Anwohner der Wohnstraße in Rissen fordern eine Sperrung des Schleichwegs nach Wedel. Auch am Sülldorfer Brooksweg gibt es Proteste.
Hamburg. Wenn man die Adresse der Timmermanns auf dem Stadtplan sucht, liegt das Häuschen der Familie an einer Wohnstraße in Rissens grünem Norden. Der Klövensteen ist gleich um die Ecke, rund herum gibt es einige kleinere Waldgebiete. Wenn Friederike Timmermann aber aus ihrem Wohnzimmerfenster am Sandmoorweg blickt, fahren fast immer Autos vorbei.
"Morgens und abends ist es besonders schlimm", sagt die 43-Jährige. Viele Pendler, aber auch Lastwagenfahrer, nutzen die Wohnstraße als Schleichweg. "An die 30er-Zone hält sich hier niemand", klagt sie "Es wird extrem rücksichtslos gefahren." Vor einigen Monaten war die Mutter von fünf Kindern am Anfang des Sandmoorwegs von einem Lastwagen angefahren worden, auf dem Fahrrad mit Kinderanhänger hintendran. Das Rad war ein Totalschaden. Die dreijährige Theresa erlitt eine leichte Kopfverletzung. Fünf Tage mussten sie zur Beobachtung ins Krankenhaus. "Es ist noch einmal gut gegangen, aber das hätte anders sein können."
Für dieses Verkehrsaufkommen ist der Sandmoorweg nicht ausgelegt, sagt Torralf Köhler, der mit seiner Familie einige Häuser weiter wohnt. Weil die Bundesstraße 431 chronisch überlastet ist, nutzen immer mehr Autofahrer die Verbindung über den Wespenstieg Richtung Kreis Pinneberg. Das Problem ist nicht neu, aber jetzt formiert sich Widerstand. Die Anlieger fordern, die Straße für den Durchgangsverkehr zu sperren. Ihre Kritik ist grundsätzlich: "Das gesamte Verkehrskonzept in Rissen ist trotz entsprechender Beschlüsse nicht zu Ende geführt", sagt Köhler.
+++ Mutter Courage +++
+++ Hamburger Bezirke bremsen Tempo 30 aus +++
+++ Tempo-Kontrollen bringen Hamburg 14 Millionen Euro +++
Das ist nicht der einzige Brennpunkt in Rissen. Auch auf der südlichen Seite der Straßenschlucht, die für die schnelle Verbindung zwischen Hamburg und Wedel gebaut wurde, nimmt der Verkehr aus Sicht der Anwohner zu - und damit die Lärm- und Schadstoffbelastung. Nachdem bekannt wurde, dass Wedel direkt an der Stadtgrenze zu Hamburg das Gewerbegebiet Businesspark Elbufer mit einer Fläche von 180 000 Quadratmetern plant, machen auch hier Bürger mobil.
Die Sorge: In der in diesem Jahr beginnenden Bauphase könnte noch mehr Schwerlastverkehr durch die Wohngebiete am Tinsdaler Heideweg und der Verlängerung Sülldorfer Brooksweg laufen. "Die Wohnstraßen müssen durch bauliche Maßnahmen so unattraktiv für den Verkehr gemacht werden, dass die Autos über die B 431 gelenkt werden", fordert ähnlich wie Anwohner am Sandmoorweg auch Elmar Schnitzer, dessen Haus unweit der Einmündung in die Bundesstraße steht.
In seiner Nachbarschaft ist der Frust inzwischen groß. "Der Verkehr ist eine Katastrophe", sagt Elke Bock und zeigt auf zahlreiche Risse in der Fassade ihres Hauses. Sogar die Tannen, die sie zum Schutz gegen Lärm und Abgase gepflanzt hat, gingen ein. Auch Nachbarin Marie Niemeyer, die mit Mann und ihren beiden kleinen Töchtern im Haus an der Ecke der Spielstraße Iroldstieg wohnt, klagt über viele Autofahrer, die "deutlich schneller fahren als erlaubt. Für Kinder ist es gefährlich." Sie wünscht sich einen zusätzlichen Zebrastreifen für einen sicheren Überweg zum gegenüber liegenden Spielplatz.
Die Verkehrsprobleme im Hamburger Westen beschäftigen die Politik seit Langem. Grundproblem ist, dass eine in den 80er-Jahren geplante Umgehungsstraße Richtung Wedel nach heftigen Protesten nicht gebaut wurde. Die Folge: Die B 431 wurde zu einem Nadelöhr.
Es kommt immer wieder zu Staus, die Autofahrer suchen sich Ausweichstrecken vor allem durch Rissen. Unisono heißt es bei allen Parteien und auch bei der Polizei, dass man die Sorgen der Menschen ernst nehme. Geändert hat sich bislang allerdings nichts. Doch jetzt bekommt das Thema zusätzliche Brisanz. Der Sandmoorweg soll als eine der ersten Straßen im Bezirk Altona so ausgebaut werden, dass die 47 Anlieger - wie vom Rechnungshof gefordert - an den Kosten beteiligt werden können.
Erste Pläne liegen bereits vor. "Aber wir wollen natürlich nicht dafür bezahlen, dass die Autos hier noch schneller durchrasen", sagt Anwohnersprecher Torralf Köhler. Er und seine Mitstreiter hatten zunächst Hoffnung geschöpft, nachdem es das Thema sogar bis in den Altonaer Koalitionsvertrag von SPD und GAL geschafft hatte. Darin heißt es, "dass der Durchgangs-/Pendlerverkehr aus Wedel über den Wespenstieg unterbunden wird". Darüber, was genau das bedeutet, ist allerdings Streit entbrannt. Während die Anwohner eine Sperrung der Verbindung zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein fordern, zeigt sich SPD-Verkehrsexperte Henrik Strate bedeckt. Auch durch weitere verkehrsberuhigende Maßnahmen könne man die Straße unattraktiv machen und den Pendlerverkehr so unterbinden, sagte er dem Abendblatt.
Ende Januar hatte die Bezirksversammlung beschlossen, das laufende Verfahren zunächst auszusetzen. Der Bezirk soll nun verschiedene Varianten prüfen und mit den Anwohnern in einer Planungswerkstatt diskutieren. Am 1. März tagt zudem eine neue Arbeitsgruppe "Verkehr im Westen", in der Altonaer Bezirkspolitiker, Vertreter des Kreises Pinneberg und der Stadt Wedel zusammenkommen. Die ebenfalls geladenen Vertreter der Fachbehörden haben abgesagt, sie fühlen sich nicht zuständig. Dass die Gespräche zu einer Lösung führen, ist allerdings mehr als fraglich. Auf der Wedeler Seite nämlich formiert sich auch schon der Widerstand - gegen eine einseitig von Hamburg verfügte Sperrung der länderübergreifenden Straße.
Auch im Süden Rissens bleibt die Situation weiter ungelöst. "Wir verstehen die Sorgen und Ängste der Anwohner", sagt die Chefin des zuständigen Polizeikommissariats 26, Polizeioberrätin Kornelia Marquardt. Allerdings müssten sich die Verkehrsbehörden an die rechtlichen Vorgaben halten, dazu zählte auch der Gleichbehandlungsgrundsatz. Verkehrsmessungen am Straßenzug Tinsdaler Heideweg/Sülldorfer Brooksweg hätten bislang keine übermäßige Belastung ergeben. "Wir wollen vernünftige Kompromisse. Die Stadt braucht Verkehr, der fließt", sagt Marquardt.
Einige Anwohner überlegen inzwischen, vor Gericht zu ziehen. Lärm- und Abgaswerte lägen deutlich über dem von der EU erlaubten Werten, sagt Anwohner Schnitzer. Er fordert, dass die Straße umgewidmet und künftig nicht mehr als Hauptverkehrsstraße geführt wird. Auch die Anwohner am Sandmoorweg wollen nicht lockerlassen. "Wir werden unser Anliegen immer wieder vorbringen. Es wäre schrecklich, wenn erst etwas wirklich Schlimmes passieren muss", sagt Friederike Timmermann. Heute steht das Thema auf der Tagesordnung des bezirklichen Verkehrsausschusses.