In Bahrenfeld ärgern sich Anwohner über ein Rotlicht-Dreieck. Auch Bezirkspolitikerin spricht von unhaltbaren Zuständen in dem Stadtteil.
Auf den ersten Blick ist das einstöckige weiße Haus nichts Besonderes. Ein bisschen runtergekommen sieht es aus. Doch das Schild über der Tür ist dann doch sehr eindeutig. "Achtung! Ab hier entfällt die Bekleidungspflicht." Im Fenster signalisiert ein Neonschild "Open". Es ist nicht das Einzige - auch Bahrenfeld hat ein Rotlichtviertel, und zwar ein ganz beachtliches.
Es liegt in dem Dreieck zwi-schen Von-Sauer-Straße, Bahrenfelder Chaussee und Straußstraße, mitten in einer Wohngegend zwischen Supermarkt und Schule. Wer auf den einschlägigen Seiten im Internet sucht, kommt locker auf 50 Einträge mit Fotos von jungen Damen mit wenig an. "Hier ist alles nur noch Puff", sagt Dieter Rimbach. Tagsüber sei das nicht so offensichtlich, abends leuchteten ihm die roten Lichter dafür fast bis in die Küche.
Vor 23 Jahren hatten er und seine Frau Marion die Wohnung auf der anderen Seite der Straußstraße gekauft. "Damals war das ein lebendiges Viertel mit Blumenladen, Tischlerei, Schlosser und Bäcker", sagen sie. Jetzt sind die meisten Betriebe weg, an den Türklingeln kleben kleine Zettel mit vielen Namen. Tatjana, Niki, Lara, Susanna. Betrieb ist da jetzt auch, nur anders. Schmutzig sei es, sagt Marion Rimbach, und laut. Frauen liefen aufreizend über die Straße. Häufig führen große Autos mit ausländischen Kennzeichen vorbei. "Zuhälter", wie sie vermutet. "Ich fühle mich nicht mehr sicher." Besonders nachts höre man Geschrei. "Es ist kein schönes Leben mehr hier", sagt sie.
Einen Kilometer entfernt sitzt Jörn W. Müller in einem Bürokomplex an der Friedensallee. "Es ist eine Zwischennutzung", sagt der Geschäftsführer der MIC Immobilienentwicklung und Consulting. Vor ihm auf dem Tisch steht ein großes Holzmodell. Das Dreieck zwischen Von-Sauer-Straße und Bahrenfelder Chaussee mit den vielen in sich verschachtelten Gebäuden kann man rausnehmen. "Das kommt alles weg." Gemeinsam mit seinem Partner, der ICE Immobilien Consulting und Entwicklung, hat er die Von-Sauer-Straße-Projektentwicklungsgesellschaft mbH & Co. KG gegründet. Auf dem 8000 Quadratmeter großen Areal soll ein neues Quartier entstehen. Vor mehr als fünf Jahren hat das Investoren-Duo angefangen, die 16 Grundstücke aufzukaufen. Zwei Flächen fehlen noch, dann gehört ihnen alles. In den nächsten Jahren sollen 140 bis 170 Wohnungen, kleine Läden und ein sogenanntes Boardinghaus gebaut werden, fünf Stockwerke hoch mit Staffelgeschoss. Projektvolumen: 60 Millionen Euro.
Bis es so weit ist, vermieten die Projektentwickler befristet. Er habe jemanden, der das für ihn abwickele, sagt Müller. Zwar habe er Verständnis für die Anwohner, "aber wenn wir die Häuser leer stehen lassen, haben wir Obdachlose, Hausbesetzer und Vandalismus. Dann lieber ein paar Modelwohnungen, wo Leben in der Bude ist." Die meisten habe es übrigens auch vorher schon in dem Gebiet gegeben. Müller spricht von sechs Häusern, die so genutzt würden, plus Swingerklub. Anwohner Rimbach hat elf gezählt und eine genaue Liste mit Hausnummern angefertigt.
Es herrscht Endzeitstimmung in dem Quartier. Gerade hat das China-Restaurant Orchidee nach fast 40 Jahren geschlossen. An der Bahrenfelder Chaussee und an der Von-Sauer-Straße sind viele Fenster mit Mülltüten verklebt, in den Treppenhäusern liegt der Müll, durch eine kaputte Scheibe sieht man zurückgelassene Matratzen und kaputte Kerzenhalter. Die Fassmalerei und der Polsterer haben Umzugsschilder in den Schaufenstern. Ein paar Häuser weiter betreibt Jens Gruschka einen Reifenhandel. Eigentlich wollte er bleiben, jetzt sagt er: "Wenn die mir ein vernünftiges Angebot machen, gehe ich auch." Nebenan stehen Blumen im Fenster. Klaus und Monika Voß wohnen seit 50 Jahren in ihrem Haus. Bislang haben sie nicht verkauft.
Gleichzeitig werden die Planungen konkreter. Über Jahre wurde die Fläche stiefmütterlich behandelt. Dass Investoren jetzt dort Ordnung schaffen und sie bebauen wollen, wird parteiübergreifend positiv gesehen. Der städtebauliche Wettbewerb wurde gerade abgeschlossen. Die ersten Entwürfe liegen bei den Baufachleuten des Bezirksamts und in den Ausschüssen. "Wir würden lieber heute als morgen anfangen", sagt Müller. Noch ist unklar, ob der Bebauungsplan geändert werden muss. Dann könnte sich der Baustart noch zwei Jahre hinziehen.
Ein Teil der Anwohner hat sich mit dem Übergangszustand arrangiert. "Mich stört es nicht so", sagt Alexandra Neve. Auch Willfried Buschmann, der auf der nahen Tankstelle an der Kasse steht, hat nichts gegen die Mädchen von gegenüber, die bei ihm Cola und Zigaretten holen. "Die sind nett", sagt er. "Man bekommt ja nicht viel mit", meint Carlo Winckelmann, der mit Freundin und fünfjährigem Sohn in einem Hinterhof mit kleinem Garten wohnt. Als im vergangenen Jahr allerdings im Vorderhaus auch einige Damen einzogen und im Fenster rote Lampen aufstellten, habe er auf einen Zaun als Sichtschutz bestanden. "Sonst hatten wir keine Probleme. Nur mit der Mülltrennung hatten die es nicht so." Inzwischen ist das Etablissement geschlossen. Die Winkelmanns ziehen in den nächsten Wochen auch aus. Nach Lokstedt. "Wir haben einen befristeten Mietvertrag", sagt er.
"Es ist schon scheußlich, und es wird schlimmer", befürchtet Wohnungseigentümer Dieter Rimbach mit jedem Wegzug. Drei Beschwerden über Prostitution sind seit Januar 2010 beim Bezirksamt eingegangen, die letzte Mitte März. "Man kommt nicht mehr zur Ruhe", sagt eine Frau aus der Straußstraße, die ihren Namen lieber nicht nennen will. Schon morgens führen dicke Autos vor, die Freier warteten auf der Straße, klingelten an den Haustüren. "Ich bin auch schon angesprochen worden, ob ich hier arbeite." Auch sie hat sich schon beschwert. "Aber als Nachbar kann man nichts machen." Dazu die Sorge, ob hier in direkter Nachbarschaft Frauen zur Prostitution gezwungen würden. Zwangsprostitution, das höre man ja immer wieder.
Inzwischen ist das Thema auch in der Politik angekommen. "Ein unhaltbarer Zustand", sagt die Altonaer Bezirksabgeordnete Franziska Grunwaldt (CDU). Gerade ältere Anwohner fühlten sich nicht mehr sicher. Dazu kommt: Die Dunkelziffer bei sogenannten Modelwohnungen sei enorm hoch. "Sie sind für Schwarzbordelle besonders geeignet."
Tatsächlich hat das Bezirksamt offenbar keine genaue Kenntnis, was in dem "Schmuddeldreieck" los ist. Insgesamt ließen derzeit fünf von 34 Gewerbeanmeldungen in dem Gebiet auf Rotlichtnutzung schließen, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage Grunwaldts. Allerdings, so das Bezirksamt, lasse sich aus der Zahl der Anmeldungen nicht zwingend auf die tatsächliche Anzahl der gewerblichen Nutzung schließen. Drei Verfahren gab es seit 2010, weil Wohnraum illegal als Modelwohnung zweckentfremdet wurde. "Das ist alles sehr unbefriedigend", sagt die Oppositionspolitikerin und fordert eine "Vor-Ort-Prüfung".
Die Rimbachs sind nur noch genervt. Grundsätzlich sei er für die neue Bebauung, sagt Dieter Rimbach. "Aber es kann nicht sein, dass während dieser Übergangszeit alles, was leer ist, in Bordelle umgewandelt wird." Vor allem das weiße Haus gegenüber ist ihm ein Dorn im Auge. Die freien Flächen könne man doch anders vermieten, an Künstler zum Beispiel.