Als Pfarrer und friedlicher Revolutionär nahm Joachim Gauck nie eine Waffe in die Hand. Als Bundespräsident vertritt er auch die Bundeswehr und verteidigt deren Einsätze. Mit dem Gleichschritt hat er aber nach wie vor Probleme.

Hamburg. Noch nicht ganz routiniert schreitet Bundespräsident Joachim Gauck am Dienstag die Ehrenformation des Wachbataillons in der Hamburger Führungsakademie ab. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) muss ihn an der entscheidenden Stelle der Begrüßung noch diskret am Ärmel zupfen. Mit freundlichem Lächeln im Gesicht bringt der Präsident die Zeremonie hinter sich. Gauck ist seit knapp einem Vierteljahr im Amt, bei seinem Antrittsbesuch bei der Bundeswehr merkt man ihm an, dass er durch und durch Zivilist ist und nie im Gleichschritt ging.

Nach der militärischen Begrüßung geht der Präsident auf die Kinder des Evangelischen Kindergartens der Führungsakademie zu, die ebenfalls mit ihren Erzieherinnen „angetreten“ sind. Sie schwenken Fähnchen ihres Kindergartens und überreichen selbst gebastelte Papierblumen. Als Gauck sich bedankt und ihnen schon „Also tschüss, Ihr Lieben!“ zugerufen hat, meldet sich noch ein chinesischer Junge aus der ersten Reihe: „Wann kommst du nach China?“, fragt der fünfjährige Yianghze, dessen Eltern an einem Kurs an der Führungsakademie teilnehmen, in perfektem Deutsch. „Ja irgendwann werde ich dort auch hinkommen“, antwortet Gauck. „Vielleicht sehen wir uns ja wieder.“

Gauck genießt diesen Moment, das mutige „Aus-der-Reihe-Tanzen“ des Fünfjährigen. Selbstbewusst und vorlaut – das war er als Junge im Osten Deutschlands auch. „An dieser Führungsakademie, das habe ich gespürt, wird kein geistiger Gleichschritt gelehrt“, sagt er später in seiner Ansprache vor mehr als 100 Offizieren aus dem In- und Ausland. Er erinnert zugleich daran, wie zuwider ihm in der DDR die Militarisierung der Schulen und die Erziehung zum Hass waren. „Es sind keine guten Gefühle, die hochkommen.“ Als Jugendpfarrer in Rostock stand Gauck in den 80er Jahren Jugendlichen bei, die den obligatorischen Wehrkundeunterricht an den Schulen oder gar den Militärdienst verweigerten. Später sympathisierte er mit der Friedensbewegung, die in der DDR unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ antrat.

Doch Gauck, der Protagonist der Friedlichen Revolution von 1989, war und ist kein Pazifist, wie er in seiner 2009 erschienenen Autobiografie „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ bekannte. Es könne Zeiten geben, in denen man Frieden, Freiheit und das Leben auch anderer Menschen mit der Waffe verteidigen müsse. Die Bundeswehr macht nach Ansicht des Bundespräsidenten genau das, wenn sie auf dem Balkan, am Hindukusch und vor dem Horn von Afrika gegen Terroristen und Piraten kämpft. „Freiheit, so haben wir gelernt, ist ohne Verantwortung nicht zu haben“, betont er und geht auf Distanz zu den Friedensbewegungen seit den 50er Jahren in Westdeutschland: „„Ohne uns“ als purer Reflex kann keine Haltung sein, wenn wir unsere Geschichte ernst nehmen.“

Gauck bezeichnet die Bundeswehr als „Friedensmotor“ und „Teil des Demokratiewunders“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Vorbehaltlos kommt dieses Lob freilich nicht: Die Bundeswehr habe sich von „unseligen Traditionen“ gelöst, was nicht jedem altgedienten Offizier gefallen habe, stellt er fest. Der Abscheu gegen militärische Gewalt in der Gesellschaft sei verständlich. „Gewalt, auch militärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben.“ Darum ruft er nicht zur Unterstützung der Auslandseinsätze der Bundeswehr auf, sondern fordert eine gesellschaftliche Diskussion darüber, ob sie die gewünschten Ziele erreichen oder gar neue Gewalt erschaffen.