genießt die Immobilie in der europaweit verzweigten Autonomenszene ein Identifikationspotenzial wie einst das besetzte Christiania in Kopenhagen. Als dort ein Jugendhaus geräumt werden sollte, kam es über Monate immer wieder zu Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei.
Immer wieder taucht im Zusammenhang mit dem möglichen Verkauf der Roten Flora und Klausmartin Kretschmer der Name Gert Baer auf. „Wir beraten Herrn Kretschmer als Makler-, Projektentwicklungs- und Unternehmensberatungsfirma bei einigen seiner Immobilienobjekte“, sagte Baer dem Abendblatt auf Nachfrage. Baer tauchte auch auf, als eine weitere Kretschmer-Immobilie im Februar dieses Jahres zwangsversteigert werden sollte – der Brandshof an den Elbbrücken. Er war der Bevollmächtigte von Kretschmer und wollte, dass die Zwangsversteigerung aufgehoben wird. Die Begründung: Die Sparkasse Holstein habe für sich das Verfahren zum Ruhen gebracht. Doch der Rechtspfleger lehnte Baers Ansinnen damals ab, weil es weitere Gläubiger gab. Die Zwangsversteigerung scheiterte dennoch, weil niemand ein Gebot abgab. Gleiches gilt für die Riverkasematten am Hafen. Auch bei der Zwangsversteigerung dieses Objekts fand sich wenige Wochen zuvor kein Bieter.
Eine Zwangsversteigerung für die Rote Flora, die im vergangenen November angeordnet wurde, ist Ende Februar dieses Jahres wieder gelöscht worden. Ein Hinweis darauf, dass ein solventer Investor gefunden wurde? Gert Baer sagte auf Nachfrage, dass er die Rote Flora weder gemietet habe noch kaufen wolle. Klausmartin Kretschmer selbst gab weder zu noch dementierte er, dass er die Rote Flora verkaufen wolle oder vermietet habe. Auf Nachfrage teilte er schriftlich mit: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich zu dem Thema nicht äußern möchte.“
Nach Auskunft aus Kreisen der Flora-Nutzer rechnen die Autonomen bereits seit geraumer Zeit damit, dass ein Verkauf ihres Zentrums in naher Zukunft anstehen könnte. Bereits im November 2012 seien entsprechende Szenarien durchgespielt worden, heißt es. Dass es nun offenbar ernst werde, könne daran liegen, dass der zugesagte Bestandsschutz noch immer nicht manifest ist. Die Angst der Floristen: Es könnte versucht werden, bereits vorher Fakten zu schaffen.
Gerüchte in der Bezirkspolitik
Gerüchte über einen erneuten Versuch, die Rote Flora zu verkaufen, machten in den vergangenen Tagen auch in der Altonaer Bezirkspolitik die Runde. „Wir haben davon gehört, sehen die Lage aber relativ entspannt“, sagt die Fraktionschefin der Grünen in der Bezirksversammlung, Gesche Boehlich. An einen baldigen Abriss oder eine Räumung des von den Linksautonomen genutzten Gebäudes glaube sie nicht. Der alte Kaufvertrag mit Kretschmer sowie ein neuer Bebauungsplan würden da enge Grenzen setzen, sagt die Politikerin. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Uwe Szczesny, der das Geschehen um das Gebäude als CDU-Kommunalpolitiker und Bauexperte seit Jahrzehnten verfolgt: „Wer das kaufen will, muss Stress mögen.“
Tatsächlich würden Monate bis zu einer Räumung vergehen: Der Eigentümer braucht einen Räumungstitel vom Gericht. Weigern sich die Autonomen auszuziehen, könnte die Polizei eingreifen. Das hängt von der Entscheidung der Innenbehörde ab. Die würde die Verhältnismäßigkeit der Mittel abwägen. Dabei stehen auf der einen Seite die (wenigen) Autonomen, auf der anderen Seite das (große) Interesse der Stadt, Unruhe zu vermeiden. Insider bezweifeln, dass Hamburg räumen lässt.
Tatsächlich lässt der alte Kaufvertrag für einen neuen Investor nicht viel Spielraum: Und das hat viel mit den Umständen des damaligen Deals zwischen Stadt und Kretschmer zu tun. Ursprünglich war das 1888 gebaute Gebäude ein Theater, 1964 kaufte die Stadt die Immobilie und vermietete sie 23 Jahre lang an die Haushaltswarenfirma „1000 Töpfe“. 1989 wurde es von Hausbesetzern der linken Szene aus Protest gegen den geplanten Umbau zum Musical-Theater besetzt. Fortan war das Haus Ausgangspunkt vieler Krawalle, entwickelte sich aber auch zu einem Stadtteilzentrum.
Immer aber stand die Forderung der CDU nach einer Räumung im Raum. Um 2000 herum wollte der SPD-Senat die Rote Flora daher aus dem Wahlkampf heraushalten – und verkaufte die Flora mit dem 1770 Quadratmeter großen Grundstücks für 370.000 Mark an Kretschmer – mit strengen Auflagen. In dem Vertrag, der dem Abendblatt vorliegt, wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Gebäude von dem Verein Rote Flora genutzt wird und die Nutzung zu dulden ist. „Der Käufer tritt in dieses Nutzungsverhältnis ein“, heißt es wörtlich in dem Schriftstück. Sollte der Käufer verkaufen oder eine andere Nutzung anstreben, habe die Stadt ein Wiederkaufsrecht. Zum alten Preis und ohne Zinsen. Zehn Jahre lang wurde der Stadt zudem ein allgemeines Vorkaufsrecht eingeräumt.
Kretschmer pokerte zu hoch
2010, kurz vor dessen Ablauf, wollte der inzwischen finanziell unter Druck geratene Kretschmer die Rote Flora an die Stadt zurückverkaufen. Er drohte mehr oder weniger, es auch an andere Investoren zu veräußern, was wohl zu einer Räumung geführt hätte – mit tagelangen Krawallen. Kretschmer hatte in diesem Zuge kritisiert, dass die Rote Flora von „Linksextremisten okkupiert“ werde. „Sie hat keine soziale Bindung mehr mit der Bevölkerung“, sagte er damals dem Hamburger Abendblatt. Und: „Alles hat seine Zeit. Und diese macht auch vor der Roten Flora nicht halt.“
Doch offensichtlich pokerte Kretschmer zu hoch: Laut Bodengutachten soll das Grundstück 1,3 Millionen Euro wert sein, er habe aber zwischen fünf und acht Millionen gefordert, hieß es in Politikerkreisen. Darauf ließ sich weder der schwarz-grüne noch später der SPD-Senat ein.
Gerade die Abfuhr der SPD, der er mit dem Kauf 2001 doch aus der Patsche geholfen hatte, dürfte Kretschmer jetzt schmerzen. Zumal er dringend auf frisches Geld angewiesen ist, nachdem für mehrere seiner Immobilien schon Zwangsversteigerungen angeordnet waren. Vielleicht, so vermuten Insider, sind die Verkaufsabsichten auch eine Art Racheakt an der Stadt.
Allerdings hat die inzwischen eine weitere Sicherung eingebaut: Eine Dezernentenrunde um den damaligen Altonaer Bezirksamtsleiter Jürgen Warmke-Rose war im März 2010 zusammengekommen, um nach ersten Rückkaufsverhandlungen alle möglichen Szenarien durchzuspielen. Und eine davon ließ die Verwaltungsjuristen nachdenklich werden: So sah der seinerzeit gültige Baustufenplan von 1952 für die Rote Flora eine Festsetzung als „Gebäude öffentlicher Art“ vor. Das könnte aber auch ein privates Musical-Theater sein. Was ist, so fragte sich die Runde, wenn Kretschmer das Objekt verkauft und einfach entgegen dem Vertragstext die Nutzungsverpflichtung als Rote-Flora-Kulturzentrum im Kaufvertrag nicht übernimmt? Dann wäre zwar eine Vertragsstrafe fällig, ein neuer Investor könnte aber auf sein Recht pochen, und „der Schlamassel wäre da“, so ein Teilnehmer der Runde.
Eilig entwarf der Bezirk daher einen neuen Bebauungsplan und erließ 2011 eine Veränderungssperre für das Gebiet. Jetzt wird die Rote Flora ausdrücklich als „Fläche für den Allgemeinbedarf“ und Stadtteilkulturzentrum ausgewiesen, das Gebäude muss zudem erhalten werden. Wer es kauft, kauft dann praktisch ein genutztes Kulturzentrum – ohne viel daran ändern zu können.
Abriss schon nicht mehr möglich
Der Bebauungsplan wird zwar erst endgültig Ende des Jahres rechtskräftig. Doch ein Abriss des Gebäudes wäre auch jetzt schon nicht mehr möglich, heißt es im Bezirksamt Altona. Als sozusagen dritte Sicherung wurde das Gebiet 2012 einfach noch einmal zum Sanierungsgebiet erklärt. Und das Sanierungsziel sei eindeutig: Erhalt der Roten Flora als Gebäude und Stadtteilkulturzentrum, allenfalls eine Modernisierung wäre möglich.
Was die Floristen auf dem Plenum an diesem Donnerstag beschließen, ist zwar völlig unklar. Einen Vorgeschmack auf das, was es sein könnte, gibt die Reaktion auf das erste Verkaufsansinnen Kretschmers vor vier Jahren. In einer Mitteilung hieß es damals: „Wir werden jeden Versuch Kretschmers, das Projekt Rote Flora anzugreifen oder gar beenden zu wollen, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln politisch und praktisch verhindern.“